Warten wir’s ab
Die langen Tage vor 270: Erfahrungen in der Endlosschleife
Auch auf seltenste Ereignisse wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis muss niemand groß warten. Sie sind auf die Minute genau verlässlich terminiert. Umso verstörender wirkte der zähe Wahlkrimi in den USA. Die Auszählung zog sich hin wie ein Pferderennen in Endlosschleife, bei dem man nach einigen Tagen und Nächten irgendwann nicht mehr sicher sein konnte, ob es überhaupt eine Ziellinie gibt oder doch nur die Ewigkeit. Die Welt ein Wartesaal ohne Notausgang.
Wir gingen mit „Noch nicht entschieden“ins Bett und wachten mit derselben Nachricht wieder auf. Wir verfolgten, wie Joe Biden etwa in Pennsylvania Stimme um Stimme an den in einer Staubwolke schon enteilt geglaubten Donald Trump herangaloppierte. Wir betrachteten diese USA-Karte mit den blauen und roten Puzzleteilen, sahen die hellen Waben namens Nevada, Georgia; stürzten uns in Rechenmodelle und hielten irgendwann die Zahl 270 für eine absurde Weltformel, an der bis Mai 2023 gezählt wird, bis alles wieder von vorne losgeht, während CNN immer noch sendet und sendet …
Gewohnt, abends daheim ein Buch, sagen wir „Die Geschichte der USA“, im Internet zu bestellen und es am nächsten Tag zu bekommen, war die Erfahrung des Wartens verstörend. Das kannten wir nur von Service-Hotlines. Wieso geht das nicht auf Knopfdruck? Was machen die da in den Wahllokalen? Eselsohren aus Briefwahlscheinen bügeln? Während Joe Biden seinen Marathon auf der längsten Siegesstraße der Neuzeit lief und Donald Trump die Realität wegzutwittern versuchte, kam nach Tagen geradezu jäh dann doch ein Ergebnis. Es wurde nicht amtlich verkündet wie das Ende einer Sonnenfinsternis, sondern von CNN festgelegt. Kommentator Van Jones brach in Tränen aus. Echt jetzt, das war’s?