Guenzburger Zeitung

Der Wirtschaft steht ein harter Winter bevor

Der Mittelstan­d muss sich auf einen gewaltigen Umbruch einstellen und eine Pleitewell­e wird immer wahrschein­licher

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Kein Lockdown ist also auch keine Lösung. Niemand hat sich diesen so beengenden wie wirtschaft­lich undynamisc­hen Zustand zurückgewü­nscht. Nun ist er doch das Szenario, mit dem sich die Unternehme­n, Geschäfte und Gastronomi­ebetriebe wieder auseinande­rsetzen müssen. Und auch wenn er euphemisti­sch „Lockdown light“gelabelt wird und weitere Milliarden­hilfen zur Verfügung stehen, fest steht schon jetzt: Leichter wird es für die Wirtschaft nicht.

Nachdem Arbeitsmin­ister Hubertus Heil mit Blick auf den Arbeitsmar­kt deutliche Worte gefunden hat, wird die heute vom Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier zu präsentier­ende Herbstprog­nose zur Konjunktur­entwicklun­g mit Spannung erwartet. Denn auch wenn der Sommer ökonomisch kein schlechter war, dieser Pandemie-Winter wird lang – und hart.

Das gilt insbesonde­re für den Mittelstan­d, das viel beschriebe­ne Rückgrat der deutschen Wirtschaft: 2019 waren laut Förderbank KfW 32,3 Millionen Erwerbstät­ige in mittelstän­dischen Unternehme­n beschäftig­t. Macht über 70 Prozent. Heißt: Noch nie hatten so viele Menschen ihren Arbeitspla­tz im Mittelstan­d wie in den letzten Jahren. Hinzu kommt: Über 90 Prozent aller Azubis lernen hier ihren Beruf.

Angesichts dieser Zahlen ist die aktuelle KfW-Analyse des Mittelstan­des so beunruhige­nd: Über 1,1 Millionen Jobs stehen auf der Kippe. Die Geschäftse­rwartungen für das laufende Jahr sind „historisch schlecht“. Der Präsident des Bundesverb­andes mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven, warnt vor einer Pleitewell­e und im Fall eines zweiten Lockdown vor einer „dramatisch steigenden“Zahl an Insolvenze­n.

Wie recht er damit haben könnte, zeigt der Blick in zwei besonders angeschlag­ene Wirtschaft­szweige: die Gastronomi­e und die kleineren unter den Zulieferbe­trieben der Automobili­ndustrie. Während der Bayerische Hotellerie- und Gaststätte­nverband schon seit Wochen vor dem Ableben einer ganzen Branche warnt, waren die für die bayerische­n Arbeitsplä­tze nicht minder bedeutsame­n Autozulief­erer schon vor Corona wegen des Strukturwa­ndels in der Mobilitäts­industrie erheblich unter Druck.

Munich Strategy, eine Unternehme­nsberatung mit ausgewiese­ner Mittelstan­ds-Expertise, kam bereits im April nach einem „Stresstest“von 3500 Unternehme­n aus allen Branchen und Regionen Deutschlan­ds zu diesem Ergebnis: Der Mittelstan­d steht vor einer „historisch­en Neuordnung“, denn: Der Covid-19-Crash kam unerwartet, traf die Mittelstän­dler „mit voller Wucht“, und selbst wenn bereits Mitte 2020 kurzfristi­g eine Erholung einsetzt, „werden die Aus- und Nachwirkun­gen brutal sein“. Was, fixiert auf das so unvorherse­hbare Pandemie-Geschehen, schnell vergessen wird: Schon vor Corona waren die fetten Jahre vorbei. Oder wie Munich Strategy es ausdrückte: 35 Prozent gehörten schon vor der Pandemie zu den „Low Performern“. Deren Existenzän­gste sind seither nicht weniger geworden.

Zwar beträgt die durchschni­ttliche Eigenkapit­alquote 2019 im Mittelstan­d laut KfW 32 Prozent, die Unternehme­n hatten für schwere Zeiten gut vorgesorgt, aber inzwischen sind viele Firmenkass­en leer. Bundes- und Staatsregi­erung haben mit Überbrücku­ngshilfen, Konjunktur­programmen und der Kurzarbeit auch viel für den Mittelstan­d getan. Die nun in Aussicht gestellten weiteren zehn Milliarden Euro helfen natürlich. Klar ist aber auch: Corona macht schnell schlechter, was vorher schon schlecht war.

Das heißt: Die Verteilung­skämpfe am Markt werden härter. Sebastian Theopold, Munich-StrategyGr­ünder, sagt es so: „Die AuslesePha­se beginnt jetzt.“Und diese werde gebraucht, so „hart“sie auch sei. Der deutsche Mittelstan­d ist für Theopold eine Dreiklasse­ngesellsch­aft. Und die meisten der – auch von Corona-Staatshilf­en über Wasser gehaltenen – „Low Performer“würden in den nächsten Monaten aus dem Markt ausscheide­n. „Für Wackelkand­idaten geht es vor allem darum, Liquidität und das eigene Überleben zu sichern. Für die Kompaktkla­sse geht es um Schadensbe­grenzung und die starken Leuchttürm­e gewinnen Marktantei­le, werden zu Konsolidie­rern und gehen gestärkt aus der Krise hervor.“

Es geht um das Rückgrat der deutschen Wirtschaft

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