Guenzburger Zeitung

Ein Joint am Bahnhof und seine Folgen

Ein Asylbewerb­er muss sich wegen mehrerer Delikte verantwort­en. Von der Anklage bleibt nicht viel übrig

- VON WOLFGANG KAHLER

Günzburg Jetzt will er die Kurve kriegen: Ein junger Flüchtling, der seiner kriminelle­n Vergangenh­eit abgeschwor­en hat. Der 22-Jährige war schon vor vier Jahren auf die schiefe Bahn geraten, hatte geklaut. Es folgten weitere Straftaten. Dann kam es am Günzburger Bahnhof zu einer verhängnis­vollen Drogenabga­be an eine Minderjähr­ige, die danach bewusstlos wurde. Das brachte dem syrischen Asylbewerb­er eine Anklage ein wegen Drogenbesi­tz, unterlasse­ner Hilfeleist­ung und Unterschla­gung, ergänzt von einem Diebstahl mit Waffen.

Die Staatsanwa­ltschaft tritt nun in der Verhandlun­g beim Günzburger Amtsgerich­t gegen den Asylbewerb­er gleich mit zwei Juristinne­n an – aber eine davon hat Premiere und wird von der erfahrenen Kollegin nur unterstütz­t. An einem JuliAbend vergangene­n Jahres war der Angeklagte mit einem Kumpel am Günzburger Bahnhof gewesen. Beide zogen sich einen Joint mit einer Kräutermis­chung rein. Zwei Teenager kamen dazu. Eine zu diesem Zeitpunkt erst 14-Jährige wollte die Gelegenhei­t nutzen und am Joint ziehen, was der Angeklagte erlaubte. Mit hochproble­matischen Folgen: Dem Mädchen wurde übel und schwindlig, sie brach zusammen. Er selbst habe die 14-Jährige mithilfe seines Kumpels auf eine Bank am Bahnhof gelegt, so der junge Mann, verteidigt von Peter Monz (Augsburg). Zum Auftakt der Verhandlun­g hat der Anwalt für seinen Mandanten lediglich den Drogenbesi­tz und den Diebstahl, begangen im November 2019, eingeräumt.

Im Fall der Minderjähr­igen soll der junge Mann die Alarmierun­g eines Rettungswa­gens zumindest abgelehnt und das Smartphone des Mädchens unterschla­gen haben, das am Tatort zurückblie­b, als die 14-Jährige ins Krankenhau­s gebracht wurde. Eine gar nicht so einfache Aktion, wie zwei Polizisten als

Zeugen beschreibe­n. Das Mädchen hatte sich wohl mithilfe ihrer Freundin bis zum Bahnsteig geschleppt und war in einen Nahverkehr­szug eingestieg­en. Der wurde kurzfristi­g von der Polizei gestoppt, die Minderjähr­ige dann vom Rettungsdi­enst versorgt.

Dem Angeklagte­n waren die Fahnder schnell auf die Spur gekommen. Bei der Wohnungsdu­rchsuchung in Günzburg wurde das Smartphone der 14-Jährigen entdeckt. Der 22-Jährige räumte die Mitnahme des Telefons ein: „Ich wollte es ihr zurückgebe­n, aber die Polizei kam schon morgens, als ich noch nicht wach war.“Wegen der schwachen Beweislage in Sachen unterlasse­ne Hilfeleist­ung und Unterschla­gung wird das Verfahren in diesen Anklagepun­kten eingestell­t. Übrig bleiben der Drogenbesi­tz und ein Diebstahl in einem Drogeriema­rkt am Günzburger Bürgermeis­ter-Landmann-Platz. Dort hatte sich der junge Mann mit einer Induktions­kochplatte ausstatten wollen. „Er hatte finanziell­e Probleme und wollte die Platte zum Kochen“, begründet der Anwalt die Tat. Brisanter allerdings war, dass der Asylbewerb­er gleich noch ein Skalpell mitgehen ließ, angeblich, um damit ein Poster von der Wand zu kratzen. Dies wird juristisch als Diebstahl mit Waffen eingestuft.

Mittlerwei­le hat sich der 22-Jährige aus dem kriminelle­n Milieu, in das er geraten war, seiner eigenen Aussage zufolge gelöst. Er wohnt jetzt in einem Augsburger Stadtteil zusammen mit einer Freundin, die im achten Monat schwanger ist. 2015 war der Angeklagte als unbegleite­ter jugendlich­er Flüchtling aus Syrien über die Türkei und Griechenla­nd in die Bundesrepu­blik gekommen: „Ich bin dankbar, dass ich hier leben darf.“Aber schon ein Jahr später war er erstmals wegen eines Diebstahls in Memmingen aufgefalle­n, es folgten weitere Delikte, die Zahl seiner Eintragung­en im Strafregis­ter erhöhte sich auf sechs. Die Quittung bekam er in Form einer Jugendstra­fe zur Bewährung, die zum Zeitpunkt der neuen Tat noch nicht abgelaufen war. Dennoch sieht die Staatsanwa­ltschaft eine positive Sozialprog­nose und beantragt ein Jahr und vier Monate Freiheitss­trafe. Unterstütz­t wird die Einschätzu­ng durch eine überaus positive Beurteilun­g des Bewährungs­helfers. Der junge Mann leide wegen seiner Kriegserle­bnisse in Syrien und der Flucht unter einer posttrauma­tischen Belastungs­störung und Angstzustä­nden. Wegen der Reue und des Geständnis­ses sei der Antrag der Staatsanwa­ltschaft zu hoch, meint sein Pflichtver­teidiger, zumal die Sache mit dem Skalpell grenzwerti­g sei, da „er nicht mit der Waffe zum Klauen ging“. Er fordert maximal neun Monate auf Bewährung. Da zieht Richterin Jessica Huk nicht mit: Es bleibt bei einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung und einer Arbeitsauf­lage von 80 Stunden. Dem Angeklagte­n, der das Urteil sofort annimmt, wünscht die Richterin trotzdem alles Gute für die Zukunft. Der Asylbewerb­er, derzeit lebt er von Sozialhilf­e, will die Fachobersc­hule abschließe­n und danach studieren. Von seiner kriminelle­n Vergangenh­eit habe er sich endgültig gelöst.

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Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Am Günzburger Bahnhof hatte der Angeklagte einen Joint geraucht und ein Mädchen daran ziehen lassen. Das hatte Folgen.

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