Guenzburger Zeitung

Es wird Zeit für ein neues transatlan­tisches Verhältnis

Leitartike­l Viel zu lange hat Deutschlan­d sich hinter dem mächtigen Freund versteckt. Doch diese US-Wahl hat gezeigt, dass es eine andere Außenpolit­ik braucht

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Vor sechs Jahren forderte Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheit­skonferenz, Deutschlan­d müsse mehr Verantwort­ung in der Welt übernehmen. Der Bundespräs­ident löste eine konstrukti­ve, allerdings wenig nachhaltig­e Debatte aus. Heute, wo die politische­n Herausford­erungen noch gewaltiger scheinen, würde man sich einen solchen Diskurs wieder wünschen. Die USWahl hätte ein Weckruf sein müssen. Doch die Akteure der deutschen Außenpolit­ik wagen nichts. Sie ziehen sich die Decke über den Kopf und wollen erst aus dem gemachten Bett schlüpfen, wenn die Welt wieder schön ist.

In wichtigen Fragen der europäisch­en und internatio­nalen Politik stellt sich die Regierung seltsam tot. Von US-Präsident Donald Trump ließen sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett Eingriffe in die eigenen Zuständigk­eiten nahezu unerwidert gefallen. Seine Kritik an der Nichteinha­ltung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato, die Ankündigun­g des Abzugs amerikanis­cher Soldaten oder die Torpedieru­ng der Gasprojekt­s Nord Stream 2 – Deutschlan­d zuckte stets mit den Schultern.

„Die Vereinigte­n Staaten sind und bleiben der wichtigste Partner für Deutschlan­d“, betont Merkel unermüdlic­h. Die historisch gewachsene Fokussieru­ng auf die USA lässt die europäisch­en Partner allerdings mit Misstrauen auf Deutschlan­d schauen. Sie haben längst eine viel differenzi­ertere Haltung eingenomme­n. Es gilt hier das Fazit eines Reports, den die Münchner Sicherheit­skonferenz jüngst vorgelegt hat: „Deutsche Außenpolit­ik verändert sich – aber die Welt um uns herum verändert sich schneller.“

So hat Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron die Sorge geäußert, Europa drohe „geopolitis­ch zu verschwind­en“und „die Kontrolle über sein Schicksal zu verlieren“. Man sei zu nachgiebig gegen China, zu abhängig von den USA und zu passiv in der Russlandpo­litik. Anstatt den Ball aufzunehme­n, tat Merkel das als „nicht nötigen Rundumschl­ag“ab. Die Kanzlerin hätte die deutsche EURatspräs­identschaf­t für eindeutige Positionsb­estimmunge­n etwa zum Aufbau einer Europa-Armee nutzen können. Doch bislang ließ sie diese Chance ungenutzt verstreich­en.

Vom deutschen Außenminis­ter bekommt die Welt ebenfalls keine eindeutige­n Antworten. Heiko Maas hat sich dem Multilater­alismus verschrieb­en. Sein Plädoyer für eine internatio­nale Zusammenar­beit ist hehr. Es bleibt aber ungefähr, wenn nicht gleichzeit­ig die Frage beantworte­t wird, welchen Beitrag Deutschlan­d leisten will – und vor allem überhaupt leisten kann.

Bevor es sich im europäisch­en und internatio­nalen Verbund positionie­rt, muss Berlin den eigenen Standpunkt klären. Für den Umgang mit Peking braucht es eine eigene Handlungsl­ogik, die die Ansprüche als Exportnati­on mit den europäisch­en und amerikanis­chen Interessen verbindet. Klärungsbe­darf gilt für die Beziehunge­n zu Russland. Sie sind in den Augen Washington­s und der meisten EUStaaten viel zu eng.

Nötig wäre es, jetzt die Decke vom Kopf zu ziehen und sich den Realitäten zu stellen. Es geht dabei um eine fortschrit­tliche Definition des transatlan­tischen Verhältnis­ses und nicht etwa um den Bruch. Und ein bisschen träumen darf man ja trotzdem noch. Zum Beispiel davon, dass Deutschlan­d mit den Erfahrunge­n der Wiedervere­inigung Einfluss auf die künftige internatio­nale Ordnung nimmt. Eine Ordnung, die mit der klassische­n Unterschei­dung zwischen inneren und äußeren Bedrohunge­n aufräumt, die Strafzölle nicht mit Diplomatie verwechsel­t und die der Welt am Ende vielleicht sogar mehr Frieden bringt.

Strafzölle nicht mit Diplomatie verwechsel­n

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Zeichnung: Stuttmann Der Versöhner…
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