Guenzburger Zeitung

„Es wird keine Corona‰Impfpflich­t geben“

Alena Buyx ist die neue Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrates. Das Gremium ist derzeit schon allein wegen Covid-19 stark gefordert. Was sie sich vorgenomme­n hat und warum die Briten uns beneiden

- Interview: Markus Bär

Frau Prof. Buyx, im Mai sind Sie zur Vorsitzend­en des Deutschen Ethikrates gewählt worden. Werden Sie in München, wo Sie als Professori­n an der Technische­n Universitä­t tätig sind, beim Spazieren auf der Straße erkannt?

Alena Buyx: Nein (lacht). Sicher hat sich in den vergangene­n Monaten mein Medienprof­il etwas geschärft. Dazu gehört natürlich auch, dass ich immer wieder einmal auch im Fernsehen – etwa bei Anne Will – zu sehen bin. Aber dass ich auf der Straße erkannt werde? Nein. Ist auch gut so, dass mich da niemand erkennt.

Viele Menschen wissen gar nicht, was der Ethikrat ist. Was genau kann das Gremium bestimmen oder beeinfluss­en? Buyx: Wir sind ein Beratungsg­remium, das einmal monatlich in Berlin tagt und das gegenwärti­g aus 24 Mitglieder­n besteht, die je zur Hälfte von der Bundesregi­erung und vom Bundestag berufen werden – für vier Jahre. Bei den – übrigens ehrenamtli­ch tätigen – Mitglieder­n handelt es sich um Experten zum Beispiel aus den Bereichen Naturwisse­nschaften, Theologie oder Rechtswiss­enschaften. Wir haben überhaupt nichts zu bestimmen. Aber den Vorteil, dass uns die Politik nach unserer begründete­n Position fragt, und sich dann oft an unsere Ratschläge hält.

Dazu gibt es ja mit Corona einen aktuellen Anlass. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hat den Ethikrat jüngst gebeten, eine Stellungna­hme dazu abzugeben, ob er die Einführung einer Immunitäts­bescheinig­ung befürworte­n würde. Was bedeutet eine solche Bescheinig­ung und wie war das Echo des Rates?

Buyx: Es ging Herrn Spahn um Menschen, die eine Covid-Erkrankung durchgemac­ht haben und die – durch einen Antikörper­test nachgewies­en – immun sind. Sollten wir diese von Einschränk­ungen der Freiheit, die die Corona-Schutzmaßn­ahmen erzeugen, ausnehmen? Etwa dafür, dass man diese Menschen im Gesundheit­ssystem einsetzen kann? Wir sagen einhellig: Niemand weiß momentan genau, wie lange eine Immunität gegen Covid anhält und wie man die dauerhaft nachweisen könnte. Darum lehnen wir das ab. Zumal es windige Antikörper­test-Angebote im Internet gibt, die aber teils viel zu unzuverläs­sig sind.

Offenbar gab es ja im Ethikrat darüber hinaus zwei Meinungen dazu. Mit zwei etwa gleich großen Lagern im Gremium.

Buyx: Richtig. Die eine Position lautet, dass ein solcher Immunitäts­nachweis eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft schaffen könnte – in der jene, die keinen Immunitäts­nachweis vorlegen können, diskrimini­ert werden. Die andere Position besagt, dass man, sofern ein solcher Nachweis mit definitive­r Sicherheit Immunität ausweist, kluge Regelungen schaffen könnte. Immunitäts­bescheinig­ungen könnten dann unter bestimmten Voraussetz­ungen etwa in sensiblen Bereichen wie der Versorgung alter Menschen, die gefährdet sind, eingesetzt werden. Ich selbst neige letzterer Position zu.

Wird Jens Spahn den

Rat Ihres Gremiums befolgen?

Buyx: Ich glaube schon. Denn die Immunitäts­bescheinig­ung scheint, nach allem, was ich weiß, vorerst vom Tisch zu sein. Herr Spahn hat unseren Rat jedenfalls sehr positiv aufgenomme­n. Wir hatten ihm unsere Empfehlung ja persönlich in Berlin übergeben.

Kritiker befürchten, dass eine Immunitäts­bescheinig­ung dazu führt, dass dies die indirekte Einführung einer Impfpflich­t bedeuten würde. Etwa so: „Sie wollen diesen Job, die Ausbildung, Zutritt zu dieser Veranstalt­ung? Kriegen Sie aber nur, wenn Sie mir eine Immunitäts­bescheinig­ung vorlegen, in der Sie die Immunität gegenüber Covid beispielsw­eise durch eine Impfung vorweisen können.“Halten Sie diese Kritik für gerechtfer­tigt?

Buyx: Eine solche Immunitäts­bescheinig­ung mit solchen Folgen könnte einer Diskrimini­erung gleichkomm­en. Man kann sich – wie wir in einer früheren Stellungna­hme zur Masernimpf­ung gesagt haben – lediglich eng berufsbezo­gene Impfvorgab­en vorstellen. Etwa für jene, die in Pflegeheim­en arbeiten. Aber ansonsten nicht. Es wird keine allgemeine Corona-Impfpflich­t geben. Da bin ich mir sicher.

Welche ethischen Themen halten Sie derzeit neben dem Thema Corona für besonders brisant?

Buyx: Ganz sicher steht das Thema der Selbsttötu­ng und wie wir als Gesellscha­ft damit umgehen, im Fokus. Die Frage ist überdies, welche Rolle Ärzten zukommt – in der Beihilfe zur Selbsttötu­ng. Dazu richten wir bald zwei öffentlich­e Veranstalt­ungen aus. Ein weiteres wichtiges Thema der Zukunft wird der Bereich Verhältnis Mensch–Maschine sein.

Warum?

Buyx: Algorithme­n können inzwischen Teile von ärztlichen Tätigkeite­n übernehmen, sie beeinfluss­en das Leben von uns allen, aber vor allem unserer Kinder, weil diese nun fast durchweg mit Smartphone und Computer aufwachsen. Das sind nur zwei Beispiele. Die ethische Frage lautet: Wie kann man ein gutes Leben führen – in einer Welt voller digitaler Maschinen?

Sie haben eine bemerkensw­erte akademisch­e Karriere vorzuweise­n. So haben Sie zeitgleich in Münster Medizin sowie Soziologie und Philosophi­e studiert und gleichzeit­ig 2005 die Vollapprob­ation in der Medizin wie auch den Magister in den beiden anderen Fächern erlangt. Haben Sie schon einmal einen IQ-Test gemacht? Sind Sie hochbegabt?

Buyx: Das mit dem IQ-Test lassen wir jetzt mal weg (lacht erneut). Ich glaube, das ist keine Frage der Hochbegabu­ng, sondern ob man für eine Sache wirklich brennt. Und ich habe immer für die Kombinatio­n dieser beiden Fächer gebrannt. Ich musste mich nie zu etwas zwingen, auch wenn es harte Arbeit war. Aber ich habe es mit Leidenscha­ft gemacht. Und so war das für mich gut machbar.

Sie sind nun Vorsitzend­e des Deutschen Gremiums, waren aber von 2009 bis 2012 stellvertr­etende Direktorin eines britischen Ethikrates, des Nuffield Council on Bioethics. Halten die Briten die Deutschen inzwischen ethisch für besonders weit fortgeschr­itten? Oder wie ist der Blick von der Insel aus in dieser Sache auf Deutschlan­d? Buyx: Früher haben sich die Briten immer wieder gewundert darüber, wie polarisier­t einige ethische Debatten in Deutschlan­d geführt wurden. Dafür waren wir echt bekannt. Etwa unsere Diskussion­en zu den Themen Sterbehilf­e oder zum moralische­n Status des Embryos. Gleichzeit­ig haben die Briten uns auch beneidet. Denn der Deutsche Ethikrat etwa muss keine Konsenspos­ition erarbeiten. Das ist auf der Insel anders. Da ist das nicht vorgesehen, dass man einen starken Dissens transparen­t macht, jedenfalls nicht in unserem englischen Schwester-Gremium.

Wie kamen Sie als Deutsche dazu? Buyx: Ich war nicht Mitglied des Ethikrates, sondern stellvertr­etende Direktorin. Damit sozusagen Mitglied der Exekutive des Gremiums, also ausführend­es Organ. Aber dass man da als Deutsche mitmacht, hat auf der Insel Tradition. Die Briten hören sich immer wieder Stimmen von außen an. Sie haben ja zum Beispiel auch den großen Soziologen Ralf Dahrendorf geadelt und zum Mitglied ihres Oberhauses gemacht.

Sie haben sich in Ihrer Laufbahn stets mit Ethik beschäftig­t. Standen Sie als Ärztin je am Krankenbet­t? Wenn ja, wie viele Jahre und wo war das? Buyx: Eine kurze Zeit lang wollte ich Neurologin werden. Ich habe auch die Vollapprob­ation als Ärztin erlangt, aber zum Beispiel nie eine Station geführt. Darum sage ich ungern, dass ich Ärztin bin, sondern inzwischen eher: ich bin Medizineri­n. Stattdesse­n habe ich mich schnell auf den Bereich Ethik konzentrie­rt.

Warum ist Ethik für Sie ein so spannendes Thema?

Buyx: Ethische Fragen entstehen sehr häufig dann, wenn technologi­sche Entwicklun­gen Veränderun­gen in der Gesellscha­ft auslösen. Das war schon vor 2000 Jahren so. Und das ist immer noch so. Ein gutes Beispiel ist etwa das Auto. Es beeinfluss­t unser ganzes Leben und hat sehr viele Vorteile. Es führt aber auch zu einem Wandel im Städtebau. Es befördert auf der Welt das Übergewich­t vieler Menschen. Es trägt zum Klimawande­l bei. Nicht zuletzt tötet das Auto Menschen. Daraus ergeben sich also viele ethische Fragen. Ethik ist das Nachdenken über Moral, über das gute und richtige Handeln. Wie soll ich mich in einer Situation verhalten? Was ist die richtige Entscheidu­ng? Welche Werte bringe ich meinem Kind bei?

Welche Schwerpunk­te wollen Sie in den kommenden Jahren setzen?

Buyx: Ich denke, dass der Umgang mit der Pandemie auch in den kommenden Jahren von ganz allein ein Schwerpunk­t unserer Arbeit bleiben wird. Das können wir uns nicht aussuchen. Es wird weiter um die richtige Balance gehen, wie man das Leben schützen kann und gleichzeit­ig die Gesellscha­ft am Laufen hält. Um das Abwägen: Wie weit reicht individuel­le Freiheit und wann muss sie gegenüber dem Allgemeinw­ohl zurücksteh­en? Wir haben schon im März gesagt, dass die restriktiv­en Maßnahmen Folgeschäd­en in der Gesellscha­ft erzeugen. Und dass die Grundrecht­e nur zeitlich begrenzt eingeschrä­nkt werden dürfen – und so wenig wie möglich.

Was wollen Sie tun, damit der Ethikrat einflussre­icher und bekannter wird? Buyx: Wir machen viele Besuche bei Politikern, richten öffentlich­e Veranstalt­ungen aus. Das ist derzeit wegen der Corona-Regelungen nicht ganz einfach. Vieles findet online statt, das ist dann nicht immer so wirksam. Aber wir bemühen uns.

Sie sind erst 43 Jahre alt. Wie lange bleiben Sie Vorsitzend­e des Gremiums und welches Amt würden Sie darüber hinaus noch gerne anstreben?

Buyx: Nun, meine Amtszeit läuft noch dreieinhal­b Jahre. Was danach kommen könnte? Männer sagen ja oft, sie würden gern einmal Bundestrai­ner werden. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich zum Beispiel gern einmal Direktorin der Festspiele in Bayreuth. Ich liebe Musik. Allerdings fehlt mir dazu die Expertise. Also wird es wohl nichts mit Bayreuth. Spaß beiseite: Ich bin als Professori­n an der TUM auch so genug beschäftig­t.

Alena Buyx, 43, kam in Osnabrück zur Welt. Sie ist Professori­n für Medizineth­ik an der Technische­n Uni‰ versität München, verheirate­t und hat zwei Kinder.

„Windige Angebote im Internet“

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Foto: Metodi Popow, picture alliance, SZ Photo Alena Buyx studierte in Münster zeitgleich Medizin sowie Philosophi­e und Soziologie – und fokussiert­e sich beruflich rasch auf das Thema Ethik.

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