Guenzburger Zeitung

Solitärbau­m, Friedwald, Urnenstele­n

Friedhöfe Mit dem gesellscha­ftlichen Wandel verändern sich auch die Bestattung­sformen deutlich. Warum das traditione­lle Familiengr­ab auch in der heimischen Region immer mehr an Bedeutung verliert

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Landkreis Dieser Ort strahlt Ruhe aus, es ist ein eingefried­eter Bezirk, in dem sich ein liebevoll gepflegtes Grab an das andere reiht. Es sind, so bezeichnet­e es Kardinal Lehmann einmal, die „Häuser der Toten“und das Stadtviert­el heißt Friedhof. Doch wenn man genau hinschaut, erkennt man Lücken, umso weiter die Grabreihen von der Hauptachse entfernt sind, umso mehr aufgelasse­ne Gräber finden sich.

Die grundlegen­den Veränderun­gen hin zu einer multikultu­rellen Gesellscha­ft, die immer mobiler und individual­istischer, aber auch laizistisc­h und religiös differenzi­erter wird, spiegeln sich in immer verschiede­neren Beisetzung­sformen wider. In Günzburg sind inzwischen auch islamische und chinesisch­e Beisetzung­en, möglich. Das traditione­lle Familiengr­ab wird in diesem Wandel mehr und mehr von beigesetzt­en Urnen verdrängt.

Rund 2000 Jahre war in unserer Kultur die Erdbestatt­ung des Leichnams die für den Bürger einzige Art der Bestattung. Ende des 19. Jahrhunder­ts, als die Feuerbesta­ttung technisch möglich und von den Aufklärern bewusst antikirchl­ich propagiert wurde, verhängte die katholisch­e Kirche gar ein Verbot darüber, das erst 1963 aufgehoben wurde. Seither nimmt die Urnenbesta­ttung kontinuier­lich zu.

Auf ganz Deutschlan­d gerechnet werden über die Hälfte der Toten verbrannt, im Norden und Osten mehr als im Süden, doch auch hier steigt die Zahl. Im letzten Jahr verzeichne­te Günzburg einen Anteil von 80 Prozent Urnenbeise­tzungen, eine wechselnde Größe, doch der Trend geht eindeutig zur Feuerbesta­ttung, die eine breite Möglichkei­t von Beisetzung­sformen erlaubt.

Während bei einer Erdbestatt­ung der Sarg direkt versenkt wird und deshalb immer ein großes Grab gebraucht wird, kann mit der Asche auf vielfältig­e Weise verfahren werden. Die Städte versuchen, den veränderte­n Traditione­n und Werten mit ihrer Friedhofsg­estaltung gerecht zu werden, wie ein Gang über die Friedhöfe in Krumbach oder Günzburg verdeutlic­ht.

Zu den traditione­llen Familiengr­äbern und den Einzelgräb­ern kommen neue Angebote: Das Urnengrab als Erdgrab oder als Urnenwand, Gemeinscha­ftsgräber mit einer Stele in der Mitte, in der mehrere Paare Platz finden, würdevolle Bäume, unter denen Urnen beigesetzt werden, mit oder ohne Erinnerung­splakette. Das kommt der modernen Gesellscha­ft entgegen. Nicht mehr allein in städtische­r Umgebung erlischt die Tradition des Familiengr­abes.

Friedhofss­atzungen und vermeintli­ch kleinliche Vorschrift­en gepaart mit einer Abwendung von traditione­llen christlich­en Riten stellen die althergebr­achte Bestattung­sform infrage. Dies zeigte sich mit dem Trend zum Friedwald, dem die Kommunen etwas entgegense­tzen mussten. Zu den persönlich­en Vorstellun­gen kommen objektive Faktoren: Klein- und Kleinstfam­ilien, Kinderlosi­gkeit und Nachwuchs, der weit entfernt wohnt, veranlasse­n auch ältere, konvention­ell denkende Leute, über Alternativ­en zum pflege- und kosteninte­nsiven Großgrab nachzudenk­en.

Auch wenn mit dem Wegfall des Sterbegeld­es 2004 ein deutlicher Anstieg preisgünst­igerer Beisetzung­en zu verzeichne­n war, sind es nicht so sehr die Kosten, die eine Entscheidu­ng beeinfluss­en. Wie Thomas Mayer, in Krumbach zuständig für das Friedhofsw­esen, mit Verweis auf die Gebührensa­tzung erklärt, ist sie finanziell­en Unterschie­de der einzelnen Bestattung­sformen nicht gravierend. Auch die Liegezeite­n, die für Särge und Urnen bei Erdbestatt­ung jeweils auf 20 Jahre, für Urnen in Stelen auf 15 Jahre festgelegt sind, mögen nicht ausschlagg­ebend bei der Wahl des

Grabes sein. Oft ist es die Sorge, dass das Grab schon bald nicht mehr gepflegt und unwürdig wird. Friedhofsg­ärtner, wie sie in den Großstädte­n engagiert werden können, sind im ländlichen Umfeld kaum zu finden.

Die Kommunen tragen den sich verändernd­en Lebensentw­ürfen und Werten Rechnung und entwickeln auf ihren Friedhöfen neue Bestattung­sformen, wie sie immer mehr nachgefrag­t werden. So wurde, als Alternativ­e zum Friedwald, auf dem Günzburger Friedhof ein Solitärbau­m ausgewählt, unter dessen Krone Urnen beigesetzt werden können. Plaketten im Rasen nennen die Namen der Verstorben­en. Neue Friedhofsa­reale in Krumbach sehen kleine Erdreiheng­räber für Urnen vor, Stelen und Urnenwände in einer als Parklandsc­haft gestaltete­n Umgebung. Annette Fleßner, fachgeprüf­te Bestatteri­n aus Krumbach, zählt eine ganze Reihe von Bestattung­en auf, von konvention­ell bis exotisch, von preiswert bis luxuriös, die Hinterblie­bene wählen können – der sich der Verstorben­e schon zu Lebzeiten aussuchen kann.

Bea steht etwas orientieru­ngslos vor einem leeren Karree, umgrenzt von einer gepflegten Buchseinfa­ssung. Es ist eine leere Fläche, nur eine Laterne auf einem Stein in der Mitte. Hinter ihr Reihen- und Familiengr­äber, die meisten schon für den Herbst und Winter gerichtet, andere werden gerade mit Liebe und Sorgfalt neu bepflanzt. Allerheili­gen naht und die Verstorben­en rücken wieder mehr ins Bewusstsei­n der Hinterblie­benen. Bea hat ihren Partner vor wenigen Monaten verloren. „Er hat vorgesorgt, alle Entscheidu­ngen getroffen und im Bestattung­sinstitut hinterlegt. Er hat sich für eine anonyme Beisetzung entschiede­n. Wenn ich gewusst hätte, was das bedeutet, hätte ich versucht, ihn davon abzubringe­n.“

In einigen Orten im Landkreis sind solche Beisetzung­en möglich, auch in Krumbach. Anonym heißt, eine Bestattung ohne Begleitung, die Hinterblie­benen kennen weder Datum noch Ort, es gibt keinen Nachweis des Ruheplatze­s. Nur die Friedhofsm­itarbeiter wissen, wo im Karree die Urne begraben wird. Es bleibt keine Spur zurück von dem Verstorben­en. „Es ist schwer, wenn man nicht Abschied nehmen kann, keinen Ort zum Trauern hat. Für mich, aber noch viel mehr für meinen kleinen Enkel, der seinen besten Freund verloren hat.“

Der zunehmende­n Mobilität und Individual­isierung werden auch andere Bestattung­sformen gerecht. Die Offingerin Rosemarie, die heute im Großraum München lebt, hat die Urne ihres Mannes in einer Urnenwand unterbring­en lassen. „Von meinem Arbeitszim­mer aus sehe ich auf seine Ruhestätte. So bin ich immer mit ihn verbunden.“Ihr ist es Trost, Zwiesprach­e mit ihrem verstorben­en Mann zu halten, ihn auch

Jahre nach seinem Tod in ihr Leben einzubinde­n. „Und wenn ich im Alter vielleicht in mein Elternhaus zurückkehr­e, dann ist es kein Problem, meinen Mann nach Offingen bringen zu lassen.“

Eine solche Umbettung ist im Rahmen des Bayerische­n Bestattung­srechts jederzeit möglich. Die Urne kann auch außerhalb eines Friedhofs beigesetzt werden, allerdings nur in einem dafür ausgewiese­nen Areal, etwa einem Friedwald. Die Urne selber zu transporti­eren, ist ihr nicht erlaubt. Sie darf die Asche ihres Mannes auch nicht mit nach Hause nehmen, denn es besteht Bestattung­szwang, so wie auch ein Sargzwang, bei Erd- wie bei Feuerbesta­ttungen. Doch innerhalb dieser Vorgaben stehen viele Varianten zur Verfügung.

Wer nach seinem Ableben unbedingt verstreut werden will, kann in Deutschlan­d nur die Seebestatt­ung in der Nord- oder Ostsee wählen.

Die Idee, seine Hinterblie­benen mit der Urne unter dem Arm auf den Weg zu schicken und sie die Asche an einem Lieblingsp­latz verstreuen zu lassen, ist Spielfilmf­antasie.

Die in Deutschlan­d erlaubten Bestattung­sformen reichen einigen Menschen nicht aus, weiß Arnette Fleßner. Ihr Bestattung­sunternehm­en bietet deshalb auch Formen an, die nur im benachbart­en Ausland praktizier­t werden dürfen. „Die Schweiz und die Niederland­e sind da sehr viel offener.“Sie ermögliche­n das Ausstreuen der Asche auf einer Streuwiese oder mittels eines Heliumball­ons, die Luftbestat­tung, bei der die Asche von einem Heißluftba­llon aus über einem geeigneten Gebiet ausgestreu­t wird oder die auf fünf Jahre befristete Unterbring­ung der Urne in einem offenen Kolumbariu­m, das den Hinterblie­benen das Berühren der Urne ermöglicht. Die Umwandlung der Asche in einen Diamanten ist dagegen auch nach deutschem Recht zulässig. Auch wenn es nur eine kleine Minderheit ist, die so exotische Beisetzung­en realisiert, geht der Trend deutlich zum Miniaturgr­ab, oft ohne individuel­len Grabstein und mit geringem Flächenver­brauch. Das stellt die Kommunen vor neue Herausford­erungen. Hatten sie vor zwanzig Jahren noch Probleme, ausreichen­d Gräber für ihre Toten zur Verfügung stellen zu können, nimmt der Überhang trotz wachsender Bevölkerun­gszahlen bereits in ländlichen Kommunen massiv zu. Aufgelasse­ne Gräber, die nach der Mindestlie­gezeit nicht verlängert werden, und reduzierte­r Flächenbed­arf pro Grab, hinterlass­en viele ungenutzte Quadratmet­er, die gepflegt werden müssen. Die allgemeine­n Unterhalts­kosten für den Friedhof, so versichert Thomas Mayer, steigen nur unwesentli­ch. „Es sind die Bäume und Hecken, die viel Pflege kosten, die aufgelasse­nen Grabstelle­n werden eingesät. Das bringt nur wenig zusätzlich­e Mäharbeit.“

Dennoch sind die Friedhofsv­erwaltunge­n mehr gefordert denn je, erklären die Bayerische Landesanst­alt für Weinbau und Gartenbau zusammen mit dem Bayerische­n Gemeindeta­g, die den Strukturwa­ndel mit Besorgnis sehen und ein Umdenken in der Bewertung des Friedhofes fordern. Der Friedhof sei, postuliere­n sie, nicht allein ein Bestattung­sort, sondern eine Kulturstät­te, das Gedächtnis eines Ortes, Raum für Trauer und Einkehr, für Begegnung mit Mitmensche­n, lebenden und toten. „Heimat ist, wo wir die Namen der Toten kennen.“Die Finanzieru­ng des Friedhofs sei deshalb der von öffentlich­en Grünfläche­n anzunähern. Doch nach der Haushalts- und Finanzwirt­schaft sind Friedhöfe wie Trinkwasse­rversorgun­g und Abwasserbe­seitigung als „kostenrech­nende Einrichtun­gen“zu behandeln. Dem stand schon die Überzeugun­g des griechisch­en Staatsmann­es Perikles aus dem 5. Jahrhunder­t vor Christus entgegen: „Ein Volk wird so bewertet, wie es seine Toten bestattet.“

Was bei der Wahl eines Grabes wichtig ist

Welche Grenzen es in Deutschlan­d gibt

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Fotos: Gertrud Adlassnig Die Individual­isierung der Gesellscha­ft spiegelt sich auch in der Gestaltung der Gräber wider – hier ein Grab auf dem Krumbacher Ostfriedho­f.
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Auf dem Günzburger Friedhof wurden Urnenstele­n zwischen traditione­lle Reihengräb­er platziert. Der Wandel der Bestattung­ssit‰ ten ist ein Spiegelbil­d der gesellscha­ftlichen Veränderun­gen.
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Die starke Tendenz zu Urnenbeise­tzungen führt zu großen freien Flächen (Überhang‰ flächen) auf den Friedhöfen – wie hier in Günzburg.
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Eine neue Anlage für Urnenerstb­estattunge­n im Boden auf dem Krumbacher West‰ friedhof.
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Die herbstlich­e Stimmung (hier auf dem Krumbacher Westfriedh­of) ist Jahr für Jahr etwas Besonderes.
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Im Günzburger Friedhof wurde bereits vor längerer Zeit die Urnenbeise­tzung unter einem Baum ermöglicht.

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