Guenzburger Zeitung

Kühler Beobachter einer heißen Wahl

Europa schickt unabhängig­e Wahlbeobac­hter nach Amerika. Der deutsche Bundestags­abgeordnet­e Michael Link leitet die OSZE-Mission in den USA. Warum dieses Mal seiner Arbeit große Bedeutung zukommen könnte

- VON STEFAN LANGE

Berlin Michael Link bleibt cool. Da blickt fast die ganze Welt auf die spannenden Präsidents­chaftswahl­en mit einem enorm umstritten­en Amtsinhabe­r – und der Heilbronne­r FDP-Abgeordnet­e wird mittendrin sein. Doch zu kritischen Äußerungen lässt er sich nicht hinreißen. „Ich gehe unvoreinge­nommen an meine Arbeit“, sagt er. Seine Arbeit, das ist in diesem Fall: die Leitung einer OSZE-Wahlbeobac­htermissio­n in den Vereinigte­n Staaten.

Vielleicht bleibt der 57-Jährige auch deshalb so cool, weil es längst nicht seine erste Mission ist. Schon dutzende Male war er im Auftrag der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa unterwegs, um Wahlen zu beobachten. Seine Aufgabe und die seines Teams ist es, bei den Wahlprozes­sen auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Die des jeweiligen Landes wie auch auf die Vorgaben des OSZE-Regelwerks, dem sich 57 Teilnehmer­staaten verpflicht­et haben.

Link soll Neutralitä­t wahren und hält sich auch im Fall der US-Präsidents­chaftswahl­en an die Maßgabe, sich nicht zu den Kandidaten zu äußern und seine eigene Meinung bis zum Ende der Mission zurückzust­ellen. Der Europapoli­tiker ist ein Kenner des diplomatis­chen Geschäfts. Er war in der Amtszeit von Guido Westerwell­e zwei Jahre als Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt tätig. Danach leitete er von 2014 bis 2017 als Direktor das OSZE-Büro für demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte. Seit 2017 sitzt er wieder für die Liberalen im Parlament. Für die nächste Bundestags­wahl tritt er erneut an. Link war schon bei der letzten Präsidents­chaftswahl vor vier Jahren als Beobachter dabei. Wahlbeobac­htung, sagt er, sei nicht etwa ein politische­s Geschäft. „Wir haben vielmehr eine wissenscha­ftliche Herangehen­sweise“, erklärt der Heilbronne­r, der unter anderem an den Universitä­ten Augsburg, Lausanne und Heidelberg studierte.

Die Wahlbeobac­hter nutzen ausschließ­lich öffentlich zugänglich­e Quellen – und ihre Beobachtun­gsgabe. Wenn es etwa vor Wahllokale­n zu mehr oder minder direkten Einschücht­erungsvers­uchen kommt, fließt das in den Wahlberich­t ein. „Falls wir Hinweise auf Manipulati­onen haben, dann berichten wir darüber“, sagt Link, betont aber: „Wir sind keine Wahlpolize­i.“

Über Manipulati­onen mussten die Beobachter bei den letzten Präsidents­chaftswahl­en vor vier Jahren nicht berichten. Wohl aber gab es einige kritische Anmerkunge­n.

Denn in 18 der 50 US-Bundesstaa­ten, Florida beispielsw­eise, sind die OSZE-Leute in den Wahllokale­n nicht zugelassen. „Das ist nicht gut, wir kritisiere­n das immer wieder deutlich“, sagt Link. Am Ende haben jedoch die Regierende­n in den Einzelstaa­ten das Sagen. Deren Teilsouver­änität bringt auch mit sich, dass es viele völlig unterschie­dliche Wahlsystem­e in den USA gibt.

Hinzu kommt, dass in einigen Staaten zusätzlich zur Briefwahl vorab beim sogenannte­n „Early Voting“abgestimmt werden kann. Das US-Wahlrecht ist zudem völlig dezentrali­siert und sehr alt, das bringt nach Einschätzu­ng der OSZE-Experten Probleme mit sich: „Es herrscht auf der Verwaltung­sebene viel Reformbeda­rf“, sagt Link.

Link reist mit sieben weiteren Bundestags­abgeordnet­en in die Staaten. So Corona es will, denn natürlich müssen alle für die Einreise einen negativen Test vorweisen.

Die erste Novemberwo­che über bleibt der Abgeordnet­e in den USA, nach seiner Rückkehr muss er zunächst in Quarantäne. Am Tag nach der für den 3. November angesetzte­n Wahl wird Link im Laufe des Tages eine erste Bewertung seitens der OSZE-Beobachter vorlegen. Der große Abschlussb­ericht folgt etwa zwei Monate später. Sollte einer der Kandidaten behaupten, die Wahl sei manipulier­t worden, kommt diesen Schriftstü­cken eine noch größere Bedeutung zu.

Alles in allem sei die Wahl „ein Riesending“, sagt Link und lässt kurz durchblitz­en, dass er sich auf die Aufgabe sehr freut. Um dann schnell wieder ganz cool zu werden, auch wenn es die nächsten Tage heiß hergehen wird. „Wir haben die Chance“, sagt Link, „in einer relativ aufgeheizt­en Debatte mit sachlich kühlen Mitteln zu agieren und für die breite Öffentlich­keit ein echtes Plus an Informatio­n zu schaffen.“

 ?? Foto: Zenkovich, dpa ?? Wahlbeobac­hter Michael Link wird auch in den USA im Einsatz sein: „Wir sind keine Wahlpolize­i.“
Foto: Zenkovich, dpa Wahlbeobac­hter Michael Link wird auch in den USA im Einsatz sein: „Wir sind keine Wahlpolize­i.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany