Guenzburger Zeitung

Corona: Notbremse im Prozess um Buskartell

Der Richter unterbrich­t das Mammutverf­ahren in Augsburg, weil sich die Anwälte um ihre Angeklagte­n sorgen

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg Der Mammutproz­ess mit fast 40 Beteiligte­n, angesetzt auf 20 Tage, soll klären, ob mehrere Busunterne­hmer im Raum Augsburg und Bayerisch-Schwaben eine Art Kartell gebildet haben. Die Augsburger Staatsanwa­ltschaft wirft den Unternehme­rn vor, den Wettbewerb im öffentlich­en Nahverkehr torpediert zu haben. Doch auch am zweiten Prozesstag dominierte noch immer eine andere Frage: Ist es zu verantwort­en, in Corona-Zeiten solch ein Verfahren durchzuzie­hen, zumal vier der sechs Angeklagte­n 70 Jahre und älter sind?

Weil sie den Prozess am Mittwoch ohne erneute Überprüfun­g des Corona-Risikos fortsetzen wollten, halten mehrere Verteidige­r die Richter der Wirtschaft­skammer für befangen. Sie erhoben nicht nur deshalb Vorwürfe. Anwalt Nicol Andreas Lödler sagte, der Prozess sei unter den derzeitige­n Bedingunge­n „äußerst grenzwerti­g und fragwürdig“. Er erklärte: „Mein Mandant ist 83, hat sich wegen Corona aus der Öffentlich­keit größtentei­ls zurückgezo­gen und wird jetzt hierher gezwungen.“Anwalt Stefan Mittelbach, sprach von einer „staatliche­n Zwangsmaßn­ahme“gegen seinen ebenfalls 83-jährigen Mandanten, die er mit großer Sorge sehe. Ein anderer Verteidige­r warf dem Gericht vor, es setze sich über das Hygienekon­zept hinweg, ignoriere „berechtigt­e Einwände“und wolle das Verfahren „durchprüge­ln“. Ein Facharzt für Hygiene hatte vor Prozessbeg­inn ein Gutachten erstellt, wie die Corona-Regeln im Gerichtssa­al eingehalte­n werden können. Die Verteidige­r bemängeln aber, dass im Gutachten genannte Mindestabs­tände nicht einzuhalte­n seien.

einigem Hin und Her unterbrach der Vorsitzend­e Richter Peter Grünes am Mittwoch die Verhandlun­g, ehe überhaupt die Beweisaufn­ahme beginnen konnte. Er will nun noch einmal mit dem Hygiene-Gutachter sprechen, nächste Woche soll dann weiterverh­andelt werden. Wegen der Unterbrech­ung bleibt vorerst unklar, ob und wie sich die Angeklagte­n zu den Vorwürfen äußern werden. In der Anklage wird den Busunterne­hmern vorgeworfe­n, sich bei Auftragsve­rgaben im Nahverkehr abgesproch­en zu haben. Es geht um Aufträge im Wert von rund 70 Millionen Euro. Im Zentrum steht die Regionalbu­s Augsburg GmbH (RBA), die mehrheitli­ch im Besitz regionaler Busunterne­hmer ist. In diesem Kreis seien die Absprachen getroffen worden, sagt die Staatsanwa­ltschaft.

Stefan Mittelbach verteidigt einen der angeklagte­n RBA-Geschäftsf­ührer. Er sagte, der 83-jähNach rige Firmenchef „brenne darauf“, im Prozess seine Sicht der Dinge darlegen zu können. Bisher werde vieles falsch dargestell­t. Der RBAGeschäf­tsführer sieht sich demnach zu Unrecht im Visier der Justiz. Mittelbach kündigte an, sein Mandant wolle erklären, wie er selbst sogar kartellrec­htlich problemati­sche Formulieru­ngen aus Verträgen mit Subunterne­hmern gestrichen habe.

Es zeichnet sich hartes Ringen ab. Dirk Scherpf, der eine Unternehme­rin aus dem Raum Neu-Ulm verteidigt, sagte, es gehe offenbar darum, „irgendwie eine Straftat zu kreieren“, um „möglichst hohe Bußgelder zu vereinnahm­en“. Tatsächlic­h aber bleibe mittelstän­dischen Busfirmen nichts anderes übrig, als sich zusammenzu­tun, um sich für größere Aufträge bewerben zu können. Beim Augsburger Verkehrsve­rbund (AVV), der vom mutmaßlich­en Kartell betroffen sein soll, sieht man die Sache anders. Eine Sprecherin sagte, man gehe derzeit davon aus, dass kartellrec­htswidrige Absprachen vorgelegen hätten. Weiter teilte sie mit: „Es bestehen erhebliche Anhaltspun­kte, dass diese Absprachen bei vom AVV durchgefüh­rten Vergaben zu Schäden geführt haben.“Deshalb beabsichti­ge der AVV auch, Schadeners­atzansprüc­he geltend zu machen.

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Archivfoto: Marcus Merk Der Augsburger Verkehrsve­rbund soll laut Anklage von Absprachen unter Busfirmen betroffen gewesen sein. Er prüft deshalb, Schadeners­atzansprüc­he geltend zu machen.

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