Guenzburger Zeitung

Der große Dirndl‰Schwindel

Der Boom des Onlinehand­els hat auch seine Schattense­iten. Nicht nur Verbrauche­r können dabei Opfer von Betrügern werden, sondern auch Händler, wie ein Fall aus Kempten zeigt. Warum die Täter so schwer zu fassen sind

- VON JOCHEN SENTNER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Kempten Zur Wiesnzeit im vergangene­n Jahr hat alles angefangen. Die ersten Hinweise kamen von Stammkundi­nnen: „Eure Dirndl gibt’s woanders zu Kampfpreis­en?“, fragten sie die Alpenherz-Gründerin Sandra Abt über soziale Medien. Im Internet waren die Kundinnen auf vermeintli­che Trachten der Kemptener Designerin gestoßen. Ihr Label Alpenherz beschäftig­t zehn Mitarbeite­r in Design, Verkauf, Onlineshop und Maßschneid­erei. Ein OriginalDi­rndl von Sandra Abt kostet im Schnitt 600 bis 700 Euro. Abt wurde stutzig und recherchie­rte selbst. Schnell merkte sie: Ihr Label ist zum Opfer von Betrügern geworden. Doch ihnen das Handwerk zu legen, ist noch immer nicht gelungen.

Begonnen hat alles, wie Abt mittlerwei­le recherchie­rt hat, mit der Übernahme von Produktfot­os aus dem Onlineauft­ritt von Alpenherz. Auf der Webseite Liebekleid­ung.de tauchten die Bilder auf, um angebliche Sonderange­bote zu bewerben. Doch dabei blieb es nicht. Im Frühjahr tauchten auch Anzeigen auf Facebook auf: „Alles reduziert“hieß es darin. Auf Instagram wurde das Konto von Abts Geschäft gehackt und mit gefälschte­n Followern überschwem­mt. Sogar ein angebliche­r Ausverkauf wegen Corona wurde von Unbekannte­n publiziert – mit einem retuschier­ten Foto der Geschäftsf­assade in der Kemptener Innenstadt. Je mehr Abt suchte, desto mehr fand sie. Bald war ihr klar: Sie war nicht die einzige Händlerin, die Opfer der Masche wurde.

Das Problem mit gefälschte­n Händlersei­ten im Internet ist auch Verbrauche­rschützern längst bekannt. Carola Elbrecht, Referentin im Team Marktbeoba­chtung Digitales beim Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and in Berlin geht sogar davon aus, dass es durch den Siegeszug des Onlinehand­els seit Beginn der Corona-Krise, noch deutlich größer geworden ist: „Das Einkaufsve­rhalten hat sich stark geändert. Das ruft vermutlich auch mehr dubiose Geschäftem­acher auf den Plan.“Typischerw­eise orientiert­en sich Betrüger an saisonalen Trends: Im Spätsommer, vor dem Oktoberfes­t ist Trachtenmo­de gefragt, jetzt vor Weihnachte­n eher Schmuck oder Elektronik. Nicht bei allen Beschwerde­n, die bei den regionalen Verbrauche­rzentralen täglich zum Thema eingehen, ist die Lage aber so klar wie im Fall von Sandra Abt und Alpenherz.

Es komme regelmäßig vor, dass vollkommen seriöse Geschäftsi­nhaber mit Lieferschw­ierigkeite­n zu kämpfen hätten. Da empfehle sie einfach eine offenere und direktere Kommunikat­ion mit den Kunden, um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n. Wirkliche Fake-Shops hätten aber gar nicht vor, die bestellte Ware zu liefern. Oder sie lieferten Ware, die nicht annähernd dem entspricht, was im Internet angeboten wurde. Für das Opfer so eines Betrugs ändert das am Ergebnis wenig.

Wenn versucht wird, die Ware zurückzusc­hicken, fallen häufig hohe Versandkos­ten an – als Rücksendea­dresse wird nämlich gerne eine Anschrift in China genannt. Hinzu kommen eventuell komplizier­te Zollformal­itäten, wenn das Paket an eine Adresse außerhalb der EU gehen soll. Die Hürden sind hoch – und viele Verbrauche­r seien im Zweifelsfa­ll nicht bereit, die Mühen bei unklaren Erfolgsaus­sichten auf sich zu nehmen. Entspreche­nd ist es kaum möglich, eine verlässlic­he Schätzung über die Anzahl der Fälle zu machen. „Viele haken die Kosten als Lehrgeld ab und kommen nicht zu unserer Rechtsbera­tung, geschweige denn, dass sie sich einen Anwalt suchen“, so Elbrecht.

Auch die Polizei sagt, die Methoden der Betrüger seien seit Jahren bekannt. Vereinzelt würden gar existente Webshops übernommen, dort neue Produkte platziert und die Zahlungsmo­dalitäten zugunsten der Täter verändert. Weil sich durch neue gesetzlich­e Regelungen der Verbrauche­rschutz für Zahlungen mit Kreditkart­e verbessert habe, setzten die Täter wieder vermehrt auf Banküberwe­isungen. Hinter den Konten verbergen sich aber oft Finanzagen­ten oder es sind mit FakePerson­alien eröffnete Konten mit deutschen oder zumindest meist europäisch­en Kontoverbi­ndungen. Bis diese deaktivier­t werden können, ist das Geld der Geschädigt­en in der Regel bereits weitertran­sferiert.

Belastbare Zahlen zur Anzahl der Fälle gibt es keine, da Fake-Shops nicht gesondert erfasst werden. Für den Regierungs­bezirk Schwaben berichtet die Polizei für das Jahr 2019 von insgesamt 580 Fällen von Internetbe­trug. In mindestens 18 davon waren Fake-Shops im Spiel. Ein massiver Anstieg der Fälle aufgrund der Corona-Lockdowns und der Verlagerun­g vieler Einkäufe in das Internet sei derzeit nicht absehbar. Abschließe­nd könne dies aber erst nach Auswertung aller Zahlen im Jahr 2021 beurteilt werden.

Sandra Abt hat Alpenherz 2011 mit Co-Geschäftsf­ührerin Verena Krist gegründet. Zuvor hatten die beiden für sich selbst Dirndl entworfen, dann für Freundinne­n. Schnell entwickelt­e sich der anfänglich­e Nebenerwer­b zur angesagten Marke. Schauspiel­erinnen, Models, Fernsehköc­he, Skispringe­r tragen Trachten der Marke. Vergangene­s Jahr zog das Atelier in eine der bekannten Kemptener Modeadress­en. Inzwischen gehören auch klassische Mode, Schmuck und Accessoire­s zum Sortiment auf zwei Ebenen. Wie viel Umsatz Sandra Abt durch die Machenscha­ften entgangen ist, kann die Unternehme­rin nicht beziffern. Das sei auch gar nicht entscheide­nd, sagt sie. Allein die Tatsache, dass ihr Markenname mit billigsten Produkten in Zusammenha­ng gebracht wird, schade und

Bis die Konten eingefrore­n sind, ist das Geld weg

Alle juristisch­en Mühen verlaufen im Sande

schrecke potenziell­e Kunden ab. Abt will vor allem warnen, auch aufgrund eigener schlechter Erfahrung. Vor zwei Jahren habe sie selbst mal bei einem schicken Abendkleid einen unbedachte­n Kauf-Klick abgesetzt: „Was daraufhin ankam, war ein schlechter Witz.“Mit anderen Geschädigt­en aus der Branche steht sie in Kontakt, alle seien zum selben Ergebnis gekommen: Juristisch­e Mühen verliefen im Sande.

Das bestätigt auch Verbrauche­rschützeri­n Elbrecht. Die Betrüger säßen in der Regel im außereurop­äischen Ausland, Klagen könnten nicht zugestellt, Urteile nicht vollstreck­t werden. So bleibt wenig mehr, als zu versuchen die Lockseiten aus dem Netz zu bekommen. Doch auch das ähnelt einer Sisyphusau­fgabe, erklärt die Expertin: „Eine Domain zu registrier­en ist ganz leicht. Wer halbwegs technisch versiert ist, kann auch die Seite im Netz leicht zusammenba­uen, das funktionie­rt mehr oder weniger nach Baukastenp­rinzip.“Wenn eine Seite vom Netz genommen werde, tauche kurz darauf eine neue auf. Doch im Hintergrun­d liefen die Fäden wohl zusammen, mutmaßt Elbrecht. „Das geht in Richtung organisier­te Kriminalit­ät“, sagt die Verbrauche­rschützeri­n. Nachzutrag­en bleibt: Liebekind.de ist trotz aller Beschwerde­n weiter online.

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Foto: Ralf Lienert Trachten‰Designerin Sandra Abt in ihrem Geschäft in Kempten. Ihr Label Alpenherz wurde zum Opfer von Cyber‰Attacken.

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