Guenzburger Zeitung

Die Welt atmet auf

Joe Biden wird der nächste Präsident der Vereinigte­n Staaten. Er verspricht nicht weniger als einen Neuanfang. Vor allem Deutschlan­d setzt große Hoffnungen in ihn. Trump will den Kampf ums Weiße Haus noch nicht aufgeben

- VON STEFAN LANGE UND MARGIT HUFNAGEL

Washington/Berlin Vielleicht lässt der Tweet von Ministerpr­äsident Markus Söder am tiefsten blicken: „Yes he can!“, schreibt er am Samstagabe­nd auf Twitter und erinnert damit an den Wahlspruch des früheren US-Präsidente­n Barack Obama. Dessen Amtszeit gilt inzwischen bei vielen Politikern als „gute alte Zeit“– und nach genau der sehnen sie sich zurück. Mit dem Sieg des Demokraten Joe Biden bei den amerikanis­chen Präsidents­chaftswahl­en ist daher weltweit die Erleichter­ung groß. Nach einer tagelangen Zitterpart­ie besiegelte Bidens Erfolg im Schlüssels­taat Pennsylvan­ia am Samstag Trumps Abwahl. „Jetzt sollte das bizarre Schauspiel der letzten Tage ein Ende finden“, hofft Söder. Es sind ungewohnt undiplomat­ische Worte, die aus der deutschen Politik in Richtung Donald Trump erklingen. Und große Hoffnungen, die in dessen Nachfolger gesetzt werden.

„Lasst uns diese düstere Ära der Dämonisier­ung hier und jetzt zu Ende gehen lassen“, gelobt der Demokrat Biden in seiner Siegesrede. „Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der danach strebt, nicht zu spalten, sondern zu einen.“Mit seiner Vizepräsid­entin Kamala Harris gelang ihm schon jetzt ein historisch­er Coup: Harris wird die erste Schwarze und die erste Frau in diesem Amt sein. Auch sie spricht von einer Zeitenwend­e: „Als unsere Demokratie selbst auf dem Wahlzettel stand, die Seele Amerikas auf dem Spiel stand und die Welt zuschaute, habt Ihr einen neuen Tag für Amerika eingeläute­t.“

Während Menschen in US-Metropolen auf den Straßen feiern, erkennt der amtierende Präsident das Ergebnis allerdings nicht an – er will klagen. Eine Abwahl nach nur einer Amtszeit war zuletzt 1992 bei George Bush senior der Fall. Biden kam am Ende einer tagelangen Zitterpart­ie über die Marke von 270 Wahlleuten, die für einen Erfolg erforderli­ch sind. „Die einfache Tatsache ist, dass diese Wahl noch lange nicht vorbei ist“, teilt Donald Trump unterdesse­n mit. Der 74-Jährige hatte sich zuletzt als Opfer systematis­chen Wahlbetrug­s dargestell­t, ohne dafür stichhalti­ge Beweise vorzulegen.

Dennoch gratuliere­n bereits viele Staats- und Regierungs­chefs dem gewählten Präsidente­n Biden und der gewählten Vizepräsid­entin Kamala Harris zum Wahlerfolg – darunter die Bundesregi­erung. „Ich freue mich auf die zukünftige Zusammenar­beit mit Präsident Biden“, erklärt Kanzlerin Angela Merkel. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier schreibt in einem Gastbeitra­g für die FAZ: „Nutzen wir die Chance, gemeinsam mit einem von Joe Biden regierten Amerika die Demokratie und die Kraft der Vernunft in unseren Gesellscha­ften zu erneuern.“Außenminis­ter Heiko Maas erneuert sein Angebot für einen „New Deal“, er meint damit „einen transatlan­tischen Neustart“. Der SPD-Politiker nennt als eines der wichtigste­n Betätigung­sfelder den Klimaschut­z. Nicht nur seit der Aufkündigu­ng des Pariser Klimaschut­zabkommens durch Trump sehen viele die weltweiten Klimaziele in Gefahr und hoffen nun auf eine Umkehr. Die Grünen-Fraktionsv­orsitzende­n Katrin Göring-Eck77-jährige ardt und Anton Hofreiter sagen deshalb: „Wir hoffen, dass es Joe Biden gelingen wird, eine ambitionie­rte Klimaagend­a durchzuset­zen.“Freude herrscht aber auch schlicht darüber, dass der Amtsinhabe­r nicht wiedergewä­hlt wurde. Linken-Parteichef­in Katja Kipping zeigt sich „unglaublic­h erleichter­t, dass Trump die Wahlen nicht gewonnen hat“. Seine erneute Wahl „wäre die Wiederwahl eines autoritäre­n Rechten gewesen“, erklärt sie. Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Alexander Throm kritisiert den „unehrenhaf­ten Umgang Trumps“mit seiner Niederlage und nennt dies „beschämend“.

Nicht weniger als einen Neustart der transatlan­tischen Beziehunge­n erhofft man sich in Berlin. Transatlan­tik-Koordinato­r Peter Beyer rechnet damit, dass Biden bald nach seiner Vereidigun­g im Januar nach Deutschlan­d kommt. „Joe Biden hat klar gesagt, er braucht starke Partner, und das sind die Europäer. Und in Europa ist die stärkste Volkswirts­chaft, vielleicht auch die politisch führende Kraft, Deutschlan­d“, sagt der CDU-Politiker. „Also kommt er gar nicht umhin – auch im eigenen Interesse – hier in Berlin einen Stopp zu machen.“

Biden dürfte allerdings erst einmal andere Baustellen haben, wie der für Auswärtige­s und Verteidigu­ng zuständige Unionsfrak­tionsvize Johann Wadephul am Sonntag analysiert. Priorität für Biden werde die Befriedung des eigenen Landes haben. An zweiter Stelle werde sich der neue US-Präsident auf die Beziehunge­n zu China konzentrie­ren, erklärt Wadephul. Unter Trump wurde Peking zur existenzie­llen Bedrohung für die USA erklärt. Für die EU biete sich die Chance, sich in die China-Politik der USA einzubring­en, mahnt Wadephul.

„Für die transatlan­tischen Beziehunge­n steht viel auf dem Spiel“, sagt Sigmar Gabriel, Chef der Atlantikbr­ücke, einer Organisati­on, die sich um die Zusammenar­beit zwischen Europa und den USA bemüht. „Unsere Aufgabe als Europäer ist es, den Dialog zu suchen und die Zusammenar­beit mit den USA aktiv mitzugesta­lten – unabhängig davon, welcher demokratis­ch gewählte Präsident im Amt ist.“

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