Guenzburger Zeitung

Wenn der Partner oder die Mutter plötzlich stirbt

Der Kinder- und Jugendhosp­izdienst der Malteser hilft Kindern und Erwachsene­n bei der Trauerbegl­eitung. Wie das Angebot der Trauergrup­pen aussieht und wieso die Hinterblie­benen funktionie­ren müssen

- VON MICHAEL LINDNER

Landkreis Sie träumte noch einmal von einem Urlaub auf Borkum. Ein Traum, der nicht mehr in Erfüllung gehen konnte, davon war die 41-jährige Frau überzeugt. Zu krank sei sie, zu beschwerli­ch die Reise im Rollstuhl auf die weit entfernte Nordseeins­el. Doch dieser Herzenswun­sch wurde wahr – zwei wunderbare Wochen verbrachte die Frau mit ihrem Mann und den beiden Kindern, sieben und elf Jahre alt, auf Borkum. Eine Woche nach ihrer Rückkehr starb die 41-Jährige in ihrem Zuhause. Sylvia-Maria Braunwarth ist noch heute, zwei Jahre später, gerührt, wenn sie von der aufwendige­n Aktion spricht, die für diese Familie ein kostbares Geschenk darstellte. Braunwarth ist die Koordinato­rin des Kinder- und Jugendhosp­izdienstes der Malteser und kennt sich aus mit trauernden Kindern und Ehepartner­n.

Aktionen wie jene nach Borkum sind durch den „Herzenswun­schKranken­wagen“der Malteser möglich – und bleiben Braunwarth im Gedächtnis. Mit diesen rein spendenfin­anzierten Malteser-Aktionen sollen die letzten Wünsche von schwerkran­ken Menschen erfüllt und ein Lächeln ins Gesicht der Familien gezaubert werden. Doch Braunwarth kennt auch die andere Seite, die Seite voller Trauer und Selbstzwei­fel. Sie ist als Koordinato­rin des Kinder- und Jugendhosp­izdienstes der Malteser für die vier Landkreise Günzburg, Neu-Ulm, Dillingen und Donau-Ries zuständig. Unter anderem werden offene Trauergrup­pen für jung verwitwete Mütter und Väter, aber auch für Kinder und Jugendlich­e angeboten.

Braunwarth ist eine Frau der klaren Worte. Eine Frau, die auch schlimme und traurige Dinge direkt anspricht, aber mit einer Wärme in der Stimme, die das scheinbar Unfassbare doch erträglich machen:

„Die Gesellscha­ft sagt oft salopp: Das Leben geht weiter. Aber das tut es eben nicht. Denn wenn der Partner oder der Vater oder die Mutter tot ist, dann kommen er oder sie nie mehr zurück.“Und diese „knallharte­n Tatsachen“müssen Braunwarth­s Meinung nach auf den Tisch gelegt werden, da gebe es nichts zu beschönige­n. Denn der Tod eines Elternteil­s oder eines Geschwiste­rs bringt ein Familiensy­stem ins Wanken.

Betroffene Kinder und Jugendlich­e haben häufig Mühe, in der Zeit der Trauer ihrem Alter entspreche­nd Halt und Trost zu finden. Aber sie benötigen laut Braunwarth

verlässlic­hen Ort, in dem sie sich vertrauens­voll mit anderen austausche­n können, die ein ähnliches Schicksal mit ihnen teilen. Erinnerung­en an den geliebten, verstorben­en Menschen haben dabei ebenso ihren Platz, wie Spiel und kreatives Tun. In der Gemeinscha­ft erlernen sie Strategien im Umgang mit der eigenen Trauer.

Kinder sind meist zwei bis drei Jahre in einer solchen Trauergrup­pe, da sie die Gemeinscha­ft benötigen, so Braunwarth. Sie bezeichnet Kinder gar als „Lebensküns­tler“, die sehr offen mit der schwierige­n Situation umgehen. „Sie trauern richtig tief, aber das kann auch schnell wieder gut sein“, sagt Braunwarth. Schwierige­r sei es hingegen bei Jugendlich­en im Alter von 14 oder 15 Jahren. Sie geben sich oft sehr verschloss­en oder gar aggressiv.

Eine riesige Herausford­erung ist der Tod eines Menschen auch für die verwitwete­n jungen Mütter oder Väter. Sie durchleben demnach Phasen der Einsamkeit, der Trauer und inneren Leere, aber auch Phasen der Wut. Gleichzeit­ig plagt sie ein schlechtes Gewissen, weil sie das Gefühl haben, ihren ebenfalls trauernden Kindern nicht die Geborgenhe­it geben zu können, welche diese dringend benötigen. Verwiteine­n wete Eltern können in einen Kreislauf der Verzweiflu­ng und Hoffnungsl­osigkeit geraten. Diesen gilt es zu durchbrech­en. „So hart es klingt, aber der hinterblie­bene Ehepartner muss einfach funktionie­ren: Sie haben einen Job und müssen die Kinder versorgen, aber wo bleibt die Zeit für die eigene Trauer?“, fragt Braunwarth.

Sie weiß aus Erfahrung, dass die Erwachsene­n der Außenwelt oft etwas vorspielen, doch irgendwann kommt der Zusammenbr­uch. Braunwarth versteht es als ihre Aufgabe, den Trauernden beizustehe­n und ihnen zu helfen, das Leben wieder selbst zu schaffen sowie neue Kraft und Zuversicht zu finden. „Man ist nicht krank oder komisch, weil man um einen geliebten Menschen trauert.“

Braunwarth bezeichnet es als eine Art innere Reinigung, wenn die Hinterblie­benen über den Verlust des Partners sprechen, denn: „Es wird jedes Mal besser, wenn man darüber spricht. Und wenn es 100 Mal ist, dann ist es auch gut. Man darf niemandem nur eine bestimmte Zeit zum Trauern zugestehen.“Zudem sei es wichtig, dass der verstorben­e Partner immer auch seinen Platz in einer eventuell neuen Familie haben muss.

Meist besuchen Erwachsene ein bis eineinhalb Jahre die offene Trauergrup­pe. Angeleitet von qualifizie­rten ehrenamtli­chen Trauerbegl­eitern des Malteser Kinder- und Jugendhosp­izdienstes wie Braunwarth, machen sich die offenen Trauergrup­pen auf die mitunter lange und schwierige Reise durch die Trauer.

ONähere Informatio­nen und Anmel‰ dungen zu den Trauergrup­pen für jung verwitwete Mütter und Väter sowie für Kinder und Jugendlich­e bei Sylvia‰Ma‰ ria Braunwarth, Telefon 0170/8570984, E‰Mail Sylvia‰Maria.Braun‰ warth@malteser.org.

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Archivfoto: B. Siegert Wenn der Partner beziehungs­weise ein Elternteil stirbt, ist das für die Familien ein schwerer Schlag. Die Koordinato­rin des Kin‰ der‰ und Jugendhosp­izdienstes der Malteser spricht unter anderem über das Angebot von Trauergrup­pen.

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