Günzburg gräbt in seiner Geschichte
Am Samstag fand in Günzburg die Auftaktveranstaltung zu „Bürger forschen“statt. Dabei geht es nicht um Fakten und Zahlen, im Mittelpunkt steht der Alltag der Menschen
Günzburg Was ist typisch für Günzburg? Warum ist man glücklich in Günzburg? „Wir fühlen uns dort wohl“, erzählten Ingrid und Günter Flor, die am Samstag im Forum an Stellwänden auf Klebezettelchen aufschrieben, was die Stadt für sie bedeutet. Einige Meter weiter ließ sich in einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer ein Blick auf alte Ansichtskarten werfen, während Bilder von weiteren Günzburger Wohnzimmern an die Wand projiziert wurden. Das Projekt „Bürger forschen“, bei dem jeder mitmachen kann, soll die Identität und den Alltag der Günzburger beleuchten. Dieses Motto wird die Stadt in den kommenden Wochen begleiten und verschiedene Aspekte der neuen Bürgerforschung zeigen.
Am Samstag fand im Forum am Hofgarten die Auftaktveranstaltung statt. Lange Zeit sei das Potenzial von Bürgerforschung unterschätzt und auch von wissenschaftlicher Seite nicht so richtig ernst genommen worden, wandte sich Günzburgs Oberbürgermeister Gerhard Jauernig am Samstag an die Besucher. Gerade das Wissen, das durch das Engagement einzelner Menschen geschaffen werde, sei ein sehr wichtiger Baustein der Wissenschaft: wertvolle Erkenntnisse von Hobbyforschern, entstanden aus persönlicher Leidenschaft und Interessen, sich einem bestimmten Thema zu widmen. Bei dem Projekt geht es nicht um irgendwelche Zahlen und Daten. Vielmehr sollen den Günzburgern und weiteren Interessierten dabei Menschen vorgestellt werden, die sich mit der Geschichte und der Gegenwart der Stadt auseinandersetzen und ihr Wissen wiederum mit anderen teilen.
Im Mittelpunkt standen am Samstag Personen, die die Ulmer Moderatorin Dana Hoffmann vorstellte und Einblicke in deren Leidenschaften vermittelte: Maria und Gottfried Schwarz hatten zu Beginn der Auftaktveranstaltung mit Mitgliedern des Brauchtumsvereins in historischen Gewändern gezeigt, wie man sich vor hunderten Jahren kleidete. Mode, sowohl herrschaftlich als auch bürgerlich, wie man sie während der Renaissance oder des Barocks und je nach Geldbeutel, getragen hatte.
Maria Schwarz beschäftigt sich das ganze Jahr über nicht nur intensiv mit dem Nähen und der Bedeutung historischer Gewänder, sondern auch mit dem Beschaffen der Stoffe. Das erste Gewand entstand im Jahr 1985 und ist in einer Vitrine im Forum zu sehen.
Kann man aus Echthaar Kunstwerke schaffen? Man kann. Museumskustos Rudolf Kombosch sammelt nicht nur historische Objekte aller Art, am Samstag sprach er über dieses ganz außergewöhnliche Handwerk. Die Technik und der Umgang mit Haaren sei verloren gegangen, so Kombosch. Das Herstellen von Schmuck oder Bildern aus
sei früher für manche Menschen ein Bedürfnis gewesen und habe sich weit verbreitet. Es gebe nichts Persönlicheres als einem Menschen etwas zu geben, was von ihm selbst stamme. Verstorbene Personen seien mit einem solchen Kunstwerk auch nach ihrem Tode präsent gewesen. Am Samstag fand sich auch Gelegenheit, Rudolf Kombosch bei seinem Handwerk über die Schulter zu schauen.
Einer ganz anderen Leidenschaft geht Gerhard Grießmayr nach, der an der Veranstaltung jedoch nicht teilnehmen konnte: Er sammelt seit seiner Jugend Postkarten aus den Jahren von 1880 bis hinein in die 1950er Jahre. Der Günzburger Fotograf Philipp Röger hat einige dieser alten Ansichten mit aktuellen aus der gleichen Perspektive aufgenommen, praktisch übereinandergelegt und miteinander verschmelzen lassen. Es sei überraschend, was es damals gegeben habe und was heute noch stehe, erklärte Röger.
Stefan Fross, Vorstand der VRBank Donau-Mindel, die das Projekt unterstützt, hatte zuvor betont: Das Neue müsse man nicht in der Ferne suchen. Schon in der Kindheit sei man neugierig gewesen: „Seien Sie neugierig und Sie werden Günzburg neu entdecken.“
Konzipiert und organisiert wurde das Projekt von Karin Scheuermann, Leiterin des Günzburger Kulturamts, und von Mitarbeiterin Felicitas Macketanz. Von ihnen stammt auch die Idee. Man habe sich seinerzeit gefragt, wie Günzburg klinge und sei zu verschiedenen Zeiten mit Mikrofonen durch die Stadt gelaufen, um die typischen Klänge von Festen, dem Kultursommer oder von Kirchenglocken festzuhalten, verriet die KulturMenschenhaaren amtsleiterin. In diesem Jahr seien viele derer wegen Coronas schlichtweg nicht vorhanden.
Am 24. Oktober nehmen die Musiker Lukas Weiss und Jürgen Gleixner Interessierte auf eine Klangreise zu verschiedenen Plätzen Günzburgs mit.
Vom 22. Oktober bis zum 29. November veranschaulicht unter anderem eine Sonderausstellung im Museum die Geschichte und Gegenwart des Historischen Vereins und zeigt, wie die Mitglieder forschen und forschten. Die einzelnen Stationen im Forum sind während laufender Veranstaltun gen montags bis samstags zwischen zehn und 13 Uhr sowie donnerstags auch zwischen 16 und 18 Uhr begehbar. Das gesamte Programm ist auf der Inter netseite www.guenzburg.de/kulturfeste/ buergerreihe/2020/ zu finden.