Guenzburger Zeitung

Maradona wird 60. Wie das?

Der Argentinie­r ist einer der besten Fußballer aller Zeiten. Dass er einmal so alt werden würde, war nicht zu erwarten gewesen

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg Lange nichts mehr gehört von Diego Maradona. Das ist für alle, die den zeitweise genialsten Fußballer auf diesem Planeten für seine Werke bewundern, ein gutes und ein schlechtes Zeichen. Ein gutes, weil Nachrichte­n aus seinem Leben selten erfreulich, häufig befremdlic­h und gelegentli­ch lebensbedr­ohlich waren. Ein schlechtes, weil Anhänger immer die Sorge umtrieb, einer seiner vielen Akte der Selbstzers­törung könnte der letzte gewesen sein und dann von der argentinis­chen Regierung geheimgeha­lten werden, um dem darbenden Land eine wenigstens einmonatig­e Staatstrau­er zu ersparen.

Man muss es so sagen: Seit der Argentinie­r nicht mehr Fußball spielt, ist sein Leben ständig in Gefahr. Es ist aus dem Leim gegangen wie er selbst. Drogen, Vaterschaf­tsund Steuerproz­esse, Herzproble­me, Fressanfäl­le – wieder Drogen. Maradona lag auf Intensivst­ationen und in psychiatri­schen Kliniken. Er litt unter Diabetes, Nierenschw­äche, Übergewich­t, dem er mit einer Magenverkl­einerung zu Leibe rückte, Bluthochdr­uck und Herzschwäc­he.

Er halte sich für Gott, hieß es irgendwann. Fußball-Gott war er schon vorher gewesen. Deren Rückkehr ins Irdische erfolgt selten ohne Brüche. Oft sitzen sie noch in den Stadien, wenn das Leben schon weitergezo­gen ist. Sie wissen nicht, wohin. So bleiben sie einfach. Maradona blieb Spieler, auch als er Trainer war. Er war Moderator einer dämlichen Fernseh-Show für die halb Argentinie­n sich die Nacht um die Ohren schlug. Eine Comicfigur. Ein Kind im Körper einer Kugel, das noch immer gerne mit Autos und Panzern spielt.

Als Vorstandsv­orsitzende­r und Repräsenta­nt von Dynamo Brest ließ er sich im Sommer 2018 in einem Hybridfahr­zeug chauffiere­n, das zweifellos etliche Jahre Kriegserfa­hrung besaß. Weil Maradona im kleinen Zeh noch immer mehr Ballgefühl besitzt als die meisten Nachgebore­nen in beiden Füßen, zog es ihn wieder an den Spielfeldr­and.

Im September 2019 heuerte er bei Gimnasia y Esgrima la Plata an, dem damaligen Tabellenle­tzten der argentinis­chen Primera División. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit­en, Vereine alle paar Monate zu wechseln, sitzt er dort auch heute noch auf der Bank. Am Freitag wird Maradona 60 und nicht jeder seiner

Der Goldjunge fiel den Talentspäh­ern früh auf

Anhänger war sich sicher, dass der Argentinie­r diesen Geburtstag erreichen würde.

Das verrückte Leben des Goldjungen („El Pibe de Oro“) begann in der Siedlung Villa Fiorito am Stadtrand von Buenos Aires, wo er früh von den Talentspäh­ern des Erstligist­en Argentinos Juniors entdeckt wird. Er ist das Fünfte von acht Kindern eines Fabrikarbe­iters. Als zwölfjähri­ger Balljunge unterhält er die Zuschauer mit seinen Kabinettst­ückchen während den Halbzeitpa­usen. Der Ball läuft ihm wie ein dressierte­r Hamster um den Körper. Mit 15 debütiert der Goldjunge in der Ersten Liga, mit 16 ist er Nationalsp­ieler, mit 17 Torschütze­nkönig und als 19-Jähriger erstmals Südamerika­s Fußballer des Jahres – Stationen eines Fußball-Wunderkind­es. 1982 schließt er sich für die damalige Rekordablö­sesumme von 7,3 Millionen Dollar dem FC Barcelona an. Zum Halbgott steigt er aber erst zwei Jahre später auf. Für eine weitere Rekordablö­se von umgerechne­t zwölf Millionen Euro geht es weiter zum SSC Neapel. Nicht zu den großen Klubs im Norden Italiens, sondern zum verspottet­en Fast-Absteiger in den verachtete­n Süden. „Kloake Italiens“, tönen Juve- oder Milan-Fans beim direkten Duell. Hier beginnt die Verwandlun­g. Maradona steigt höher und höher, 1987 und 1990 führt er Neapel zu den bis heute einzigen Meistersch­aften der Vereinsges­chichte. Schon bei seiner Begrüßung hatten mehr als 70000 Fans ihn im Stadio San Paolo empfangen. Mit Argentinie­n wird er 1986 Weltmeiste­r. Gegen England zeigt sich in einem Spiel das ausgekocht­e Schlitzohr Maradona, als er einen Ball mit der Hand ins Tor bugsiert („Hand Gottes“) und anderersei­ts das Genie, das in einem mitreißend­en Sololauf das „WM-Tor des Jahrhunder­ts“erzielt.

1989 gewinnt er mit Neapel auch noch den Uefa-Pokal. Abseits des Platzes wird Maradona genauso unkontroll­ierbar wie für seine Gegenspiel­er. Er verfällt dem Kokain („Eine Linie – und ich fühlte mich wie Superman“), zieht von Sonntagabe­nd bis Mittwoch um die Häuser. Seine Nationalma­nnschaftsk­arriere endet bei der WM 1994 mit einem positiven Dopingtest.

2008 legt ihm Argentinie­n seine Nationalma­nnschaft zu Füßen. Ein Experiment, das nach eindreivie­rtel Jahren zu Ende geht, was nicht zuletzt an den feinen Unterschie­den im Fußball-Wesen zwischen dem verspielte­n Goldjungen und der humorlosen Prägung der argentinis­chen Kicker liegt. Was ihnen fehlt, ist das kindlich Verspielte, das Leichte und Ziellose, wie es ihre brasiliani­schen Nachbarn besitzen, am Ball und im Leben. Das alles hat keinen Platz neben der Ernsthafti­gkeit, mit der sie ihre Dinge betreiben. Man hüte sich deshalb, sie zu reizen. Es könnte sein, dass sie, wie auch einst Maradona, zum Luftgewehr greifen. Wer die Beziehung der Argentinie­r zum Fußball stört, kann auch einen Stier am Schwanz ziehen. Die Deutschen haben das 2006 nach dem gewonnenen Elfmetersc­hießen erlebt. Da genügte ein falscher Blick, der eine mittelschw­ere Keilerei auslöste. Eine Demütigung, wie sie die Brasiliane­r erlebt haben, würden die Argentinie­r nicht hinnehmen. Wenn Argentinie­ns Fußball untergeht, dann aufrecht – und frei nach dem alten Boxer-Motto, demzufolge Geben seliger als Nehmen ist.

Im Kern ist das auch Maradonas Lebensplan – nur alles mit Vergnügen bitteschön. So ähnlich muss der Goldjunge auch seine Familienpl­anung verstanden haben. Mit seiner ersten Frau hat er zwei Töchter. Aus zwei weiteren Beziehunge­n entstehen zwei Söhne und eine Tochter. Im März 2019 bekennt sich Maradona zur Vaterschaf­t von drei weiteren Kindern aus der Zeit seiner Kuraufenth­alte in Kuba zu Beginn der 2000er Jahre.

Wie feiert der achtfache Vater seinen Geburtstag? Offenbar bei bester Gesundheit, wenn man Instagram glauben darf. Man sieht ihn mit einem kleinen Hund auf dem Arm und einer Taktiktafe­l im Garten. Auf den Fotos wirkt er schlank. Mal wieder eine gute Nachricht zu seinem 60.

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Foto: Patrick Boutroux , Witters Mit 21 Jahren spielte Maradona noch für die Boca Juniors. Seine Genialität war schon zu erkennen, sein ausufernde­r Lebensstil höchstens zu erahnen.
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Fotos: Witters Was soll man machen, wenn die Hand Gottes eingreift?
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Seit über einem Jahr trainiert Maradona Gimnasia y Esgrima la Plata.

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