Guenzburger Zeitung

Warum wir beim Gebrauch jüdischer Redewendun­gen vorsichtig sein sollten

In einem knackigen Essay wehrt sich Ronen Steinke gegen den Gebrauch mancher jiddischer Redewendun­gen. Sie setzten die Tradition einer jahrhunder­tealten Judenfeind­lichkeit fort, selbst wenn sie unwissentl­ich gebraucht werden

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Ihr Buch „Antisemiti­smus in der Sprache“beginnt mit „Jude“– zwanzig Mal hintereina­nder, kursiv gedruckt. Als ich mir das so angeschaut und selbst vorgelesen habe, bekam ich tatsächlic­h schweres Kopfkino. Ronen Steinke: Genau. Wir sollten das üben, denn wir sind total verklemmt, wenn wir „Jude“sagen sollen. Auch manche Juden selbst haben Schwierigk­eiten, sich unverkramp­ft als solche zu bezeichnen. Sie wählen Ausweichfo­rmulierung­en wie „ich bin aus einer jüdischen Familie“oder „jüdischen Glaubens“, weil das nicht so vorbelaste­t klingt. Bei „Jude“schwingt immer ein negativer Kontext aus Jahrhunder­ten mit. Das Wort hat so viel Giftstoffe aufgesaugt, dass es fast nicht unbefangen genutzt werden kann.

Wie bezeichnen Sie sich, wenn Sie Ihre eigene Zugehörigk­eit beschreibe­n wollen?

Steinke: Ich sage, ich bin Jude. Aber die langjährig­e Präsidenti­n der jüdischen Gemeinde in München, Charlotte Knobloch, hat mir zum Beispiel mal erzählt, dass sie das Wort nie benutzt. Sie umschreibt sich selbst oder andere mit dem Adjektiv

„jüdisch“, „jüdischer Glaube“. „Jude“lebt in ihr als ein Schimpfwor­t, das sie an die lebensgefä­hrlichen Zeiten erinnert, als sie sich vor den Nazis verstecken musste.

Sie sind Politikred­akteur der Süddeutsch­en Zeitung, ein Sprachprof­i also. Was war für Sie der Anlass, ein Buch gegen Antisemiti­smus in der Sprache zu schreiben? Gab es ein Erlebnis, mit dem bei Ihnen das Fass überlief?

Steinke: Ja, „Mischpoke“. Das hat sich auch in den Medien richtig festgesetz­t. Im Jiddischen bedeutet Mischpoke einfach Familie, ohne jede Wertung. Als Lehnwort im Deutschen aber hat es die Bedeutung „korrupte, dubiose Bande“bekommen. So verwenden wir das Wort heute und wir verwenden es leider oft. So wie schachern und mauscheln.

Was ist damit?

Steinke: Schachern kommt vom jiddischen „sachern“und heißt einfach „Handel treiben“. Auch hier wendete erst der deutsche Gebrauch den Unterton ins Düstere, Halbseiden­e, also „unredliche­n Handel treiben“. Dasselbe bei „mauscheln“. Das Wort drückt einen Verdacht auf geheime Vetternwir­tschaft aus, wurde ursprüngli­ch im 17. Jahrhunder­t von dem Eigennamen Mauschel, also Moses auf Jiddisch, abgeleitet. Deutschspr­echer machten daraus „reden wie ein Jude“und zusätzlich einen spottenden Rufnamen für arme Juden. Ähnlich wie „Ali“heute als verächtlic­he Kollektivb­ezeichnung für Türken benutzt werden kann. Oder „türken“für fälschen.

Meist sind Sprecher oder Hörer die Ableitunge­n aus dem Jiddischen aber nicht bewusst. Kann die Verwendung trotzdem antisemiti­sch sein?

Steinke: Auch unwissentl­ich kann man hässliche Klischees verbreiten.

Bringen Sie das auch in der Redaktion durch?

Steinke: Ja, ich nehme da kein Blatt vor den Mund. Es sollte selbstvers­tändlich sein, seinen Wortschatz ständig zu überdenken. Diese Redewendun­gen rufen Stereotype­n von Juden auf, die seit dem Mittelalte­r in unserer Kultur zirkuliere­n, weil nicht die lexikalisc­he Herkunft, sondern allein die jiddische Herkunft für die negative Deutung sorgt. Wie „Ische“, Frau. Nur im Deutschen hat es die abfällige Bedeutung wie „Tusse“. Im Jiddischen heißt es einfach „Frau“. Anders bei „Ganoven“. Das stammt aus dem Rotwelsch-Slang und bezeichnet auch im Jiddischen „Kriminelle“.

Welche Wörter sind noch unbedenkli­ch?

Steinke: Nicht nur unbedenkli­ch, sondern sogar zauberhaft ist auch Schlamasse­l. Gebildet aus „schlimm“und „masal“, dem hebräische­n Wort für Glück, bedeutet es „Unglück“. Das ist ein Wort, das in beiden Sprachen mit derselben Bedeutung verwendet wird. Auch koscher, meschugge, Tacheles, Macke haben denselben Sinn wie im jiddischen Original. Sie klingen eben einfach charmant, deswegen werden sie als Importe auch im Deutschen gern verwendet.

„Jude“lebt in ihr als ein Schimpfwor­t

Stereotype von Juden, die seit dem Mittelalte­r zirkuliere­n

In Reden zum Gedenken an den Holocaust, in Ansprachen zu hohen jüdischen Feiertagen oder auch nach Anschlägen auf Synagogen sagten Politiker und Staatspräs­identen nicht „liebe Juden“, sondern weichen auf „liebe jüdische Mitbürger“aus, sie vermeiden „liebe Juden“. Ist das nicht gestelzt? Steinke: Ja, es hat etwas Gespreizte­s, Bürokratis­ches. Aber dahinter steckt eigentlich eine gute Intention. Denn jüdische Identitäte­n reichen von orthodox über „Kulturjude­n“bis atheistisc­h. Und mit „jüdische Mitbürger“ist die Ansprache verbindlic­h, aber offen für alle.

Jüdische Atheisten? Gibt es die? Steinke: Und wie! Es gibt nicht gläubige Menschen, die sich, weil sie aus jüdischen Familien stammen, als Juden sehen. Identitäte­n funktionie­ren da nicht nur über religiöse Bekenntnis­se.

Der Duden versieht das Verb „türken“mit dem Hinweis „besser nicht verwenden“, weil es von Türken als diskrimini­erend empfunden werden kann. Schwebt Ihnen so eine Warnung auch für Wörter jiddischen Ursprungs vor? Steinke: Das wäre ein Ziel, ja. Ich freue mich, dass der Dudenverla­g mein Buch veröffentl­icht hat. Vielleicht ist der Weg von hier nicht mehr so weit.

Interview: Stefanie Schoene

» Ronen Steinke: Antisemiti­smus in der Sprache. Warum es auf die Wort‰ wahl ankommt, Dudenverla­g Berlin, 2020. 64 Seiten, 8 Euro.

Ronen Steinke, 1983 geboren, stu‰ dierte Jura, promoviert­e und lebt heute in Berlin. Er ist Politikred­akteur der Süddeutsch­en Zeitung und ar‰ beitet als Autor – zuletzt hat er „Ter‰ ror gegen Juden: Wie antisemiti‰ sche Gewalt erstarkt und der Staat versagt“veröffentl­icht.

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Foto: Peter von Felbert Der Politikred­akteur Ronen Steinke kritisiert den Gebrauch von manchen jiddischen Wörtern im Deutschen.

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