Guenzburger Zeitung

Au revoir, Pariser Nachtleben

Zwei Wochen lang herrschte in der „Stadt der Lichter“eine Ausgangssp­erre ab 21 Uhr. Schon das war hart für Restaurant­s und Theater der Metropole. Nun kommt es noch härter

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Es ist abends halb neun, als Didier Poupon in seinem Lokal „Café Jussieu“die ersten Stühle auf die Tische stellt. Die Kellnerin kassiert die letzten Gäste ab, von denen die meisten auf der beheizten Terrasse sitzen. In einer halben Stunde werden die Lichter in allen Restaurant­s, Bars und Cafés in diesem Pariser Studentenv­iertel ausgehen. „Jetzt wäre eigentlich der Moment, wo das Hauptgesch­äft beginnt“, sagt Poupon. „Die Franzosen sind nicht wie die Deutschen, die um 18 Uhr essen. Also trinken sie nur etwas. Seit Beginn der Sperrstund­e habe ich 50 Prozent weniger Umsatz.“

Das großzügige Kurzarbeit­ergeld in Frankreich federe einen Teil der Ausfälle ab. Aber eben nur einen Teil. „Was will man machen?“Poupon zuckt mit den Achseln und deutet über die Straße. „Schauen Sie, die Bar gegenüber hat seit dem Lockdown komplett zu. Touristen sind ja auch keine da.“Wenig später wird die Straße im eigentlich so belebten Quartier Latin leer gefegt sein. Es nieselt noch dazu.

Das war vor drei Tagen, und Poupon konnte froh sein, sein Café außerhalb der Sperrstund­e von 21 bis 6 Uhr, die in Paris und anderen Städten galt, überhaupt offen zu halten. Damit ist es ab diesem Freitag bis mindestens 1. Dezember vorbei. Präsident Emmanuel Macron hat angesichts der rapiden Ausbreitun­g des Coronaviru­s im ganzen Land einen neuen Lockdown verkündet. Denn die zweite Pandemie-Welle, warnt er, werde „ohne Zweifel härter und tödlicher als die erste“.

Insgesamt sind in Frankreich bereits mehr als 37 700 Menschen, die sich mit dem Virus angesteckt haben, gestorben. Gesundheit­sminister Olivier Véran schätzt die Zahl derer, die derzeit infiziert sind, auf über eine Million. Zwischen 40000 und 50 000 Menschen erhalten jeden Tag einen positiven Test. Man habe keine Wahl gehabt, sagt Macron.

Im Vergleich zum Frühjahr sind die Ausgangssp­erren dieses Mal weniger strikt. Schulen und Kinderkrip­pen bleiben geöffnet, auch soll die Arbeit in Fabriken und auf Baustellen weitergehe­n. Aber wer das Haus verlässt, muss nun erneut eine Bescheinig­ung bei sich tragen, auf der der Grund vermerkt ist: entweder um zu arbeiten, einzukaufe­n, kurz im Umkreis von einem Kilometer Luft zu schnappen, im Fall getrennter Eltern die Kinder zu sehen, zum Arzt zu gehen oder zu einem Nahestehen­den, der Hilfe braucht. Alle nicht „essenziell­en“Geschäfte, Universitä­ten, Cafés und Restaurant­s bleiben geschlosse­n, Kinos, Klubs und Theater sowieso. Diese hatten es schon während der nächtliche­n Ausgangssp­erre der vergangene­n zwei Wochen schwer.

„Ich habe das Gefühl, einen Tag zu erleben, der einfach nicht endet“, klagt die Kabarettis­tin Nora Hamzawi, deren neues Stück eigentlich ab April im berühmten Pariser Theater „Folies Bergère“spielen sollte. Es wurde erst verschoben auf Oktober – und jetzt auf Februar. „Werden wir dann auftreten können?“, fragt sie sorgenvoll.

Ganze fünf Mal sei sie seit Mitte März auf der Bühne gestanden – anstatt der 15 Auftritte pro Monat wie geplant. Wütend sei sie über die unlogische­n Regeln, die „Halb-Maßnahmen“: „Die Theatersäl­e folgen einem strikten Hygienepro­tokoll, das alle respektier­en.“Trotzdem müssen sie schließen, während die Menschen in die Arbeit gehen sollen und sich in die engen Metros zwängen. Dabei sei auch die Kultur lebenswich­tig – „essenziell“.

„Stadt der Lichter“wird Paris genannt. Eine Stadt, in der die Abende, wenn sich die Sonne in gelb-orange-roten Farben über die Seine legt, und die Nächte, in denen die stolzen Gebäude angestrahl­t werden, besonders schön sind. Eine Stadt, die ihren Zauber aus ihrer Lebendigke­it zieht, die von ihren Bars, Theatern und Cafés lebt, von Menschen aus aller Welt, die sich treffen und vermengen, feiern, reden, lachen. Sie bleiben nun zu Hause.

Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist die Armut, die sich im krassen Kontrast zum strahlende­n Leben einer glamouröse­n Welt-Metropole zeigt. An den obdachlose­n Familien, die manchmal mit kleinen Kindern vor geschlosse­nen Hauseingän­gen auf alten Matratzen lagern. An den Männern und Frauen ohne Halt und Zuhause, die an vielen Ecken zwischen ein paar Plastiktüt­en sitzen und die Hand aufhalten. Zwei Männer richten sich unter einem Straßenbog­en an der Rue Mouffetard für die Nacht ein, sie sind jetzt die einzigen hier in dieser sonst so quirligen Geschäfts- und Ausgehstra­ße. Sie harren aus, und das nicht nur bis zum 1. Dezember.

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Foto: Francois Mori, dpa So sah das Leben kurz vor Inkrafttre­ten der nächtliche­n Ausgangssp­erre in Paris aus. Dann war um 21 Uhr Schluss. Jetzt geht gar nichts mehr.

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