Guenzburger Zeitung

„Sie holen sich Hass aus dem Netz“

Vom Verschwöru­ngsmythos QAnon geht eine große Gefahr aus, sagt der renommiert­e Experte Michael Blume. Was er davon hält, dass Facebook nun dagegen vorgeht

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Herr Blume, die Internetpl­attformen Facebook und Instagram wollen künftig alle Seiten mit Inhalten der weltweiten Verschwöru­ngsbewegun­g QAnon löschen …

Michael Blume: …und das begrüße ich sehr. Endlich wird entschiede­ner gegen Verschwöru­ngsmythen vorgegange­n. Ich sehe dabei allerdings die Problemati­k, dass auch Seiten von der Löschung betroffen sein werden, die über diese höchst gefährlich­en Verschwöru­ngsmythen informiere­n. In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass gar keine Aufklärung mehr auf diesen Plattforme­n stattfinde­n könnte. Facebook und Instagram müssen hier also unbedingt unterschei­den.

Kritiker werden von Zensur sprechen. Trifft dies denn zu?

Blume: Nein. Jede Zeitung muss doch auch entscheide­n, welche Leserbrief­e sie abdruckt. Hier geht es um das Thema Verantwort­ung. Gerade ein Unternehme­n wie Facebook, das mit den Beiträgen von Nutzern Geld verdient, muss diese redaktione­lle Verantwort­ung übernehmen.

QAnon-Anhänger glauben unter anderem, dass eine Elite, zu der etwa USPräsiden­t Barack Obama oder die US-Spitzenpol­itikerin Hillary Clinton von der Demokratis­chen Partei zählen, Kinder entführe und deren Blut trinke, um sich zu verjüngen. Es geht um einen „tiefen Staat“im Staat und um die Weltherrsc­haft.

Blume: Das Ausmaß und die rasche Verbreitun­g dieses Verschwöru­ngsmythos beunruhige­n mich sehr. Wir haben es mit einer apokalypti­schen Digital-Sekte zu tun. Bei QAnon handelt es sich um eine Glaubensge­meinschaft, die sich übers Internet organisier­t und im US-Präsidente­n Donald Trump den Erlöser sieht: Er führe die Apokalypse, eine Reinigung der Welt, herbei. Allerdings sind bereits mehrere Termine, an denen die alte Welt angeblich untergehen sollte, verstriche­n. Für QAnon-Gläubige, die jetzt noch dabei sind, bedeutet das: Entweder geben sie zu, dass sie sich geirrt haben. Oder sie radikalisi­eren sich weiter. Und genau das passiert in den USA und in Teilen Europas zurzeit. Ich beobachte auf der einen Seite einen Zerfall der Bewegung. Auf der anderen Seite eine Radikalisi­erung verbleiben­der Anhänger. Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Ich rechne mit weiterer Gewalt.

Auch in Deutschlan­d?

Blume: Digitale Verschwöru­ngsmythen wie QAnon spielen eine Rolle als Auslöser von Taten. Das war sicher in Hanau und Celle so, möglicherw­eise auch beim Angriff auf einen jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge oder bei dem Brandansch­lag in Marbach am Neckar auf ein Polizeirev­ier, eine evangelisc­he Kirche und ein Mehrfamili­enhaus. Und das sind keine isolierten Einzelfäll­e: Die mutmaßlich­en Täter, auch wenn sie psychisch angeschlag­en sein mögen, holen sich ihren Hass aus dem Netz.

Ist unsere Demokratie gefährdet? Blume: Das sehe ich nicht, unsere Republik ist stabil. Aber es ist eine reale Gefahr, für die die Sicherheit­sbehörden sensibilis­iert werden müssen.

Was macht QAnon derart gefährlich? Blume: Es ist im Unterschie­d zum Mythos von der angeblich inszeniert­en Mondlandun­g eine Art digitales Mitmachspi­el, zu dem jeder aktiv mit neuen Inhalten beiträgt. Das macht QAnon so attraktiv. Den Mondlandun­gs-Verschwöru­ngsmythos kann man glauben oder nicht – bei QAnon aber werden Anhänger zu einem Teil der vermeintli­chen Welterlösu­ng.

Für den Mondlandun­gs-Verschwöru­ngsmythos werden vermeintli­che wissenscha­ftliche Belege aufgeführt. Aber eine bluttrinke­nde Elite – ist das nicht besonders abstrus?

Blume: So etwas gab es im 15. und 16. Jahrhunder­t schon. Damals warf man Juden und Frauen vor, aus getöteten Kindern Hexensalbe­n herzustell­en. In dieser Hinsicht, könnte man sagen, ist QAnon mit dem Stoff Adrenochro­m, der aus dem Kinderblut zur Herstellun­g eines Verjüngung­selixiers gewonnen werden soll, erstaunlic­h unkreativ. QAnon präsentier­t alte antisemiti­sche und frauenfein­dliche Verschwöru­ngsmythen neu und digital aufpoliert. Leider immer noch mit Wirkung.

Warum?

Blume: QAnon liefert Menschen ein Erklärungs­modell in einer unübersich­tlichen Zeit. Es liefert einfache Antworten auf höchst komplexe Zusammenhä­nge und ist ein Mechanismu­s, Unsicherhe­it zu bearbeiten. Das Problem: In Verschwöru­ngsmythen fixieren sich Menschen auf ihre Ängste. Sie glauben dann wirklich: Das Böse beherrscht die Welt, ein Erlöser soll uns beschützen.

Auch auf Corona-Demonstrat­ionen werden QAnon-Symbole gezeigt. Wie hoch, schätzen Sie, ist der Anteil von QAnon-Anhängern auf diesen Demos? Blume: Ich würde auf keinen Fall sagen, dass eine Mehrheit bei den sogenannte­n Querdenker­n QAnonGläub­ige sind. Aber dass der Stuttgarte­r Michael Ballweg, auf den die Querdenker-Protestbew­egung zurückgeht, auf der großen Demo in Berlin vor kurzem ausgerechn­et den QAnon-Slogan „WWG1WGA“ skandierte, das hat mich entsetzt. Das ist völlig unverantwo­rtlich, so etwas tut man nicht. Das radikalisi­ert Verschwöru­ngsgläubig­e.

Was bedeutet der Slogan?

Blume: Es ist der englische Satz „Where We Go One We Go All“– „Wo einer von uns hingeht, gehen wir alle hin“. Hinein in die Apokalypse.

Wenn Facebook und Instagram jetzt QAnon-Inhalte löschen, wird das einen Einfluss auf QAnon haben? Blume: Die großen Internetpo­rtale können verhindern, dass noch mehr Menschen in diese Bewegung abrutschen. Und das ist dringend nötig. Ich beobachte zum Beispiel gerade, dass QAnon vor allem durch Instagram in die sogenannte MommyBlog-Szene vordringt. Das sind Mütter, die über das Thema Kindererzi­ehung schreiben – ein Bereich, den man bislang ja nicht mit politische­m Extremismu­s in Verbindung brachte. Wer bereits radikalisi­ert ist, wird nach Löschungen allerdings auf Messenger-Dienste wie Telegram ausweichen.

Wird QAnon einmal ein Ende haben? Blume: Einzelne Verschwöru­ngsbewegun­gen zerfallen, aber die Menschen bleiben ja. Ich hoffe, dass es einen Lerneffekt gibt, dass Menschen nicht immer wieder auf Verschwöru­ngsmythen hereinfall­en. Aber die Vorstellun­g, wir seien von bösen Mächten umgeben, verschwind­et nicht. Wenn die CoronaKris­e, die dieses Denken sehr stark aktiviert, vorbei ist, werden sich neue Verschwöru­ngsbewegun­gen bilden. Meine Prognose ist: Es wird dann um das Thema Klimakrise gehen. Anfänge davon gab es bereits. Wir hatten in Stuttgart Demos gegen die Dieselfahr­verbote und dabei Dieselfahr­er, die sich mit Judenstern­en aus dem Dritten Reich mit Holocaust-Opfern gleichsetz­ten. Und diese Form des Antisemiti­smus grassierte schon vor Covid-19!

Sind Verschwöru­ngsgläubig­e überhaupt erreichbar für sachliche Argumente und Aufklärung? Und wie? Blume: Umso früher man eingreift, umso besser. Ich stelle zudem fest, dass auch QAnon-Gläubige bisweilen Zweifel bekommen. Das ist ein Grund, weshalb mein Team und ich mit dem Podcast „Verschwöru­ngsfragen“so aktiv sind. Wir wollen auch sie zum Nachdenken einladen. Sicher sind nicht alle ansprechba­r, aber es lohnt sich, um jede Seele zu kämpfen. Interview: D. Wirsching

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Auf einer Corona‰Demo in Berlin war diese Fahne zu sehen: Neben Bildern von US‰ Präsident Donald Trump ist der Buchstabe „Q“für QAnon sowie der Slogan dieser Verschwöru­ngsbewegun­g – „WWG1WGA“– zu erkennen.
 ??  ?? Michael Blume, 44, ist evangelisc­her Religions‰ wissenscha­ftler und in Ba‰ den‰Württember­g Be‰ auftragter der Landesregi­e‰ rung gegen Antisemiti­smus. Aktuel‰ les Buch: „Verschwöru­ngsmythen“.
Michael Blume, 44, ist evangelisc­her Religions‰ wissenscha­ftler und in Ba‰ den‰Württember­g Be‰ auftragter der Landesregi­e‰ rung gegen Antisemiti­smus. Aktuel‰ les Buch: „Verschwöru­ngsmythen“.

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