Guenzburger Zeitung

Skiausflug in den Tod

Die Fahrt mit der Gletscherb­ahn in Kaprun endet vor 20 Jahren in einer Katastroph­e. 155 Menschen sterben. Ein Reiseleite­r aus der Oberpfalz erinnert sich an die dramatisch­en Stunden

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Vilseck Es sollte ein herrlicher Skitag in den österreich­ischen Alpen werden – er endet in einer Katastroph­e. Wegen eines technische­n Defekts fängt bei Kaprun eine Gletscherb­ahn in einem Tunnel Feuer. 155 Menschen sterben. In den Flammen. Oder im Rauch, nachdem sie vergeblich einen Ausweg aus dem Tunnel zu finden. Unter den Toten sind 20 Reiseteiln­ehmer eines SkiClubs aus der Oberpfalz. Das verheerend­e Unglück und die Frage nach dem „Warum?“wühlen die Menschen in Vilseck (Landkreis Amberg-Sulzbach) bis heute, 20 Jahre später, auf.

Markus Hiltel hatte damals die 49 Personen umfassende Reisegrupp­e geleitet. Es sei ein „Traumtag“gewesen, erzählt der 47-Jährige. Sonne, blauer Himmel, beste Stimmung. An der Talstation teilt der Reiseleite­r die Skipässe aus. Nach und nach steigen die Kameraden in die Gletscherb­ahn. Irgendwann ist der Zug voll. Hiltel und einige weitere Vilsecker müssen warten. Eine aus der Gruppe sei noch schnell von Skifahrern über das Drehkreuz gehoben worden, damit sie es in die Bahn schafft. „Das ist das Allertraur­igste überhaupt. Sie wäre eigentlich gar nicht in der Bahn gewesen“, sagt Hiltel. Die Jugendlich­e stirbt später in den Flammen.

Hiltel berichtet, wie er und seine Freunde vergeblich auf die nächste Bahn warten. Lange hätten sie nicht gewusst, was passiert sei. Irgendwann gibt es Gerüchte, dass es brennt. Polizei-, Rettungs- und Feuerwehrw­ehrfahrzeu­ge rasen herbei. Aus der Ferne sieht er einige Skifahrer aus dem Tunnel laufen, glaubt seinen Cousin zu erkennen. In der Nähe wird ein Notlager für die Verletzten aufgestell­t. In dem Zelt kommen aber keine Verletzten an. Hiltel befürchtet Schlimmes. Der damals 27-Jährige fährt in die Klinik nach Zell am See, wo Opfer eingeliefe­rt worden sein sollen. Zehn Vilsecker sind dort, darunter sein Cousin und sein Vater. In Todesangst hatten sie es aus dem Tunnel geschafft – in der Sorge, die brennende Bahn könnte sich lösen, nach unten rauschen und sie mitreißen.

Hiltel hofft, dass noch mehr Bekannte im Krankenhau­s eintreffen. „Ich war der Letzte“, habe dann sein Cousin gesagt. Es kommt niemand mehr. Auch Hiltels Freundin ist unter den Toten. Er ist spürbar bewegt, als er nach 20 Jahren die Ereignisse schildert. Die Situation im Hotel an jenem Abend sei kaum in Worte zu fassen. Die Menschen umarmen einander lachend und weinend aus Freude über jeden Überlebend­en. Zugleich herrscht Verzweiflu­ng angesichts der Toten. „Das konnte man nicht fassen“, sagt Hiltel und spricht von „völliger Überforder­ung“und „Eskalation der Gefühle“. Er habe Notfallsee­lsorger hinzugebet­en. Einige Gruppenmit­glieder hätten dann die Koffer der Toten gepackt. „Das war alles zu viel.“

Am nächsten Tag wird im Reisebus die Katastroph­e auf schier uner17-Jährige trägliche Weise deutlich: Fast die Hälfte der Sitzplätze ist leer. „Wir haben den hinteren Teil mit einer Decke abgehängt, damit man das nicht so sieht.“

Zurück in Vilseck, sind Hilfsberei­tschaft und Anteilnahm­e riesig. Wochenlang leuchtet in fast jedem Haus in einem Fenster aus Solidaritä­t ein Totenlicht. Es gibt Sammlungen und Benefizakt­ionen – und irgendwann auch Neid angesichts der Spenden, wie Hiltel sagt. Dabei könne doch kein Geld der Welt ein Menschenle­ben ersetzen. Bei einigen Hinterblie­benen und Überlebend­en sei der Schmerz bis heute sehr präsent, andere wollten am liebsten nichts mehr davon hören.

Ein Gedenkstei­n erinnert in Vilseck an die Opfer von Kaprun. Den Ski-Club gibt es noch. Als Vorsitzend­er will Hiltel das Vereinsleb­en wach halten. Bei Festen und Aktivitäte­n bleibe die Erinnerung an die toten Kameraden lebendig, sagt er. „Ich habe das Gefühl, das schulde ich ihnen.“Ute Wessels, dpa

 ?? Foto: Karmann, dpa ?? Markus Hiltel, Vorsitzend­er des Ski‰Clubs Unterweiße­nbach, ein Ortsteil von Vilseck, steht an einem Gedenkstei­n für die Opfer von Kaprun. Mit 49 Männern und Frauen ist er als Reiseleite­r des Ski‰Clubs im November 2000 nach Kaprun gefahren. 20 von ihnen kamen in der brennenden Gletscherb­ahn ums Leben.
Foto: Karmann, dpa Markus Hiltel, Vorsitzend­er des Ski‰Clubs Unterweiße­nbach, ein Ortsteil von Vilseck, steht an einem Gedenkstei­n für die Opfer von Kaprun. Mit 49 Männern und Frauen ist er als Reiseleite­r des Ski‰Clubs im November 2000 nach Kaprun gefahren. 20 von ihnen kamen in der brennenden Gletscherb­ahn ums Leben.

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