„Joe Biden hat noch die Chance, die Wahl zu gewinnen“
Der Amerika-Experte Thomas Jäger hatte vor vier Jahren Trumps Wahlsieg vorhergesagt. Der Kölner Professor erklärt im Interview die Gründe für den überraschenden Verlauf der US-Wahl und was weitere vier Jahre Donald Trump für Deutschland bedeuten würden
Was ist die wichtigste Erkenntnis aus dem US-Wahl-Krimi?
Thomas Jäger: Die Umfrageinstitute lagen völlig falsch. Sie haben vorhergesagt, dass Joe Biden einen Riesengewinn einfährt. Doch am Ende hat er von den sieben Staaten, die er laut den Umfragen hätte gewinnen sollen, nur einen Staat, Arizona, gewonnen. In Florida und Ohio war Donald Trump klarer Sieger. Für Biden war der gewünschte Aufstand der Rentner gegen Trump in Florida nicht so einfach zu mobilisieren, wie er das dachte.
Hat Biden noch die Chance, dass sich in den Swing States Michigan und Pennsylvania das Blatt noch für ihn wendet?
Jäger: Ja, Joe Biden hat noch die Chance, die Wahl knapp zu gewinnen, wenn alle Briefwahlstimmen ausgezählt sind. Die endgültige Wahlentscheidung läuft auf die Staaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania hinaus. Und da ist Geduld gefragt, weil hier die Auszählung teilweise noch sehr lange dauern kann, was auch am großen Anteil der Briefwähler liegt. In Pennsylvania werden nach derzeitiger Rechtslage sogar noch die Briefwahlstimmen berücksichtigt, die bis Freitag eingehen. Also könnte es sogar sein, dass wir bis Freitag bis zum Ergebnis warten müssen.
War es ein strategisch geschickter Schachzug, dass Joe Biden mit seiner Durchhalterede einen Pflock eingerammt hat, bevor Trump seine Siegesrede angestimmt hat?
Jäger: Das musste Biden machen, denn er musste bei dieser Ergebnislage damit rechnen, dass Trump verfrüht seinen Wahlsieg erklärt. Trump lag bei den Auszählungszwischenständen in den drei umkämpften Staaten zwar weit vorn, aber das konnte sich noch völlig drehen. Deswegen musste Biden handeln.
Trump sprach in seiner Siegesrede von Wahlmanipulationen und drohte mit einem Auszählungsstopp. Ist er eine Gefahr für die amerikanische Demokratie?
Jäger: Ja, Trump hat das demokratische System schon vor der Wahl beschädigt, indem er gesagt hat, wenn er verliere, sei es Betrug, Amerika könne sich nicht auf seine Institutionen verlassen und das Briefwahlsystem funktioniere nicht. Da kommt es jetzt entscheidend darauf an, was in Pennsylvania passiert. Selbst wenn Trump Michigan gewinnen würde, reicht ihm das nicht. Deswegen ist das Trump-Lager jetzt versucht, mithilfe des Supreme Court dafür zu sorgen, dass man in Pennsylvania aufhört zu zählen. Trump lag dort komfortabel vorne, das kann sich aber durch die Briefwahl zugunsten Bidens ändern. Hier müssen wir abwarten, was jetzt passiert. Ein Auszählungsstopp wäre ein Angriff auf die Demokratie.
Nicht nur in Florida gelang Trump ein überraschend deutlicher Wahlerfolg.
Was sind die Gründe für sein überraschend starkes Abschneiden?
Jäger: In Florida und auch in Texas hat Trump bei den Latino-Wählern deutlich besser punkten können, als man erwartet hat. Insgesamt gab es zwei Themen, die den Wahlkampf dominiert haben. Das eine war die Corona-Pandemie und das andere die Wirtschaft. Beide Themen standen im direkten Widerspruch: Zwei Drittel der Wähler kritisieren das Krisenmanagement Trumps in der Pandemie als schlecht. Doch genauso sagen zwei Drittel der Wähler, dass Trump die USA aus der schlechten wirtschaftlichen Lage am besten herausführen könne. Die Demokraten haben den Wahlkampf auf das Versagen in der Pandemie ausgerichtet, Trump hat dagegen vor Biden gewarnt, wenn’s wirtschaftlich wieder aufwärts gehen soll.
So viel an der politischen Landkarte hat sich nicht geändert, die Republikaner sind vor allem auf dem Land erfolgreich, die Demokraten in den Städten. Warum hat die Corona-Debatte hieran nichts geändert?
Jäger: Laut Wahlumfragen war die Gesundheitspolitik nur an dritter und vierter Stelle ausschlaggebend für die Stimmabgabe. Das entscheidende Thema war dann eben doch die Wirtschaft. Und Trump ist inzwischen die personifizierte republikanische Partei, selbst wenn er am Ende noch mit einer Stimme unterliegen sollte. Aus Sicht der Republikaner hat er ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Auch der von Republikanern befürchtete Erdrutsch bei der gleichzeitigen Wahl im Senat ist ausgeblieben.
Vertieft dieser Wahlausgang die Spaltung Amerikas?
Jäger: Wenn Trump die Wahl gewonnen haben sollte, wird sich die Spaltung vertiefen. Und zwar aus zwei Gründen. In der Demokratischen Partei werden viele kritisieren, dass sie zum zweiten Mal erfolglos mit einem moderaten Kandidaten angetreten seien. Es würden bei den Demokraten scharfe Auseinandersetzungen geführt werden, ob man sich in Zukunft deutlich linker aufstellt. Und auf der anderen Seite würde Trump, sollte er die Wahl gewinnen, vor Kraft nicht laufen können. Er wird sagen, er habe ganz allein die Demokraten, die Medien und Corona besiegt. Er wird sich dann noch viel mehr auf seinen Instinkt verlassen. Und das wäre dann die schlechte Nachricht an die Welt, weil Trump dann noch unberechenbarer wird, als er eh schon war.
Ist das Wahlergebnis Ausdruck, dass sich die Amerikaner an den Stil von Trump inzwischen gewöhnt haben? Jäger: Nein. Ein Drittel der Bevölkerung saugt alles begeistert auf, was Trump von sich gibt, doch die anderen sind extrem davon angewidert. Trump ist es aber gelungen, nicht nur seine Gegner zu mobilisieren, sondern vor allem auch seine eigenen Anhänger.
Gibt es denn in Amerika überhaupt noch eine politische Mitte?
Jäger: Es gibt viele, die vorgeblich unpolitisch sind, auch wenn das am Ende nicht stimmt. Doch der Haupteffekt von Trumps Politik ist, dass die schon vorhandene Polarisierung der Gesellschaft über die letzten Jahre noch extrem zugenommen hat.
Was würde sich in einer zweiten Amtszeit Trumps für uns verändern? Jäger: Das ist schwer zu sagen, weil Trump kein wirkliches Programm hat, schon gar nicht in der Außenpolitik. Er wird den Kurs gegenüber China hart weiterführen – das wäre aber unter Biden auch nicht anders. Es ist zu erwarten, dass Trump den Kurs gegenüber der Europäischen Union verschärfen wird. Aus deutscher Sicht ist damit zu rechnen, dass die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und der EU zunehmen. Vor allem besteht das Problem, dass unter Trump die Glaubwürdigkeit der Nato in Zweifel gezogen wird. Die Frage ist, wie die anderen Staaten bei einem Wahlsieg auf Trump reagieren. Vier weitere Jahre Trump kann man nicht einfach aussitzen. Eine Umarmungsstrategie dürfte aber vielen schwerfallen.
Dämonisieren wir in Deutschland Trump, indem wir vielleicht Amerika nicht ganz verstehen?
Jäger: Nein. Die amerikanischen Gegner Trumps sehen ihn noch viel kritischer als wir. Bei uns wird Trump oft als Narzisst, der unberechenbar, unzuverlässig und rein ichbezogen reagiert, gesehen. In den USA wird Trump dagegen von seinen Gegnern irgendwo zwischen Diktator und Faschist angesiedelt, das ist eine ganz andere Nummer. Die Kritik ist in den USA viel deutlicher, Trump wird als Gefahr für das eigene Land angesehen. Doch seine Anhänger halten Trump für eine Art Schutzwall, den das Land brauche, um seine Identität zu bewahren.
Eine vergebliche Hoffnung war, dass mit der US-Wahl der Populismus zum Auslaufmodell wird ...
Jäger: Trump hat das Kunststück fertiggebracht, nach vier Jahren als Amtsinhaber im Weißen Haus als Außenseiter ins Rennen zu ziehen und als Präsident Reden gegen das Establishment zu halten. In den USA zieht das jedenfalls. Aber wir müssen den Wahlkampf erst noch genau analysieren, welche Rolle beispielsweise die Wahlkampf-App und die Sozialen Netzwerke gespielt haben. Und sicher werden sich das auch die Populisten in Europa genau anschauen, wie Trump dieses Kunststück gelungen ist, und sie werden versuchen, das zu kopieren. Interview: Michael Pohl
Thomas Jäger, 60, der AmerikaExperte lehrt als Professor für Außenpolitik und in ternationale Politik an der Universität Köln.