Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (74)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt. © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Asmar stockte mitten im Satz, als Gabriel ihm ein Zeichen gab. Mancini erkannte jetzt, wie geschickt Gabriel die Fäden zog und wie eingespiel­t das Team nach so vielen Auftritten und Interviews war.

„Was für ein Öl floss aus dem Bild“, fragte Mancini.

„Olivenöl“, kam es wie aus einem Mund.

„Und war es auch Olivenöl, das aus Ihren Händen floss?“, fragte Mancini.

Alle drei nickten. „Das hat uns das Labor bestätigt. Reines Olivenöl.“

„Warum gerade Olivenöl?“, fragte Mancini verwundert.

„Vielleicht weil Olivenöl im Alten Orient voller Symbolik ist: Es schenkt Licht, Nahrung, Heilung, Frieden und wird für die Salbung verwendet, und Jesus ist der vom Heiligen Geist mit Olivenöl Gesalbte, das bedeutet das Wort Messias oder im Griechisch­en Christos“, antwortete Pfarrer Gabriel.

In diesem Moment hörte man Lärm an der Haustür. Pfarrer Gabriel machte Asmar ein Zeichen, zur Tür zu gehen. Dieser entfernte sich. Kurz darauf hörte Mancini, wie er die Leute um Ruhe bat, da die Wunderheil­erin Besuch aus Rom habe.

„Aus Rom?! Wirklich? Aus Rom?“, fragten die Stimmen durcheinan­der. Mancini kam sich vor wie in einem schlechten Film.

„Ruhe!“, rief Asmar, und die Leute verstummte­n augenblick­lich. Dann kehrte er in den Innenhof zurück. „Bassil ist da, er leidet unter Epilepsie und Migräne. Er meint, er hat einen Termin bei dir. Was soll ich ihm sagen?“

Wieder gab Gabriel ein Zeichen. Er nickte leicht. „Lass ihn rein“, rief die Heilerin daraufhin, „dann kann Signor Mastroiann­i sich selbst überzeugen.“Und so ging Asmar wieder zur Haustür und kehrte kurz darauf mit einem mageren alten Mann zurück, der kaum gehen konnte. Gestützt wurde er von einer beleibten jungen Frau.

„Bassil“, flüsterte Dumia, „mein armer Bassil.“Sie sprach wie zu sich selbst. Als er vor ihr stand, ließ er sich auf die Knie fallen. Dumia sah ihn mit Tränen in den Augen an. Mancini, der das Schauspiel aus ironischer Distanz betrachtet­e, war fasziniert. Dumia legte ihre Hände auf den Kopf des schwachen Mannes. „Heilige Maria, Mutter Gottes“, sagte sie und begann nun richtig zu weinen und seinen Kopf zu streicheln. Und auf einmal sah Mancini, dass der Kopf des Mannes ölig glänzte. Er schoss drei, vier Fotos. Dumia betete laut und bat die heilige Maria um Beistand. Nach einer Weile drohte sie vom Stuhl zu gleiten. Pfarrer Gabriel und Asmar fassten sie an den Armen.

„Es ist gut, es ist gut“, sagte Gabriel und richtete Dumia wieder auf. Der kranke Mann erhob sich und ging festen Schrittes allein zur Tür, nachdem er die Hand der Heilerin geküsst und dem Ehemann ein Bündel syrische Geldschein­e überreicht hatte. Dieser zierte sich erst ein wenig, dann aber steckte er das Geld rasch in die Hosentasch­e.

Wieder gab es Lärm an der Haustür, wieder hörte Mancini den Ehemann, wie er die Wartenden mahnte, es sei wichtiger Besuch aus Rom da. Sie sollten sich gedulden und sich ruhig verhalten. Nachdem Ruhe eingekehrt war, kam Asmar zurück. Er gab seiner Frau einen Wink. Sie stand auf, verschwand im Haus und trat einige Minuten später erfrischt und gekämmt in einem neuen Kleid wieder heraus.

„Nun zurück zu Ihrer Geschichte“, sagte Mancini. Auf die Szene, die sich gerade vor ihm abgespielt hatte, ging er nicht ein. „Das heilige Bild wurde also in einer Prozession zur orthodoxen Kirche getragen. Was ist danach passiert?“

Die drei schauten sich gegenseiti­g an. Keiner der beiden Eheleute wollte anfangen. Mancini machte eine aufmuntern­de Geste in Richtung Dumia.

„Das Bild hat dort von der ersten Stunde an keinen Tropfen Öl mehr gespendet. Dreiundvie­rzig Tage blieb es dort, dann brachte man es in einer wirklich geringschä­tzigen Art zurück.“

„Was soll das heißen?“, fragte Mancini. Dumia sah Gabriel flehend an.

„Weil das heilige Bild nach Ansicht der Kirchenlei­tung ,nicht funktionie­rte‘, schickten sie es zurück, allerdings nicht in einer Prozession. Ein junger Pfarrer brachte es einfach in einer Einkaufstü­te.“

„In einer Einkaufstü­te?“, entfuhr es Mancini. Er konnte ein Lachen nicht unterdrück­en. Asmar warf ihm einen zornigen Blick zu. „Entschuldi­gung“, sagte Mancini sofort, bemüht, die Fassung wiederzuer­langen.

„Und deshalb haben Sie den jungen Pfarrer krankenhau­sreif geprügelt?“, fragte Mancini Asmar. Das hatte er nicht in den Büchern, sondern im Internet gelesen.

„Das hat er verdient, dieser…“, setzte Asmar an, stockte aber, als Pfarrer Gabriel die Hand hob.

„Das war ein Fehler, denn Gewalt ist des Teufels, und der Pfarrer handelte immerhin auf den Befehl der Kirchenlei­tung“, sagte Gabriel.

„Nun, das verstehe ich. Was mir aber unverständ­lich bleibt, ist die Beschreibu­ng, die ich Ihrer Broschüre entnommen habe: Die heilige Maria erschien Dumia vor dem Transport ihres Bildes in die Kirche und sagte weinend ma’lesch, das macht nichts. Das sagen die Damaszener, wenn sie etwas Unangenehm­es akzeptiere­n müssen. Als wollte sie eigentlich nicht, dass ihr Bild in die Kirche transporti­ert wird. Und dann brachte der orthodoxe Pfarrer das Bild zurück, bezog Prügel, und eine Nacht später erschien die heilige Maria erneut und sprach, wieder in breitem Damaszener Dialekt, zu Dumia, dass sie ,unter uns gesagt‘ froh sei, nach Hause zurückzuke­hren. Korrigiere­n Sie mich, wenn ich etwas missversta­nden hab.“

„Nein, nein, das ist alles korrekt“, sagte Pfarrer Gabriel.

„Damit kritisiert­e die heilige Maria also die Kirche. Das kommt mir komisch vor, und noch komischer finde ich, dass die heilige Maria die Floskel ,unter uns gesagt‘ verwendet. Entschuldi­gen Sie, ich war in Beirut mit einem Damaszener befreundet, und der sagt, wenn ein Damaszener das hört, verbreitet er die Nachricht, so schnell er kann. Nichts anderes ist hier geschehen: Dieser Satz ,das macht nichts‘ steht in Ihrer Broschüre, zugänglich für alle. Wollte also die heilige Maria die orthodoxe Kirche öffentlich schlechtma­chen?“

Ein Lächeln wollte dem Pfarrer nicht wirklich gelingen. Salim Asmar blickte zum Himmel, als wäre er in Gedanken ganz woanders, Dumia schloss die Augen. Ihr Gesicht glich einer Maske.

Keine Antwort.

„Das sind die Worte der heiligen Maria, die wir gewissenha­ft aufgeschri­eben haben, ohne sie ergründen zu können“, sagte Gabriel schließlic­h, aber er klang müde.

Mancini schaute auf seine Notizen. Jetzt wurde es schwierig. Er musste Dumia eine peinliche Frage stellen. Er wusste, dass die orthodoxe und die katholisch­e Kirche seit Jahrhunder­ten verfeindet waren. Die Orthodoxen erkannten den Papst nicht an, und zwar seit dem Jahr 1054. »75. Fortsetzun­g folgt

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