Lingl Anlagenbau stellt Insolvenzantrag
Das Krumbacher Unternehmen steckt in tiefen finanziellen Schwierigkeiten. Die zweite Insolvenz innerhalb weniger Jahre ist für Mitarbeiter und Gewerkschafter ein Schock. Wie es für die Beschäftigten nun weitergeht
Krumbach Die Firma Lingl Anlagenbau und Verfahrenstechnik in Krumbach steckt offenbar in tiefen finanziellen Schwierigkeiten. Das Unternehmen stellte am Montag einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht, teilte zuerst die IG Metall mit. Lingl-Geschäftsführer, Alexander Kögel, habe die Beschäftigten und die Gewerkschaft am Dienstag über den Insolvenzantrag informiert. Auf diese Nachricht reagierten Mitarbeiter, Betriebsräte und die IG Metall geschockt.
„Dieser Antrag kommt für uns aus heiterem Himmel“, sagte Günter Frey von der IG Metall NeuUlm-Günzburg auf Nachfrage. Es gelte nun, die Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schützen und gemeinsam mit der Belegschaft durch diese schwierige Phase zu kommen. Nach dem Ende der Planinsolvenz vor knapp einem Jahr treffe diese Entscheidung die Mitarbeiter besonders hart. Über sieben Millionen Euro hatten die Beschäftigten in den vergangenen Jahren für das Unternehmen zur Verfügung gestellt, um den Betrieb wieder fit zu machen. Viele Mitarbeiter seien deshalb verärgert über das Verhalten der Gesellschafter, Frank Appel und Andreas Lingl. Sie müssten sich die Frage gefallen lassen, so Frey, was sie als Eigentümer getan haben, um die zweite Insolvenz abzuwenden: „Darauf erwarten die Menschen bei Lingl eine ehrliche Antwort.“
Zumindest die Gehälter der Beschäftigten sind bis Ende November durch das sogenannte Insolvenzgeld gesichert. Als Grund für den Insolvenzantrag nennt Lingl Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Geschäftsführer Alexander Kögel ist dennoch zuversichtlich: „Wir sehen nach derzeitigem Stand die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fortführungslösung. Wir haben Aufträge in den Büchern und sind gut ausgelastet. Unsere Produktion wird auch nach dem Insolvenzantrag uneingeschränkt fortgeführt.“
Zunächst wird nun ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet. Hier ist die Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner (SGP) mit Mutterhaus in Neu-Ulm und einem weiteren Sitz in Augsburg federführend. Um das Verfahren kümmern sich der Geschäftsführende Gesellschafter Arndt Geiwitz und Christian Plail, Leiter der Niederlassung in Augsburg. Der Kanzlei gehören rund 320 Mitarbeiter an etwa 20
Standorten im Bundesgebiet an. Der 57-jährige Plail, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Krumbacher und dieser Hintergrund macht das laufendende Verfahren für ihn persönlich natürlich zu einem besonderen. Was wird jetzt geschehen? Zunächst läuft, so Plail, das vorläufige Insolvenzverfahren. Das ist eine umfassende Analyse der bestehenden Situation bei Lingl. Dabei spielt die Frage, wie es zur aktuellen Entwicklung kommen konnte, eine maßgebliche Rolle. Die Geschäftsführung von Lingl übe ihre Tätig
● Geschäftsfelder Bekannt ist Lingl Anlagenbau und Verfahrenstechnik als Ausrüster von Ziegeleien und Liefe rant von Anlagen für die keramische Baustoffindustrie. Als Geschäftsfelder kamen zuletzt die Bereiche Trockner für Sanitärkeramik und Katalysator technik sowie Maschinenbau für die holzverarbeitende Industrie hinzu.
● Mitarbeiter Am Standort Krumbach sind derzeit rund 400 Menschen be
weiter aus, dies geschehe aber in enger Abstimmung mit den vorläufigen Insolvenzverwaltern. Wie Plail mitteilt, wird das vorläufige Insolvenzverfahren für die Hans Lingl GmbH & Co. KG sowie für die Tochtergesellschaft SMB (Holzbau) rund zwei bis zweieinhalb Monate dauern. Danach wird im Regelfall ein Insolvenzverfahren eröffnet.
Was genau das für die Lingl und die Beschäftigten bedeutet, wird sich zeigen. Die Firma ist Anlagenbauer für Grobkeramik. Das heißt, das Krumbacher Unternehmen mit schäftigt. Zur LinglGruppe (insgesamt rund 550 Mitarbeiter) gehören über 30 Töchter und Niederlassungen in Deutschland, Europa, den USA, Australien, Asien und Nordafrika.
● Firmenspitze Geschäftsführer ist seit September Alexander Kögel. Die früheren Geschäftsführer Frank Ap pel und Andreas Lingl konzentrieren sich inzwischen auf ihre Rolle als Ge sellschafter. (loto)
Tochterfirmen und über 30 Niederlassungen in Deutschland, Europa, den USA, Asien, Australien und Nordafrika entwickelt und baut Fertigungsstraßen für Ziegeleien. Zuletzt kamen als Geschäftsfelder die Bereiche Trockner für Sanitärkeramik und Katalysatortechnik sowie Holzverarbeitung hinzu. Rund 400 Menschen arbeiten am Hauptsitz in Krumbach, weltweit kommen weitere 150 Beschäftigte hinzu. Seit Jahrzehnten gehört Lingl zu den größten Arbeitgebern in der Region. Bei dem Unternehmen arkeit beiten fast ausschließlich qualifizierte Mitarbeiter: Facharbeiter, Ingenieure, Techniker, Meister. Die Firma bildet in zwölf Berufen aus, hat berufsbegleitende Studierende der verschiedensten Fachrichtungen im Team und bietet Nachwuchsund Führungskräfteprogramme an. Im Jahr 2019 hat das Unternehmen nach eigenen Angaben rund 72 Millionen Euro Umsatz gemacht.
Dennoch hat Lingl seit Jahren mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Jahr 2013 gipfelte die Krise in einer geplanten Insolvenz. 172 Mitarbeiter wurden entlassen, das war zu diesem Zeitpunkt fast jeder Dritte Beschäftigte in dem Krumbacher Traditionsunternehmen. Viele waren jahrzehntelang in der Firma, hatten mehr als die Hälfte ihres Lebens dort gearbeitet. Auch die Firmenspitze wurde damals umstrukturiert. Unter der Leitung der neuen Geschäftsführung musste sich Lingl einem Schutzschildverfahren unterziehen, um eine externe Geschäftsführung – wie es bei einer Insolvenz der Fall ist – zu verhindern.
Die „Insolvenz in Eigenverwaltung“die mit einer Hundertprozentzustimmung der Gläubiger durchgeführt wurde, war nun im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossen. In fünf Raten in sechs Jahren konnten alle Ansprüche gemäß dem Rückführungsplan getilgt werden. Um sich noch besser gegen Unwägbarkeiten abzusichern, hat Lingl etwa 2017 den Einstieg in die Holzindustrie gewagt, und die Firma SMB in die eigenen Fertigungshallen integriert. Die Turbulenzen der vergangenen Jahre mit Planinsolvenz und deren Folgen scheinen trotz erfolgreichem Insolvenzplans aber nicht überwunden zu sein.
Die jüngste Entwicklung bei Lingl sei „sehr bedauerlich“, sagt Krumbachs Bürgermeister Hubert Fischer. Aber das Insolvenzverfahren könne der Firma durchaus eine Chance zu einem Neubeginn eröffnen. In Krumbach habe es in den Jahren 2009 bis 2013 wiederholt Insolvenzverfahren gegeben. Die Erfahrungen seien rückblickend insgesamt gut. Massiv betroffen war damals bekanntlich auch die Firma Lingl. In den Folgejahren sah Fischer die Firma bei ihrer Neustrukturierung „auf einem guten Weg“. Fischer betont, dass das deutsche Insolvenzrecht glücklicherweise auf den Erhalt von Firmen ausgelegt sei. Daher sei zu hoffen, dass Lingl aus der gegenwärtig schwierigen Lage wieder herausfinde. »Kommentar