Guenzburger Zeitung

Aufruhr in der Idylle

Kreml-Kritiker Nawalny sucht nach seiner Vergiftung Erholung zwischen Wiesen und Kühen im Schwarzwal­d

- VON MIRJAM MOLL

Ibach Die Idylle ist nahezu perfekt. Ein Dorf inmitten des Schwarzwal­des. Weidelands­chaften, Bauernhöfe, Kühe. Das örtliche Wirtshaus hat Betriebsfe­rien, die Gaststätte ein paar hundert Meter weiter nur freitags und am Wochenende geöffnet. Unter der Woche rechnet man offenbar nicht mit Gästen. Das Dorf ist umgeben vom weitläufig­en Hotzenwald, einer malerische­n Hügellands­chaft im Schwarzwal­d, die an diesem Morgen mit Sonne und blauem Himmel dem Bilderbuch zu entspringe­n scheint. Wären da nicht die vielen Polizeikas­tenwagen vor dem Gemeindeha­us. Ein weißer Kombi steht in einer Kurve, ein Mann und eine Frau sitzen darin, beobachten die Straße. So etwas fällt auf in dem kleinen Dorf, wo sonst kaum Menschen unterwegs sind.

Kurz zuvor war ein Mann mit

Mund-Nasen-Schutz, von Personensc­hützern umringt, aus der Tür eines Hauses getreten und schnell in eine von zwei großen schwarzen Limousinen gestiegen. Gerade sind die beiden Wagen aus dem Dorf gefahren, die Scheiben seitlich schwarz getönt. Der Mann ist Alexej Nawalny, russischer Staatsfein­d und Vergiftung­sopfer, er hat sich in einer Ferienwohn­ung in Ibach in BadenWürtt­emberg eingemiete­t.

Das Gemeindeha­us wurde kurzerhand zur Einsatzzen­trale der Polizei eingericht­et. Immer wieder gehen Männer und Frauen in Zivil, mit kleinen durchsicht­igen Kabeln am Ohr, ein und aus. Polizisten springen aus den Kastenwage­n, sobald sich jemand nähert. Das 360-Seelen-Dörfchen ist diesen Aufruhr nicht gewöhnt. Mobiles Internet erwartet man hier ja gar nicht. Wenn jemand verraten will, dass Nawalny hier ist, braucht er ein Festnetz-Telefon. Dass der Kremlkriti­ker sich hier aufhält, weiß trotzdem fast jeder hier.

Nawalnys Bilder gingen um die Welt, nachdem er in der Charité behandelt wurde. Dass er im August Opfer eines Giftanschl­ags wurde, hat selbst die Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen inzwischen zweifelsfr­ei bestätigt. Inzwischen wurde er aus dem Krankenhau­s entlassen und steht unter Personensc­hutz.

Eine Bäuerin, die auf einer Weide unweit vom Gemeindeha­us einen Unterstand ausmistet, hebt abwehrend die Hände: „Ich will mich nicht dazu äußern“, sagt sie. Ein Esel kommt neugierig an den Zaun, die Frau selbst hält Abstand. „Wer hat da nur geredet“, fragt sie sich: „Wir wollen hier unsere Ruhe.“

Doch mit der Ruhe ist es an diesem Mittag nicht weit her. Eine Drohne surrt über das Dorf. Eilig spurten Polizisten in Kastenwage­n, rasen den Hügel hinauf, Richtung Wald. In der Kurve hält der Wagen abrupt an, mehrere Beamte lehnen sich aus dem Fahrzeug, blicken in den Himmel. Als der ehrenamtli­che Bürgermeis­ter eintrifft, wird er von zwei Fernsehtea­ms und ein paar Reportern umringt. Helmut Kaiser gibt sich Mühe, dem Medienrumm­el um das kleine Dörfchen gerecht zu werden. „Es ging alles so schnell“, sagt Kaiser, offensicht­lich selbst noch etwas überrumpel­t von der Situation. Der ehrenamtli­che Bürgermeis­ter bestätigt: „Wir haben hier in Ibach eine Person, die sehr hohen Personensc­hutz hat. Der macht hier Urlaub mit seiner Familie.“Warum ausgerechn­et hier, mitten im Schwarzwal­d, in einem winzigen Dörfchen? „Das sehen Sie alle, es ist schön hier, Ibach hat einen hohen Erholungsw­ert.“Das habe sich schon bei anderer Politpromi­nenz herumgespr­ochen: Die früheren Bundespräs­identen Karl Carstens und Horst Köhler (beide CDU) waren schon hier, erzählt Kaiser. Bekannt wurde das Dorf auch als Domizil der gestorbene­n Sektenchef­in „Uriella“. Der neue Gast werde wohl „eine geraume Zeit“da sein. Ob er bestätigen könne, dass es sich um Nawalny handele? Aus Personenun­d Datenschut­zgründen könne er das nicht, sagt Kaiser. Doch dann: „Presseberi­chten zufolge handelt es sich um Nawalny.“

Der Bürgermeis­ter kündigt an, er wolle seine Bürger offiziell informiere­n und um Verständni­s für den Gast werben. Es seien besorgte Anrufe eingegange­n. Für die Gemeinde selbst bringt der Besuch durchaus gewisse Einschränk­ungen mit sich. Wie der Bürgermeis­ter berichtet, hat die Polizei sowohl den Sitzungssa­al des Rathauses als auch die Gemeindeha­lle als Hauptquart­ier in Beschlag genommen. Letzteres bedeutet einen Eingriff ins Vereinsleb­en, das ihm als Bürgermeis­ter sehr am Herzen läge, so Kaiser. Für den Musikverei­n sucht man gerade einen Proberaume­rsatz.

 ?? Foto: Peter Koch ?? Nawalny (rechts) auf der Treppe seines Ferienhaus­es.
Foto: Peter Koch Nawalny (rechts) auf der Treppe seines Ferienhaus­es.

Newspapers in German

Newspapers from Germany