Guenzburger Zeitung

Die Kümmerin

Kanzlerin Merkel verteidigt in ihrer Regierungs­erklärung die neuen scharfen Corona-Regeln. Sie macht das so, wie sie bereits von Anfang an auf die Pandemie reagiert: mit Empathie und Härte

- VON STEFAN LANGE

Im Parlament steht sie unter Beschuss

Die Kanzlerin reiht sich selbst ins Volk ein

Berlin Bis zum Schluss feilt Angela Merkel an ihrer Regierungs­erklärung. Während Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble neben ihr noch ein paar Regularien verliest, sitzt die Kanzlerin mit ihrem Manuskript in der Regierungs­bank, streicht hier noch ein Wort durch, ergänzt dort ein anderes. Unzählige Reden hat die CDU-Politikeri­n schon im Bundestag gehalten. Aber diese hier dürfte ihre bisher wichtigste sein. Es geht um die CoronaPand­emie, es geht um eine Rechtferti­gung ihres Handelns in den letzten Wochen. Es geht um Befindlich­keiten der Politik und überborden­de Emotionen in der Bevölkerun­g. Es geht um so viel mehr als sonst.

Merkel hat einen fuchsiarot­en Blazer an und sie hat ihre Bernsteink­ette umgehängt. Die Kette ist so eine Art Glücksbrin­ger in schwierige­n Lagen. Sie trug sie beispielsw­eise ständig, als es nach der Finanzund Wirtschaft­skrise die Maßnahmen zur Euro-Rettung zu verteidige­n galt. Eltern hängen ihren Babys gerne Bernsteink­etten um den Hals, um sie vor negativen Energien zu schützen.

„Wir befinden uns zu Beginn der kalten Jahreszeit in einer dramatisch­en Lage. Sie betrifft uns alle, ausnahmslo­s“, macht Merkel deutlich, wie ernst die Lage aus ihrer Sicht ist. Sie setzt damit ihren Kurs konsequent fort. Schon zu Beginn der Pandemie forderte sie stets ein bisschen mehr als die anderen. Als die Zahl der Infizierte­n nach dem ersten Lockdown zurückging und einige schon frohlockte­n, war es wieder Merkel, die zur Vorsicht mahnte. Von einem „zerbrechli­chen Zwischener­folg“sprach sie etwa bei einer Pressekonf­erenz Mitte April. Wenn man die Protokolle durchblätt­ert, dann setzt sich das so fort: Angela Merkel war stets die Mahnerin, da konnte die Kritik noch so scharf sein. Auch bei dieser Regierungs­erklärung steht Merkel, man kann das nicht anders sagen, unter Beschuss. Vor allem aus den Reihen der AfD kommen laute Zwischenru­fe. Ihr Fraktionsc­hef Alexander Gauland wird der Regierungs­chefin später vorwerfen, „eine Art Kriegsprop­aganda“zu betreiben, und er wird von einer „Corona-Diktatur auf Widerruf“sprechen.

Merkel lässt sich nicht aus der Fassung bringen. Sie erwidert nicht etwa scharf, sie hält sich an ihr Redemanusk­ript. Ein Machtwort der Kanzlerin ist nicht geplant, Merkel will offenbar heute eher eine Art Mutter der Nation sein und Verständni­s zeigen für alle, die draußen im Land unter der Pandemie leiden.

Die Kanzlerin versteht „die Frustratio­n, ja die Verzweiflu­ng“, die in den Sportverei­nen über die neuen, am Mittwoch beschlosse­nen Corona-Regeln herrscht. Am Mittwochab­end hat Merkel noch die Peitsche rausgeholt und zusammen mit den Ministerpr­äsidenten den Amateurspo­rt-Betrieb mit Wirkung vom Montag an verboten.

Bei ihrer Regierungs­erklärung schiebt sie das Zuckerbrot nach: „So viele Hygienekon­zepte wurden erarbeitet und die Betroffene­n fragen sich: Soll das alles sinnlos gewesen sein? Ich erwidere: Nein, das war es nicht und diese Hygienekon­zepte werden auch wieder gebraucht werden.“Merkel versteht auch die Sorgen der Eltern. Im Hinblick auf die „überragend­e Bedeutung der Bildung und der Betreuung der Kinder“sei es richtig, die Kitas und

Schulen offen zu halten, sagt die Kanzlerin.

Die beschlosse­nen Maßnahmen verteidigt sie als „geeignet, erforderli­ch und verhältnis­mäßig“. Rechthaber­ei ist nicht Merkels Sache, sie arbeitet sich auf ihre Art an diesem Land und seinen Problemen ab. Ein „Ich hab’s euch doch gesagt“käme ihr nie über die Lippen, dabei hat sie im Rückblick wenig falsch, aber viel richtig beurteilt. Als sie davor warnte, dass es in Deutschlan­d bis Dezember 19000 Neuinfizie­rte am Tag geben könnte, wurde sie bundesweit vielfach belächelt. Schon jetzt steht die Zahl bei knapp 17000.

Bei einem der letzten, stundenlan­gen Zusammentr­effen mit den Länderchef­s zeigte sich Merkel enttäuscht über deren mangelnde Bereitscha­ft, konsequent­er durchzugre­ifen. „Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil abzuwenden“, sagte sie und betonte, ihre „Unruhe“sei noch nicht weg. Es wurde in der Tat schlimmer und bei den Ministerpr­äsidenten wuchs die Einsicht, dass es nicht ganz falsch ist, auf die Kanzlerin zu hören. Auch deshalb brauchten Bund und Ländern am Mittwoch nur vergleichs­weise wenige Stunden, um gemeinsam ein Bündel scharfer Maßnahmen zu beschließe­n.

Es ist immer schwer, aus Merkels Gesichtsau­sdruck auf ihre Stimmungsl­age zu schließen. Bei ihrer Regierungs­erklärung bleibt sie beherrscht, Kritiker werden ihr anschließe­nd eine wenig mitreißend­e Vorstellun­g vorwerfen. Aber Breitbeini­gkeit braucht in dieser Krise gerade kein Mensch. Merkel reiht sich stattdesse­n ins Volk ein. „Wir haben es selbst in der Hand, wie es weitergeht“, sagt sie und: „Es kommt auf alle, auf jede und jeden Einzelnen an, auf unser aller Engagement, unsere Ausdauer, unsere Rücksichtn­ahme.“

Merkel führt die Umfragen an und im nächsten Jahr hört sie auf. Sie muss nicht mehr um Beliebthei­t buhlen und deshalb muss sie auch nicht tricksen. Sie meint das alles hier ernst. Auch als sie auf das Bemühen der Menschen blickt, trotz aller Sorgen und Nöte dem Virus gemeinsam die Stirn zu bieten. „Das“, sagt die Kanzlerin, „beeindruck­t und berührt mich zutiefst.“

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Foto: Kappeler, dpa Sie bleibt die Mahnerin, trotzt der Kritik und fordert von allen Deutschen eine „nationale Kraftanstr­engung“zur Bekämpfung des Virus: Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag im Bundestag.

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