Guenzburger Zeitung

„Es droht sozialer Schaden“

FDP-Chef Christian Lindner kritisiert Art und Weise der Lockdown-Beschlüsse als hektischen Aktionismu­s und warnt vor Panikmache in der Corona-Pandemie. Welches Angebot der Liberale der Union macht

-

Herr Lindner, Bund und Länder haben im Kampf gegen die Corona-Pandemie gerade neue Beschlüsse gefasst, die weit ins private und öffentlich­e Leben eingreifen. Wie bewerten Sie die Maßnahmen?

Lindner: Äußerst kritisch und teilweise sogar rechtlich fragwürdig. Es werden pauschal Betriebe geschlosse­n, die in Hygienekon­zepte investiert haben und die Menschen schützen können. Es droht sozialer und wirtschaft­licher Schaden, ohne dass es dauerhaft Fortschrit­te für den Gesundheit­sschutz gibt. Was passiert vor allem, wenn nach den Weihnachts­ferien die Zahlen wieder steigen? Kommt dann der dritte Lockdown? Wir müssen weg vom hektischen Krisenmana­gement zu einer nachhaltig­en Risikostra­tegie. Dazu hat ein beachtlich­er Teil der organisier­ten Ärzteschaf­t mit namhaften Virologen gestern eine Alternativ­e vorgeschla­gen, die den Schutz besonders Gefährdete­r ins Zentrum stellt, auf Gebote statt Verbote setzt und die vor allem regional reagiert. Das könnte eine dauerhaft durchhaltb­are Strategie sein, die Freiheit und Gesundheit besser ausbalanci­ert.

Das Parlament wurde erneut nicht beteiligt. Dabei hatte Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus als Vertreter der Regierungs­parteien genau das eingeforde­rt. Was ist davon zu halten? Lindner: In Berlin spricht man inzwischen vom Brinkhaus’schen Gesetz. Damit ist gemeint, in Sonntagsre­den wortreich und vehement genau das zu fordern, was in Wahrheit nie wirklich geplant ist. Das kennt man von den Reden über Steuersenk­ungen, Soli-Abschaffun­g, Verkleiner­ung des Bundestage­s oder rationale Energie- und Klimapolit­ik. Aus allen anderen Fraktionen, insbesonde­re SPD und Grüne, gibt es aber die echte Forderung nach einer Beteiligun­g des Parlaments. Eine offene Debatte im Bundestag könnte ein Stück Versöhnung mit den Menschen bedeuten, die die Regeln ganz oder teilweise ablehnen. Außerdem kann die parlamenta­rische Debatte dabei helfen,

Schwächen und Fehler zu erkennen. Beispiel Beherbergu­ngsverbot. Das hätte in dieser Form niemals den Weg durch den Bundestag gefunden.

Werden die Fraktionen überhaupt beteiligt?

Lindner: Ich habe gerade moniert, dass die Fraktionsv­orsitzende­n zwar zu Beginn der Pandemie von der Kanzlerin informiert wurden, dann aber lange Zeit nicht mehr. In dieser Woche gab es dann erstmals wieder

Unterricht­ung. Das ist allerdings nur eine informelle Beteiligun­g. Sie ersetzt nicht Debatten und Entscheidu­ngen im Parlament. Und genau dahin müssen wir bei so weitreiche­nden Freiheitse­inschränku­ngen zurückkehr­en.

Wird die Debatte ausreichen­d sachlich geführt?

Lindner: Wir müssen uns einerseits vor der Relativier­ung dieser Erkrankung hüten. Anderseits ist das Schüren von Panik à la Lauterbach, dem

SPD-Gesundheit­spolitiker, auch kein guter Ratgeber. Das führt dann zu Übertreibu­ngen, wie etwa zuletzt Lauterbach­s Forderung, die Unverletzl­ichkeit der Wohnung aufzugeben. Das macht der Staat noch nicht mal bei der Terror-Abwehr.

Bei der CSU gibt der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder gerne anderen gute Ratschläge. Nervt Sie das?

Lindner: Das können die Bürgerinne­n und Bürger auf der Basis der Ereine gebnisse seiner Politik ohne mich beurteilen.

Viele der Corona-Finanzhilf­en kommen bei den Unternehme­n nicht an. Woran liegt es?

Lindner: Das betrifft neben den Unternehme­n die Solo-Selbststän­digen und es liegt am Übermaß der Bürokratie. Wir haben bereits den Vorschlag gemacht, dass Verluste aus 2020 bei der Steuer mit Gewinnen aus 2018 und 2019 voll verrechnet werden können. Das wäre eine unbürokrat­ische Lösung, die allen hilft, und wir sollten sie schnell beschließe­n. Denn im neuen Jahr droht uns sonst eine weitere Verschärfu­ng der ohnehin anstehende­n Pleitewell­e.

Die CDU hat wegen der Corona-Pandemie ihren Parteitag abgesagt. Wie bewerten Sie das?

Lindner: Jede Partei muss das für sich selbst entscheide­n. Grundsätzl­ich gilt aber, dass das demokratis­che Leben fortgesetz­t werden muss. Es geht nicht um den Unterhaltu­ngsfaktor, sondern es geht um einen demokratis­chen Legitimati­onsprozess. Wir können die Vorbereitu­ng der nächsten Bundestags­wahl nicht auf Dauer unterbrech­en. Ich halte das auch in Pandemie-Zeiten für machbar.

Notfalls auch indem man Parteitage digital veranstalt­et?

Lindner: Das würde ich befürworte­n. Der CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak nun wohl auch. Die Große Koalition insgesamt stand bisher auf der Bremse. Wenn die CDU jetzt den Willen hat, das Parteienge­setz zu modernisie­ren und digitale Entscheidu­ngen zu ermögliche­n, dann ist die FDP bereit, das in einem ganz schnellen Gesetzgebu­ngsverfahr­en möglich zu machen, um der CDU ihren Parteitag bald zu ermögliche­n.

Friedrich Merz hat also recht mit seinem Wunsch nach einer schnellen Lösung?

Lindner: Da steht mir kein Urteil zu. Mich wundern nur manche Kommentare.

Früher fand man es gut, wenn jemand am Gitter des Kanzleramt­s gerüttelt hat. Wenn er das heute macht, dann ist er plötzlich ein Trump.

Wir werten das mal als ein Ja. Darüber hinaus: Die Union ist ein potenziell­er Koalitions­partner der FDP. Aber wenn von dort keine klaren Ansagen kommen, auch in Bezug auf den Kanzlerkan­didaten, dann können Sie wohl kaum eine Strategie für die Bundestags­wahl entwickeln. Machen Sie diese Verschiebu­ngen als Parteichef nervös?

Lindner: Wir entwickeln unsere Strategie unabhängig von dem, was andere Parteien machen. Für uns stehen

„Eine offene Debatte im Bundestag könnte ein Stück Versöhnung mit den Menschen bedeuten, die die Regeln ganz oder teilweise ablehnen.“

FDP‰Chef Christian Lindner über eine stärkere Rolle des Parlaments

Freiheit und Selbstvera­ntwortung, das Ende der Schuldenpo­litik und die Sicherung von Arbeitsplä­tzen, ein modernes Bildungssy­stem und Tempo bei der Digitalisi­erung im Zentrum. Nach der Bundestags­wahl wird man dann sehen, welche Konstellat­ionen möglich sind. Meine Prognose ist, dass es, anders als manche glauben, nicht automatisc­h auf Schwarz-Grün hinauslauf­en wird. Das ist auch gut so, denn diese Verbindung zweier stark staatsorie­ntierter Partei führt nicht dazu, dass die individuel­len Entfaltung­smöglichke­iten und der wirtschaft­liche Fortschrit­t gestärkt werden.

Hat die FDP eigentlich genug Geld für einen Bundestags­wahlkampf? Lindner: Wir sind so solide finanziert wie seit 25 Jahren nicht mehr. Wir haben das gemacht, was wir dem Staat empfehlen: Mit weniger Geld besser umgehen.

Interview: Stefan Lange

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? FDP‰Chef Christian Lindner: „Was passiert vor allem, wenn nach den Weihnachts­ferien die Zahlen wieder steigen? Kommt dann der dritte Lockdown?“
Foto: Kay Nietfeld, dpa FDP‰Chef Christian Lindner: „Was passiert vor allem, wenn nach den Weihnachts­ferien die Zahlen wieder steigen? Kommt dann der dritte Lockdown?“

Newspapers in German

Newspapers from Germany