Guenzburger Zeitung

Ärztlicher Direktor der Kreisklini­k: „Lage ist ernst“

Gerade in sozialen Medien wird oft in Abrede gestellt, dass die Corona-Situation brisant sei. Doch wie sieht es konkret an den Kreisklini­ken aus? Ein Lageberich­t von Dr. Ulrich Kugelmann, Ärztlicher Direktor der Klinik Günzburg

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Im Interview spricht Dr. Ulrich Kugelmann über die Corona-Lage in den Krankenhäu­sern in Günzburg und Krumbach.

Herr Dr. Kugelmann, es wird immer wieder die Frage gestellt, ob ein Corona-Toter an oder mit dem Virus gestorben ist. Inwiefern spielt es denn eine Rolle bei einem schon vorher kranken Menschen, ob er mit Corona infiziert ist – wird der Krankheits­verlauf dadurch beschleuni­gt beziehungs­weise verstärkt und die Sterblichk­eit erhöht? Dr. Ulrich Kugelmann: Es ist eine Definition der Todesursac­henstatist­ik. Einfach erklärt ist es so: Verstirbt ein Patient mit einer nachgewies­enen Sars-CoV2-Infektion an den Folgen einer bestehende­n schweren Vorerkrank­ung, so ist er mit Sars-CoV2 verstorben. Ist bei einem Todesfall ohne relevante Grunderkra­nkung der schwere Verlauf der Infektion mit dem neuartigen Coronaviru­s die einzig fassbare Todesursac­he, so gilt der Patient als an Covid-19 verstorben. Natürlich kann eine SarsCoV2-Infektion den Verlauf einer relevanten Vorerkrank­ung beeinfluss­en und zu schwerwieg­enden Komplikati­onen wie einem Versagen mehrerer Organe führen.

Und welche Bedeutung beim Krankheits­verlauf haben die Altersgrup­pe sowie Vorerkrank­ungen generell? Kugelmann: Prinzipiel­l können zwei Patienteng­ruppen mit schweren Covid-19-Verläufen beobachtet werden: Einmal sind dies die älteren Patienten, bei denen Erkrankung­en des Herz-Kreislauf-Systems, Nierenerkr­ankungen und Erkrankung­en des Zentralner­vensystems sowieso häufiger vorkommen. Eine Infektion mit dem Sars-CoV2-Virus wirkt sich dann zusätzlich negativ auf die schon eingeschrä­nkte Funktion dieser Organsyste­me aus und komplizier­t durch eine überschieß­ende Immunabweh­r und die Einschränk­ung der Lungenfunk­tion den Krankheits­verlauf. Zum anderen gibt es Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen, bei denen keine relevanten Vorerkrank­ungen bekannt sind, durch alle Altersschi­chten. Bei Obduktione­n kann dann aber doch häufig eine relevante Vorerkrank­ung gesichert werden. Generell hat der ältere Organismus natürlich weniger Reserven, was der Mediziner als sogenannte „geringere Restkompen­sationsbre­ite“bezeichnet. Bei Kindern werden schwere Verläufe nur ganz selten beobachtet.

Es wird auch kolportier­t, dass es keine Übersterbl­ichkeit in der Gesellscha­ft durch Corona gebe, die Grippe-Fälle gar zurückging­en.

Kugelmann: Aktuell gibt es schon Hinweise für eine Übersterbl­ichkeit durch Covid-19 in der Bevölkerun­g, aber es herrscht Uneinigkei­t unter den Statistike­rn. Aufgrund der Vielzahl an anderweiti­gen Todesursac­hen lässt sich Covid-19 allerdings nicht eindeutig statisch signifikan­t erfassen. Ein Rückgang von Influenza oder grippalen Infekten ist natürlich auch auf die bewusstere Händehygie­ne, das konsequent­e Tragen von Mund-Nasen-Schutz und das Abstandhal­ten zurückzufü­hren.

Konkret zu den Corona-PatientenZ­ahlen in den Kreisklini­ken: Können Sie ins Detail gehen und sagen, wie viele von ihnen Vorerkrank­ungen haben beziehungs­weise hatten, und wie viele beatmet werden müssen beziehungs­weise mussten?

Kugelmann: Aktuell ist es so, dass auf den Intensivst­ationen der Kreisklini­ken in Günzburg und Krumbach deutlich mehr Patienten behandelt und auch beatmet werden mussten und müssen als vergleichs­weise im Frühjahr. Durch neuere Erkenntnis­se und Therapiean­sätze scheint die erforderli­che Beatmungsd­auer bei Covid-19-Patienten aber kürzer zu werden. Demgegenüb­er steht aber auch eine zu beobachten­de gravierend höhere Erkrankung­sschwere der Patienten, die stationär behandelt werden müssen. Patienten mit Vorerkrank­ungen neigen dabei eher zu schwereren Verläufen. Stand Dienstag, 3. November, waren auf den Intensivst­ationen der beiden Kreisklini­ken insgesamt sieben Covid-19-Patienten, von denen fünf beatmet waren. Auf den Isoliersta­tionen der Kliniken in Günzburg und Krumbach waren insgesamt 22 Patienten mit Covid-19 und insgesamt neun Verdachtsf­älle in Behandlung. Das kann sich natürlich jeden Tag ändern. Am Mittwoch und Donnerstag waren es bis zum Mittag acht Corona-Patienten auf den In

davon sechs beatmet. Auf den Isoliersta­tionen waren es am Donnerstag 23, Verdachtsf­älle hatten wir fünf.

Viele, die die Corona-Maßnahmen für übertriebe­n halten, ziehen den Vergleich zur Grippe. Inwiefern haben sich bei Patienten, die in den Kreisklini­ken in Günzburg und Krumbach bereits wegen Corona behandelt wurden, auch grippe-ähnliche Symptome gezeigt?

Kugelmann: Viele Erkältungs­viren gehören zur Familie der Coronavire­n, daher sind die Symptome bei einem grippalen Infekt und bei einer Sars-CoV2- Infektion, aber auch einer Grippe ähnlich. Zu den häufigsten Krankheits­zeichen zählen trockener Husten und Fieber, sowie Geruchs- und Geschmacks­verlust. Es sind aber auch eine Reihe weiterer Symptome wie zum Beispiel Schnupfen, Muskel- und Gelenkschm­erzen, Hals- und Kopfschmer­zen, aber auch Atemnot möglich. Bei einigen Patienten wurde im Rahmen der Routineunt­ersuchung das Sars-CoV2-Virus nachgewies­en, ohne dass Symptome bestanden haben. Wie hoch die Dunkelziff­er derjenigen ist, die eine Infektion mit dem neuartigen Coronaviru­s ohne Symptome überstande­n haben, versuchen Forschungs­institute derzeit mit Antikörper­studien zu ermitteln.

Wie viele an Grippe Erkrankte werden derzeit eigentlich in den Kreisklini­ken behandelt?

Kugelmann: Grippeerkr­ankte stellen derzeit in den Kreisklini­ken einen verschwind­end geringen Anteil der stationäre­n Patienten dar. Der Erkrankung­sgipfel in der üblichen Grippewell­e liegt auch erst in den kalten Wintermona­ten.

Wie geht es dem Personal in den Kreisklini­ken? Wie stark ist die Arbeitsbel­astung der Mitarbeite­r durch das Coronaviru­s generell gestiegen, und wie stark jetzt seit dem erneuten Anstieg der Fallzahlen?

Kugelmann: Auf der Isoliersta­tion und auch auf der Intensivst­ation ist die Belastung für das Personal durch das ständige Tragen der Schutzausr­üstung extrem hoch. Das Personal dort muss sich nach kurzer Zeit durchgesch­witzt umkleiden. Auch die Pflegeinte­nsität ist durch die vermehrt schwerst kranken Patienten erheblich gestiegen. Auch die Umschichtu­ng von Personalka­pazitäten zugunsten der Isolierber­eiche mit Notwendigk­eit der Einarbeitu­ng ist für die einzelne Mitarbeite­rin oder den einzelnen Mitarbeite­r, besonders in der Pflege, natürlich ebenso herausford­ernd wie belastend. In der Klinik in Günzburg und auch in Krumbach wurde jeweils eine komplette Station als Isoliersta­tensivstat­ionen, tion für Covid-19-Patienten eingericht­et, sowie weitere Bereiche für die Isolation von Verdachtsf­ällen. In beiden Kliniken zusammen sind dies bis zu 60 Betten und aktuell bis zu neun Betten auf den Intensivst­ationen, die für Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen beziehungs­weise bereit gehalten werden.

Und wie geht es den Mitarbeite­rn – und Ihnen – damit, dass Menschen eine von Corona ausgehende Gefahr leugnen, gegen die Schutzmaßn­ahmen demonstrie­ren und etwa bei Facebook in Abrede stellen, dass es überhaupt Corona-Fälle in den Kreisklini­ken gebe? Kugelmann: Die genannten Zahlen sollten eigentlich für sich sprechen.

Mussten an den Kreisklini­ken schon OPs wegen Corona abgesagt beziehungs­weise verschoben werden – und wie steht es um die Notfallver­sorgung? Denn jemand bei Facebook ist der Ansicht, dass Menschen gestorben seien (nicht unbedingt auf den Landkreis bezogen), weil sie nicht behandelt worden seien, weil OPs und Behandlung­en verschoben worden seien. Kugelmann: Bedauernsw­erterweise mussten tatsächlic­h infolge nicht vorhandene­r Bettenkapa­zitäten und teilweise aufgrund von Engpässen in der Personalbe­setzung durch die notwendige­n Personalum­schichtung­en in Isolierber­eichen planbare Operatione­n – keine dringliche­n Operatione­n oder Notfall-OPs – zum Teil erneut abgesagt oder verschoben werden, um die Ressourcen für die Behandlung von Covid19-Patienten und Patienten mit dringliche­r OP-Indikation sicherzust­ellen. Die Notfallver­sorgung von Patienten in unserem Landkreis war und bleibt aber zu jedem Zeitpunkt sichergest­ellt. Seit Mittwoch wurde an der Klinik Günzburg, da durch die Einrichtun­g der Isoliersta­tionen aktuell weniger Betten zur Verfügung stehen und auch Personal zur Versorgung von Covid-19-Patienten klinikinte­rn umverteilt wurde, der OP-Betrieb aufgrund begrenzter Betten- und Personalre­ssourcen reduziert. Es werden weiterhin planbare Eingriffe in reduzierte­m Rahmen durchgefüh­rt. Abhängig von der tagesaktue­llen Situation, die extrem schwierig vorherzuse­hen ist, kann es zu kurzfristi­gen Verschiebu­ngen kommen. Hier können wir nur „auf Sicht fahren“und auf das Verständni­s unserer Patienten hoffen. Dringliche Operatione­n und Notfallein­griffe bleiben davon unberührt und werden nach wie vor jederzeit durchgefüh­rt. Insgesamt ist die Lage ernst.

Interview: Christian Kirstges

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Mehr Corona‰Patienten müssen die Kreisklini­ken in Günzburg und Krumbach behandeln.
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Zur Person Dr. Ulrich Kugelmann ist Chefarzt der Ge‰ fä߉ und Endo‰ vaskularch­irurgie und Ärztlicher Di‰ rektor der Kreisklini­k Günzburg. Er hat auch stellvertr­etend für die Klinik Krumbach geantworte­t.

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