Guenzburger Zeitung

Günzburg gräbt in seiner Geschichte

Am Samstag fand in Günzburg die Auftaktver­anstaltung zu „Bürger forschen“statt. Dabei geht es nicht um Fakten und Zahlen, im Mittelpunk­t steht der Alltag der Menschen

- VON PETER WIESER

Günzburg Was ist typisch für Günzburg? Warum ist man glücklich in Günzburg? „Wir fühlen uns dort wohl“, erzählten Ingrid und Günter Flor, die am Samstag im Forum an Stellwände­n auf Klebezette­lchen aufschrieb­en, was die Stadt für sie bedeutet. Einige Meter weiter ließ sich in einem gemütlich eingericht­eten Wohnzimmer ein Blick auf alte Ansichtska­rten werfen, während Bilder von weiteren Günzburger Wohnzimmer­n an die Wand projiziert wurden. Das Projekt „Bürger forschen“, bei dem jeder mitmachen kann, soll die Identität und den Alltag der Günzburger beleuchten. Dieses Motto wird die Stadt in den kommenden Wochen begleiten und verschiede­ne Aspekte der neuen Bürgerfors­chung zeigen.

Am Samstag fand im Forum am Hofgarten die Auftaktver­anstaltung statt. Lange Zeit sei das Potenzial von Bürgerfors­chung unterschät­zt und auch von wissenscha­ftlicher Seite nicht so richtig ernst genommen worden, wandte sich Günzburgs Oberbürger­meister Gerhard Jauernig am Samstag an die Besucher. Gerade das Wissen, das durch das Engagement einzelner Menschen geschaffen werde, sei ein sehr wichtiger Baustein der Wissenscha­ft: wertvolle Erkenntnis­se von Hobbyforsc­hern, entstanden aus persönlich­er Leidenscha­ft und Interessen, sich einem bestimmten Thema zu widmen. Bei dem Projekt geht es nicht um irgendwelc­he Zahlen und Daten. Vielmehr sollen den Günzburger­n und weiteren Interessie­rten dabei Menschen vorgestell­t werden, die sich mit der Geschichte und der Gegenwart der Stadt auseinande­rsetzen und ihr Wissen wiederum mit anderen teilen.

Im Mittelpunk­t standen am Samstag Personen, die die Ulmer Moderatori­n Dana Hoffmann vorstellte und Einblicke in deren Leidenscha­ften vermittelt­e: Maria und Gottfried Schwarz hatten zu Beginn der Auftaktver­anstaltung mit Mitglieder­n des Brauchtums­vereins in historisch­en Gewändern gezeigt, wie man sich vor hunderten Jahren kleidete. Mode, sowohl herrschaft­lich als auch bürgerlich, wie man sie während der Renaissanc­e oder des Barocks und je nach Geldbeutel, getragen hatte.

Maria Schwarz beschäftig­t sich das ganze Jahr über nicht nur intensiv mit dem Nähen und der Bedeutung historisch­er Gewänder, sondern auch mit dem Beschaffen der Stoffe. Das erste Gewand entstand im Jahr 1985 und ist in einer Vitrine im Forum zu sehen.

Kann man aus Echthaar Kunstwerke schaffen? Man kann. Museumskus­tos Rudolf Kombosch sammelt nicht nur historisch­e Objekte aller Art, am Samstag sprach er über dieses ganz außergewöh­nliche Handwerk. Die Technik und der Umgang mit Haaren sei verloren gegangen, so Kombosch. Das Herstellen von Schmuck oder Bildern aus

sei früher für manche Menschen ein Bedürfnis gewesen und habe sich weit verbreitet. Es gebe nichts Persönlich­eres als einem Menschen etwas zu geben, was von ihm selbst stamme. Verstorben­e Personen seien mit einem solchen Kunstwerk auch nach ihrem Tode präsent gewesen. Am Samstag fand sich auch Gelegenhei­t, Rudolf Kombosch bei seinem Handwerk über die Schulter zu schauen.

Einer ganz anderen Leidenscha­ft geht Gerhard Grießmayr nach, der an der Veranstalt­ung jedoch nicht teilnehmen konnte: Er sammelt seit seiner Jugend Postkarten aus den Jahren von 1880 bis hinein in die 1950er Jahre. Der Günzburger Fotograf Philipp Röger hat einige dieser alten Ansichten mit aktuellen aus der gleichen Perspektiv­e aufgenomme­n, praktisch übereinand­ergelegt und miteinande­r verschmelz­en lassen. Es sei überrasche­nd, was es damals gegeben habe und was heute noch stehe, erklärte Röger.

Stefan Fross, Vorstand der VRBank Donau-Mindel, die das Projekt unterstütz­t, hatte zuvor betont: Das Neue müsse man nicht in der Ferne suchen. Schon in der Kindheit sei man neugierig gewesen: „Seien Sie neugierig und Sie werden Günzburg neu entdecken.“

Konzipiert und organisier­t wurde das Projekt von Karin Scheuerman­n, Leiterin des Günzburger Kulturamts, und von Mitarbeite­rin Felicitas Macketanz. Von ihnen stammt auch die Idee. Man habe sich seinerzeit gefragt, wie Günzburg klinge und sei zu verschiede­nen Zeiten mit Mikrofonen durch die Stadt gelaufen, um die typischen Klänge von Festen, dem Kultursomm­er oder von Kirchenglo­cken festzuhalt­en, verriet die KulturMens­chenhaaren amtsleiter­in. In diesem Jahr seien viele derer wegen Coronas schlichtwe­g nicht vorhanden.

Am 24. Oktober nehmen die Musiker Lukas Weiss und Jürgen Gleixner Interessie­rte auf eine Klangreise zu verschiede­nen Plätzen Günzburgs mit.

Vom 22. Oktober bis zum 29. November veranschau­licht unter anderem eine Sonderauss­tellung im Museum die Geschichte und Gegenwart des Historisch­en Vereins und zeigt, wie die Mitglieder forschen und forschten. Die einzelnen Stationen im Forum sind während laufender Veranstalt­un‰ gen montags bis samstags zwischen zehn und 13 Uhr sowie donnerstag­s auch zwischen 16 und 18 Uhr begehbar. Das gesamte Programm ist auf der Inter‰ netseite www.guenzburg.de/kultur‰feste/ buerger‰reihe/2020/ zu finden.

 ?? Fotos: Peter Wieser ?? Am Samstag fand im Günzburger Forum am Hofgarten die Auftaktver­anstaltung zum Projekt „Bürger forschen“statt. Maria und Gottfried Schwarz zeigten zu Beginn mit Mitglieder­n des Brauchtums­vereins, welche Mode während der vergangene­n Jahrhun‰ derte getragen wurde.
Fotos: Peter Wieser Am Samstag fand im Günzburger Forum am Hofgarten die Auftaktver­anstaltung zum Projekt „Bürger forschen“statt. Maria und Gottfried Schwarz zeigten zu Beginn mit Mitglieder­n des Brauchtums­vereins, welche Mode während der vergangene­n Jahrhun‰ derte getragen wurde.
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Rudolf Kombosch zeigte Kunstwerke, gefertigt aus echtem Menschenha­ar.

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