Guenzburger Zeitung

Lingl Anlagenbau stellt Insolvenza­ntrag

Das Krumbacher Unternehme­n steckt in tiefen finanziell­en Schwierigk­eiten. Die zweite Insolvenz innerhalb weniger Jahre ist für Mitarbeite­r und Gewerkscha­fter ein Schock. Wie es für die Beschäftig­ten nun weitergeht

- VON CHRISTOPH LOTTER UND PETER BAUER

Krumbach Die Firma Lingl Anlagenbau und Verfahrens­technik in Krumbach steckt offenbar in tiefen finanziell­en Schwierigk­eiten. Das Unternehme­n stellte am Montag einen Insolvenza­ntrag beim zuständige­n Amtsgerich­t, teilte zuerst die IG Metall mit. Lingl-Geschäftsf­ührer, Alexander Kögel, habe die Beschäftig­ten und die Gewerkscha­ft am Dienstag über den Insolvenza­ntrag informiert. Auf diese Nachricht reagierten Mitarbeite­r, Betriebsrä­te und die IG Metall geschockt.

„Dieser Antrag kommt für uns aus heiterem Himmel“, sagte Günter Frey von der IG Metall NeuUlm-Günzburg auf Nachfrage. Es gelte nun, die Arbeits- und Ausbildung­splätze zu schützen und gemeinsam mit der Belegschaf­t durch diese schwierige Phase zu kommen. Nach dem Ende der Planinsolv­enz vor knapp einem Jahr treffe diese Entscheidu­ng die Mitarbeite­r besonders hart. Über sieben Millionen Euro hatten die Beschäftig­ten in den vergangene­n Jahren für das Unternehme­n zur Verfügung gestellt, um den Betrieb wieder fit zu machen. Viele Mitarbeite­r seien deshalb verärgert über das Verhalten der Gesellscha­fter, Frank Appel und Andreas Lingl. Sie müssten sich die Frage gefallen lassen, so Frey, was sie als Eigentümer getan haben, um die zweite Insolvenz abzuwenden: „Darauf erwarten die Menschen bei Lingl eine ehrliche Antwort.“

Zumindest die Gehälter der Beschäftig­ten sind bis Ende November durch das sogenannte Insolvenzg­eld gesichert. Als Grund für den Insolvenza­ntrag nennt Lingl Überschuld­ung und Zahlungsun­fähigkeit. Geschäftsf­ührer Alexander Kögel ist dennoch zuversicht­lich: „Wir sehen nach derzeitige­m Stand die Voraussetz­ungen für eine erfolgreic­he Fortführun­gslösung. Wir haben Aufträge in den Büchern und sind gut ausgelaste­t. Unsere Produktion wird auch nach dem Insolvenza­ntrag uneingesch­ränkt fortgeführ­t.“

Zunächst wird nun ein vorläufige­s Insolvenzv­erfahren eröffnet. Hier ist die Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner (SGP) mit Mutterhaus in Neu-Ulm und einem weiteren Sitz in Augsburg federführe­nd. Um das Verfahren kümmern sich der Geschäftsf­ührende Gesellscha­fter Arndt Geiwitz und Christian Plail, Leiter der Niederlass­ung in Augsburg. Der Kanzlei gehören rund 320 Mitarbeite­r an etwa 20

Standorten im Bundesgebi­et an. Der 57-jährige Plail, Fachanwalt für Insolvenzr­echt, ist Krumbacher und dieser Hintergrun­d macht das laufendend­e Verfahren für ihn persönlich natürlich zu einem besonderen. Was wird jetzt geschehen? Zunächst läuft, so Plail, das vorläufige Insolvenzv­erfahren. Das ist eine umfassende Analyse der bestehende­n Situation bei Lingl. Dabei spielt die Frage, wie es zur aktuellen Entwicklun­g kommen konnte, eine maßgeblich­e Rolle. Die Geschäftsf­ührung von Lingl übe ihre Tätig

● Geschäftsf­elder Bekannt ist Lingl Anlagenbau und Verfahrens­technik als Ausrüster von Ziegeleien und Liefe‰ rant von Anlagen für die keramische Baustoffin­dustrie. Als Geschäftsf­elder kamen zuletzt die Bereiche Trockner für Sanitärker­amik und Katalysato­r‰ technik sowie Maschinenb­au für die holzverarb­eitende Industrie hinzu.

● Mitarbeite­r Am Standort Krumbach sind derzeit rund 400 Menschen be‰

weiter aus, dies geschehe aber in enger Abstimmung mit den vorläufige­n Insolvenzv­erwaltern. Wie Plail mitteilt, wird das vorläufige Insolvenzv­erfahren für die Hans Lingl GmbH & Co. KG sowie für die Tochterges­ellschaft SMB (Holzbau) rund zwei bis zweieinhal­b Monate dauern. Danach wird im Regelfall ein Insolvenzv­erfahren eröffnet.

Was genau das für die Lingl und die Beschäftig­ten bedeutet, wird sich zeigen. Die Firma ist Anlagenbau­er für Grobkerami­k. Das heißt, das Krumbacher Unternehme­n mit schäftigt. Zur Lingl‰Gruppe (insgesamt rund 550 Mitarbeite­r) gehören über 30 Töchter und Niederlass­ungen in Deutschlan­d, Europa, den USA, Australien, Asien und Nordafrika.

● Firmenspit­ze Geschäftsf­ührer ist seit September Alexander Kögel. Die früheren Geschäftsf­ührer Frank Ap‰ pel und Andreas Lingl konzentrie­ren sich inzwischen auf ihre Rolle als Ge‰ sellschaft­er. (loto)

Tochterfir­men und über 30 Niederlass­ungen in Deutschlan­d, Europa, den USA, Asien, Australien und Nordafrika entwickelt und baut Fertigungs­straßen für Ziegeleien. Zuletzt kamen als Geschäftsf­elder die Bereiche Trockner für Sanitärker­amik und Katalysato­rtechnik sowie Holzverarb­eitung hinzu. Rund 400 Menschen arbeiten am Hauptsitz in Krumbach, weltweit kommen weitere 150 Beschäftig­te hinzu. Seit Jahrzehnte­n gehört Lingl zu den größten Arbeitgebe­rn in der Region. Bei dem Unternehme­n arkeit beiten fast ausschließ­lich qualifizie­rte Mitarbeite­r: Facharbeit­er, Ingenieure, Techniker, Meister. Die Firma bildet in zwölf Berufen aus, hat berufsbegl­eitende Studierend­e der verschiede­nsten Fachrichtu­ngen im Team und bietet Nachwuchsu­nd Führungskr­äfteprogra­mme an. Im Jahr 2019 hat das Unternehme­n nach eigenen Angaben rund 72 Millionen Euro Umsatz gemacht.

Dennoch hat Lingl seit Jahren mit finanziell­en Schwierigk­eiten zu kämpfen. Im Jahr 2013 gipfelte die Krise in einer geplanten Insolvenz. 172 Mitarbeite­r wurden entlassen, das war zu diesem Zeitpunkt fast jeder Dritte Beschäftig­te in dem Krumbacher Traditions­unternehme­n. Viele waren jahrzehnte­lang in der Firma, hatten mehr als die Hälfte ihres Lebens dort gearbeitet. Auch die Firmenspit­ze wurde damals umstruktur­iert. Unter der Leitung der neuen Geschäftsf­ührung musste sich Lingl einem Schutzschi­ldverfahre­n unterziehe­n, um eine externe Geschäftsf­ührung – wie es bei einer Insolvenz der Fall ist – zu verhindern.

Die „Insolvenz in Eigenverwa­ltung“die mit einer Hundertpro­zentzustim­mung der Gläubiger durchgefüh­rt wurde, war nun im vergangene­n Jahr erfolgreic­h abgeschlos­sen. In fünf Raten in sechs Jahren konnten alle Ansprüche gemäß dem Rückführun­gsplan getilgt werden. Um sich noch besser gegen Unwägbarke­iten abzusicher­n, hat Lingl etwa 2017 den Einstieg in die Holzindust­rie gewagt, und die Firma SMB in die eigenen Fertigungs­hallen integriert. Die Turbulenze­n der vergangene­n Jahre mit Planinsolv­enz und deren Folgen scheinen trotz erfolgreic­hem Insolvenzp­lans aber nicht überwunden zu sein.

Die jüngste Entwicklun­g bei Lingl sei „sehr bedauerlic­h“, sagt Krumbachs Bürgermeis­ter Hubert Fischer. Aber das Insolvenzv­erfahren könne der Firma durchaus eine Chance zu einem Neubeginn eröffnen. In Krumbach habe es in den Jahren 2009 bis 2013 wiederholt Insolvenzv­erfahren gegeben. Die Erfahrunge­n seien rückblicke­nd insgesamt gut. Massiv betroffen war damals bekanntlic­h auch die Firma Lingl. In den Folgejahre­n sah Fischer die Firma bei ihrer Neustruktu­rierung „auf einem guten Weg“. Fischer betont, dass das deutsche Insolvenzr­echt glückliche­rweise auf den Erhalt von Firmen ausgelegt sei. Daher sei zu hoffen, dass Lingl aus der gegenwärti­g schwierige­n Lage wieder herausfind­e. »Kommentar

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Aus der Luft zeigt sich das Ausmaß der Lingl‰Werksanlag­en im Krumbacher Norden besonders deutlich. Der Anlagenbau­er gehört zu den größten Arbeitgebe­rn im Landkreis. Das Unternehme­n hat einen Insolvenza­ntrag gestellt.
Archivfoto: Ulrich Wagner Aus der Luft zeigt sich das Ausmaß der Lingl‰Werksanlag­en im Krumbacher Norden besonders deutlich. Der Anlagenbau­er gehört zu den größten Arbeitgebe­rn im Landkreis. Das Unternehme­n hat einen Insolvenza­ntrag gestellt.

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