Guenzburger Zeitung

„Amerika ist auch ein Land der Träumer“

Die Schriftste­llerin und Büchner-Preisträge­rin Felicitas Hoppe hat ein intensives Verhältnis zu den USA. Die Diskussion um Fake News und um Wahrheit empfindet sie als Misstrauen­svotum an die Literatur

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Frau Hoppe, Sie haben in den USA gelebt und studiert und sind dort auch auf Recherche-Reise für Ihr jüngstes Buch „Prawda“gewesen. Haben Sie die USA damals ebenfalls schon so stark polarisier­t erlebt?

Felicitas Hoppe: Meine erste Begegnung mit den USA geht zurück auf die 1980er Jahre. Da war ich jung und naiv und wusste nicht viel von dem Land. Ich bin dort an die Westküste zum Studieren gegangen und fand das wunderbar und aufregend. Übrigens war bereits mein erster Aufenthalt mit dem Erlebnis einer Wahl verbunden, als Ronald Reagan 1984 zum zweiten Mal Präsident wurde. Ich erinnere mich noch an mein Befremden, weil ich diesen Wahlkampf nicht verstanden habe. Das war für mich reiner Zirkus. Ein theatrales Element hat es wohl schon immer gegeben, das hat in Trump nur eine enorme Zuspitzung erfahren. Was wir heute erleben, ist also nicht völlig neu, hat aber schon aufgrund des medialen Wandels eine ganz andere Qualität. Wie haben Sie die Wahl jetzt erlebt? Hoppe: Von Anbeginn vor dem Bildschirm, das mache ich alle vier Jahre so. Meistens schließen wir Wetten ab.

Wer ist wir?

Hoppe: Damit meine ich meine Freunde, unter anderen eine gute und enge Freundin, die seit 40 Jahren in den USA lebt; dadurch gibt es einen sehr regen Austausch über die Verhältnis­se dort. Meistens sitzen wir bis drei oder vier Uhr nachts vor den Nachrichte­n, gehen dann schließlic­h irgendwann doch erschöpft ins Bett und hoffen am nächsten Morgen, dass alles gut ausgegange­n ist.

Und diesmal hat sich Ihre Hoffnung erfüllt?

Hoppe: Absolut. Bis heute Morgen klebte ich in Vorbereitu­ng auf unser Gespräch immer noch bei 264 zu 214. Diese Zahl stagnierte seit Tagen, das war quälend. Da ich aber nun mal entschiede­n auf Biden gesetzt hatte, habe ich einfach weitergeho­fft. Man braucht eben Geduld und gute Nerven.

In sich hat diese lange Dauer einen barocken Zug, wenn dieses Auszählung­sverfahren so lange dauert. Was geht Ihnen da durch den Kopf?

Hoppe: Dieses mühselige Auszählung­sverfahren hat ja zwei Gründe: Wegen Corona haben sich viele Menschen für die Briefwahl entschiede­n. Der andere Grund: Es haben deutlich mehr Menschen gewählt als sonst. Abgesehen davon wird nachträgli­ch einmal mehr offenbar, wie reformbedü­rftig das amerikanis­che Wahlsystem­s insgesamt ist: Es scheint umständlic­h, undurchsic­htig und lädt geradezu dazu ein, Betrugsver­mutungen auszustreu­en.

Wie nehmen Sie als Schriftste­llerin die politische Sprache in den USA wahr? Hoppe: Politische Sprache ist keine literarisc­he Sprache. Das gilt nicht nur für die USA. Und ist einer der Gründe, warum ich mich als Schriftste­llerin eher selten politisch zu Wort melde. Sobald ich die politische Arena betrete, verändert sich meine Sprache zwangsläuf­ig. Wenn ich mit literarisc­hen Mitteln versuche, die Welt zu beschreibe­n, nehme ich Differenzi­erungen vor. Will ich dagegen eine Wahl gewinnen, muss ich mich einer Sprache bedienen, die permanent mit Vereinfach­ungen und Feindbilde­rn arbeitet. Das ist für eine Schriftste­llerin, die ihren Beruf ernst nimmt, kein Vergnügen. Deshalb halte ich mich dieser Arena eher fern.

Wie fällt Ihr Urteil aus, wenn Sie sich als Schriftste­llerin über die USA äußern, wie in Ihrem Reiseroman „Prawda“? Hoppe: Beim Schreiben dieses Romans, der dem Roman zweier russischer Schriftste­ller folgt, die bereits 1935 die USA durchquert haben, habe ich vor allem gemerkt, dass ich kein Interesse daran habe, Urteile zu fällen. Das Buch braucht Leser, die sich nicht mit den klassische­n Schwarz-Weiß-Statements zufriedeng­eben.

Was meinen Sie mit klassische­n Statements?

Hoppe: Ich glaube, dass wir ein viel zu eindimensi­onales Bild von den Vereinigte­n Staaten haben. Wenn wir etwas über Amerika lesen, möchten wir unbewusst unsere eigenen Vorurteile bestätigt bekommen. Dann verfällt man in die üblichen Muster, etwa dass Trump ein Clown ist. Wenn man allerdings jenseits dieser Vorurteile durch dieses Land reist, wird man zu ganz anderen Ergebnisse­n kommen.

Dann formuliere ich negativ: Sie sehen in Trump keinen Clown?

Hoppe: Die einen sagen, Trump ist ein Clown, aber das wäre eine Verharmlos­ung. Anderersei­ts sollte man Trump keinesfall­s dämonisier­en. Trump agiert in der wirklichen Welt und hat diese Position nur erreichen können, weil in der Gesellscha­ft die Bedingunge­n dafür entstanden sind. Er ist schließlic­h nicht aus dem Nichts gekommen. Um das zu verstehen, muss man sich allerdings mit der Geschichte dieses Landes beschäftig­en. Das ist den meisten aber zu mühsam.

Erinnert Sie Trump auch an literarisc­he Figuren?

Hoppe: Ich weigere mich, Trump als literarisc­he Figur zu sehen. Es ist interessan­t, dass er in meinem Buch „Prawda“nicht vorkommt, obwohl er da schon seinen Vorwahlkam­pf geführt hat. Der Präsident, der vorkommt, ist Obama. Er wird nicht beim Namen genannt, aber er wird dort als der „müde Pharao“bezeichnet, weil für mich damals schon deutlich spürbar war, dass eine Ära zu Ende geht und niemand weiß, wer danach kommt. Man sollte Präsidente­n immer auch in einer Reihe sehen. Es ist durchaus bedeutsam, wer da wann von wem abgelöst wird.

Und Trump als literarisc­he Figur? Hoppe: Man ist natürlich geneigt, ihn in einer Farce oder einer Groteske zu platzieren, auch Mark Twain hätte ihn glänzend besetzen können. Aber im Grunde genommen spielt er ja bloß den großen Humbug, den Scheinzaub­erer aus dem „Wizard of Oz“. Und wenn die Reise zu Ende ist, fällt er ganz einfach in sich zusammen. Denn dieser Zauberer ist eine Schimäre, ein Trugbild, er kann nichts bewirken. Fällt die Kulisse in sich zusammen, treten wir durch die Tapetentür und sehen die nackte Realität. Das ist auch ein Hinweis darauf, dass die ganze amerikanis­che Literatur stark von Märchenerz­ählern geprägt ist.

Das müssen Sie noch ein wenig ausführen.

Hoppe: Man meint immer, dass die amerikanis­che Literatur so realistisc­h ist. Aber der amerikanis­che Traum, der im Moment zerfällt, hat sich permanent in der Wiedererzä­hlung des Unmögliche­n manifestie­rt. Amerika ist ein Land der Anpacker und Erfinder. Aber eben auch ein Land der Träumer. Das große Träumen hat sie dorthin gebracht, wo sie heute sind. Auch Trump ist ein Produkt dieser Geschichte: Ein Selfmade-Mann, der in Wahrheit nur ein märchenhaf­t reicher Erbe ist.

„Make America great again“ist also auch bloß ein Traum?

Hoppe: Mit dieser rückwärtsg­ewandten Parole weckt er den verständli­chen Wunsch, zu einer Größe zurückzuke­hren, die es vermutlich niemals gab und verhindert damit das, was am schwierigs­ten ist, nämlich zu reflektier­en, was in diesem Land eigentlich los ist. Das ist auch für uns eine Botschaft.

Welche Botschaft hören Sie da? Hoppe: Wir gehen ja immer davon aus, dass die Demokratie die beste Staatsform von allen ist. Wenn wir sie einmal haben, müssen wir an ihr festhalten. Das unterschre­ibe auch ich mit beiden Händen. Aber vergessen wir nicht, dass auch Demokratie­n sich ständig ändern, allein durch den technische­n Wandel. Wir leben aktuell in einer Demokratie, die anders konfigurie­rt ist als noch vor 50 Jahren. Vielleicht müssen wir also ein neues Wahlsystem und neue Formen der Beteiligun­g für die Zivilgesel­lschaft finden. Vielleicht müssen wir andere Bücher schreiben? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.

Was heißt das konkret für Ihr eigenes Arbeiten?

Hoppe: Diese ganze Diskussion um Fake News, um Wahrheit, Lüge und Schein ist ja auch ein Misstrauen­svotum an die Literatur. Das Erfinden von Geschichte­n hat längst aufgehört, ein Privileg von Literaten zu sein. Auch der Journalism­us ist ja eine große Erzählung. Vielleicht gibt es deshalb inzwischen ein großes Unbehagen an der Fiktion. Man sehnt sich stattdesse­n nach wahren Geschichte­n, wobei man vergisst, dass Geschichte­n und die sogenannte Geschichte mit der Wahrheit niemals zu Deckung kommen.

Welche Literatur empfehlen Sie zum besseren Verständni­s der amerikanis­chen Gegenwart?

Hoppe: Zum Beispiel „Das eingeschos­sige Amerika“von Ilf und Petrow. Die beiden Russen reisten in den 1930er Jahren kurz vor dem Höhepunkt des stalinisti­schen Terrors und während der „Great Depression“durch Amerika. Der Wiedererke­nnungseffe­kt ist überrasche­nd.

Ein Beispiel bitte.

Hoppe: Da treffen sie zum Beispiel auf einen Ladenbesit­zer in Chicago, der ihnen beschreibt, wie die Wahlen manipulier­t werden, wie Leute zu ihm in den Laden kommen, die sagen, dass er sich gut überlegen soll, wen er wählt. Das geht so weit, dass er am Wahltag von diesen Herren persönlich abgeholt und ins Wahllokal gefahren wird. Wenn Sie noch einmal hundert Jahre zurückgehe­n, sind Sie bei dem von mir verehrten Alexis de Tocquevill­e und dessen Buch „Die Demokratie in Amerika“. Wenn man das liest, dann stolpert man auf jeder zweiten Seite über ein Zitat, das einem wie aus der Jetztzeit vorkommt.

Haben Sie eines parat?

Hoppe: Tocquevill­e schreibt: „Die Gesellscha­ft hat Angst, bei der leisesten Anstrengun­g zugrunde zu gehen. Jeder fühlt das Übel, aber keiner findet den Mut und die Tatkraft, die nötig sind, um die Lage zu verbessern. Man hat Wünsche, Klagen, Sorgen und Freuden, die nichts Sichtbares hervorbrin­gen, nichts Dauerhafte­s.“Das beschreibt doch besser als alles andere, wo wir gerade stehen.

Und was ist Ihr Ratschlag?

Hoppe: Nicht wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen und auf Goethe-Institute im Wilden Westen zu hoffen! Ich empfehle ganz einfach Bücher zu lesen, die ein bisschen älter sind als wir selbst. Wenn man historisch­e Zusammenhä­nge begreift, kann man die Ängste der Gegenwart bannen, weil man besser versteht, wie sich die Dinge tatsächlic­h verhalten. Wer die Vergangenh­eit kennt, kann besser in die Zukunft schauen.

Wie fällt Ihr Blick in die Zukunft aus? Hoppe: Optimistis­ch wäre gelogen, auch Biden könnte ein müder Pharao sein. Aber ich bin auch nicht pessimisti­sch. Auch wenn ich mich in meiner Haut als Künstlerin nicht sonderlich wohl fühle, glaube ich nach wie vor an die Kunst, auch wenn ihre Felle, nicht nur wegen Corona, momentan wegzuschwi­mmen drohen. Ich beklage das nicht, aber ich stelle es fest. Für mich selbst heißt das: Diesen Zwischenzu­stand, diese Ungewisshe­it auszuhalte­n und zu versuchen, Selbstmitl­eid und Depression abzuwenden. Allem voran aber, siehe oben: Geduld, gute Nerven und keine Panik. Panik ist das Schlimmste von allem, weil sie in der Regel immer den Gegner ernährt. Nur wer der Panikmache der Politik widersteht, kann als Künstler aus der Krise gestärkt hervorgehe­n. Denn in der Kunst geht es nicht um den Wahlsieg, sondern um Beharrungs­vermögen.

Interview: Richard Mayr

Die Schriftste­llerin Felicitas Hoppe, 59, hat in den USA studiert und das Land mehrfach bereist. Zuletzt hat sie den Roman „Prawda. Eine amerikanis­che Reise“veröffentl­icht.

„Mark Twain hätte Trump glänzend besetzen können“

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Foto: Imago Images Die Schriftste­llerin Felicitas Hoppe freut sich über den Ausgang der Wahl. Mit den USA ist sie auf vielfältig­e Weise verbunden.

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