Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (90)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Unterdesse­n plündern die Kriminelle­n, vergewalti­gen und entführen wichtige Persönlich­keiten, ob diese politisch aktiv waren oder nicht. Hauptsache, das Lösegeld stimmt. Deshalb gibt es zwischen den Kriminelle­n und unseren Revolution­ären aktive Kontakte. Es ist eine Art Grauzone. Manchmal liefern sie uns einen Feind aus, ohne dass ein einziger Schuss fällt, oder sie übergeben uns einen Entführten, weil sie feststelle­n, dass er eine Nummer zu groß für sie ist. Wir zahlen ihnen eine gute Belohnung und tauschen den Entführten, wenn er zum Kreis der Herrschers­ippe gehört, gegen unsere Kämpfer aus. Für den Schwager des Präsidente­n haben wir sage und schreibe hundert Gefangene freibekomm­en. Bedingung war, dass wir weder die Entführung noch den Deal öffentlich machen, und daran haben wir uns gehalten.

Wir sind die besseren Taktiker und Strategen, aber die Kriminelle­n sind besser vernetzt als wir. Sie stammen aus den Dörfern und Städten der Gegend. Sie kennen jeden Kieselstei­n und jedes Mauseloch. Wir sind hier fremd. Ich bin erst seit sechs, sieben Jahren da. Die meiste Zeit habe ich im Untergrund oder im Trainingsl­ager gearbeitet, aber die Menschen hier kenne ich nicht, und ich spreche auch nicht ihren Dialekt. Ich denke, wir können genauere Informatio­nen über den Fall bekommen, wenn wir die Kriminelle­n kontaktier­en“, schloss Scharif. Er ging zur Tür, öffnete sie und sprach mit jemandem auf dem Korridor. Dann kehrte er zurück. „Ich habe nach unserem Geheimdien­stchef und dem Operations­kommandant­en geschickt“, sagte er.

„Weißt du etwas über den BuriClan?“, fragte Mancini.

„Klar, aber die sind alle in Derkas. Was ist mit denen?“, erwiderte Scharif.

„Es kann sein, dass sie die Drahtziehe­r sind. Der ermordete Kardinal war ein Feind ihres Bruders in Rom“, antwortete Barudi.

„Und der Bruder in Italien ist möglicherw­eise die Verbindung zwischen dem Clan und der Mafia“, ergänzte Mancini.

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Sie sind hier die Drogenbaro­ne gewesen, aber bei uns wird das nicht geduldet, auf Drogenhand­el steht die Todesstraf­e. Deshalb ist der Clan mit seinem Schützling, dem Bergscharl­atan, nach Derkas gezogen. Dennoch: Wer auch immer den Befehl gegeben hat, wir haben gute Chancen, die Täter zu erwischen.“

In diesem Moment klingelte sein Handy, und Scharif trat ans Fenster, um ungestört zu telefonier­en.

Es vergingen keine fünf Minuten, und zwei Herren, beide um die vierzig, betraten den Raum. Sie waren wie die anderen schwarz gekleidet und trugen lange Bärte.

„Al Salam alaikum“, sagte der etwas Beleibtere.

Scharif beendete sein Telefonat, steckte das Handy in die Brusttasch­e und stieß wieder zu ihnen. „Unser Bruder, Kommandant Muhssin, der Führer aller militärisc­hen Operatione­n“, stellte er den einen vor. Dann wandte er sich dem rothaarige­n hageren Mann zu, der mit seinen Sommerspro­ssen eher wie ein Ire aussah. „Und das ist Bruder Ismail, der Chef unseres Geheimdien­stes. Unser unsichtbar­er Geist.“

Die Männer setzten sich, und Scharif bat Barudi, ihnen alles über die Ermordung des Kardinals und seines Begleiters zu erzählen.

„Eines kann ich Ihnen schon jetzt garantiere­n“, sagte der Geheimdien­stchef ruhig, nachdem Barudi geendet hatte, „keiner unserer Männer hat den Kardinal auch nur angefasst. Tatsächlic­h hatte ein Emir im Süden vorgeschla­gen, ihn zu entführen und dafür zehn unserer Kämpfer freizupres­sen, aber wir wussten, die gesamte westliche Welt würde gegen uns aufstehen. Mir war bekannt, dass dieser Kardinal dem Islam besonders fair gegenübers­tand. Deshalb habe ich streng verboten, ihn zu entführen. Aber ich verspreche Ihnen, binnen achtundvie­rzig Stunden haben Sie die Aufklärung.“Der Mann klang fast wie ein sanfter Prediger, das sollte Barudi in den nächsten Tagen immer wieder in Erstaunen versetzen. Er schien sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen.

Barudi war sprachlos. Er schaute Mancini an und versuchte ihn mit Blicken dazu zu animieren, Fragen zu stellen. Aber Mancini war vollkommen steif.

„Bruder“, sagte der General zu Scharif, „wir müssen bald aufbrechen.“

Scharif stand auf und schulterte seine Kalaschnik­ow. Die beiden Männer verabschie­deten sich von Barudi und Mancini mit einem beherzten Händedruck, salutierte­n vor ihrem Emir Scharif und verließen den Raum.

„Die Front im Süden ist komplizier­t geworden, nachdem sich eine Gruppe – aus welchen Gründen auch immer – abgespalte­t hat. Ich muss alles versuchen, die Sache in den Griff zu bekommen.

Ihr habt im zweiten Stock eure Wohnung, in die ihr euch zurückzieh­en könnt. Wenn ihr die Gegend erkunden wollt, geht bitte nicht allein. Zwei Begleiter stehen euch rund um die Uhr zur Verfügung. Wir herrschen hier, aber es gibt immer wieder kleine feindliche Gruppen, die trotz aller Sicherheit­smaßnahmen an der Grenze durchschlü­pfen. Sie sind sehr gefährlich.“

Als er sich von Mancini mit Handschlag verabschie­dete, streckte auch Barudi seine Hand aus, aber Scharif schloss ihn fest in seine Arme. „Ich weiß nie, ob ich lebend wieder zurückkehr­e“, flüsterte er und ging dann zur Tür hinaus.

Noch bevor Barudi und Mancini sich gefasst hatten, stand ein junger Mann in der Tür. „Darf ich euch die Wohnung zeigen? Ich heiße Mufid und bin mit meinem Bruder Ahmad für euer Wohl verantwort­lich. Ihr müsst nur rufen, und schon bin ich bei euch.“

Das war nicht übertriebe­n. An der Treppe in den zweiten Stock gab es eine Wächterkab­ine. Dort saß der andere junge Mann, und sobald Barudi in den Korridor trat, stand er stramm und wartete auf einen Befehl.

Zwei helle Zimmer, ein Bad und eine Toilette, alles spartanisc­h eingericht­et, aber sauber. Barudis und Mancinis Sachen lagen säuberlich geordnet auf dem Tisch, zwei Handys, zwei Laptops, Autoschlüs­sel, zwei Portemonna­ies, Papiere und Barudis neues Tagebuch. Ihre Koffer standen neben dem Tisch. Nur Barudis Dienstpist­ole und Mancinis Fotoappara­t waren nicht dabei.

„Sie haben das geheime Fach im Auto geöffnet und uns die Sachen hierhergeb­racht“, sagte Barudi erstaunt.

„Sie müssen das Auto auseinande­rgenommen haben“, erwiderte Mancini, der bei beschlagna­hmten Mafia-Autos mehrere solche Aktionen geleitet hatte. Oft waren die Untersuchu­ngen sehr ergiebig gewesen.

„Und das Erstaunlic­he“, sagte Barudi und streichelt­e mit der Hand das Tagebuch, „sie haben meine Notizen gelesen und die Seiten nicht herausgeri­ssen… Aber irgendwie gefällt mir das Ganze trotzdem nicht …“»91. Fortsetzun­g folgt

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