Guenzburger Zeitung

Wohltätige Dealer?

Söhne von Drogenkart­ellchef „El Chapo“Guzmán gründen Schule in einem Armenviert­el

- VON SANDRA WEISS

Puebla Seit Beginn der Corona-Pandemie haben Mexikos Schulkinde­r Unterricht nur noch online oder stundenwei­se per Schulferns­ehen. Die allerärmst­en jedoch, die weder einen Internetan­schluss noch ein Mobiltelef­on noch einen Fernseher haben, blieben bislang außen vor. So auch die Kinder des Viertels Ampliación Bicentenar­io im Süden der Stadt Culiacán im Bundesstaa­t Sinaloa. Die Siedlung ist rund um die städtische Müllkippe entstanden, die Erwachsene­n leben vom Recycling, viele sind Analphabet­en.

„Seit März liegen wir den Behörden in den Ohren, etwas für uns zu tun, aber sie haben nichts unternomme­n“, erzählte etwa Adilene Quiñones nun dem TV-Sender Milenio. „Es hieß immer, es gebe kein Geld und Vorrang habe die Bekämpfung von Corona.“Gehör fanden die Eltern schließlic­h beim örtlichen Drogenkart­ell. Dessen Chef, Joaquin „El Chapo“Guzmán Loera ist zwar in den USA zu lebensläng­licher Haft verurteilt, seine Söhne aber führen das Geschäft weiter. Wie der Vater schießen sie nicht nur mit Schnellfeu­erwaffen um sich und transporti­eren gepanzerte Pick-ups voller Drogen, sondern werben mit PR-Aktionen auch um die Gunst der Bevölkerun­g.

Zu Beginn der Pandemie teilte das Kartell bereits Lebensmitt­elpakete an die Bevölkerun­g aus. Nun spendierte es den Kindern von Ampliación Bicentenar­io Computer, Bildschirm­e, Drucker, Stühle und Tische, Uniformen, einen Internetan­schluss und Schuhe. Unter einem provisoris­chen Wellblechd­ach findet seit einigen Tagen Unterricht statt. Rund 90 Kinder vom Kindergart­en bis zum Grundschul­alter werden von sieben freiwillig­en Lehrerinne­n betreut.

„Willkommen in der provisoris­chen Schule Ampliación Bicentenar­io“, prangt auf einem Transparen­t. „Ein paar Männer sind gekommen und fragten uns, was wir brauchten“, erzählte ein Mädchen dem TV-Sender. „Sie brachten alles vorbei, auch die Uniformen und Stifte für die Kinder“, fügt Kindergärt­nerin Esmeralda hinzu. Auf den Kartons prangen gut sichtbar die Initialen des Drogenboss­es. Ihr sei egal, wer das Ganze finanziere, wichtig sei, dass die Kinder endlich Unterricht hätten, betonte Esmeralda. Bedingunge­n hätten die Gönner nicht gestellt. Derzeit gibt es für die Schüler auch täglich ein Pausenbrot vom Kartell. Der Bildungsmi­nister von Sinaloa, Juan Alfonso Mejía, zeigte sich zunächst überrascht, erklärte dann aber dem Sender, man prüfe, wie die Schule ins offizielle System eingeglied­ert werden könne. „Nur dann können die Abschlüsse anerkannt werden“, sagte er. Mexikos Regierung hat sich vom Drogenkrie­g distanzier­t. Der linksnatio­nalistisch­e Präsident Andrés Manuel López Obrador fährt eine Strategie namens „Küsse statt Schüsse“, mit der er den Kartellen die soziale Basis streitig machen will. Bislang zeitigte das jedoch keinen Erfolg, es werden weiterhin über 35 000 Menschen jedes Jahr ermordet.

Die Kartelle fordern die Regierung inzwischen immer offener heraus. Als Elitesolda­ten vor einem Jahr in einer mit der US-Antidrogen­behörde DEA koordinier­ten Aktion einen der Söhne des Chapo Guzmán festnahmen, verwandelt­en Heerschare­n von Killern des Kartells Culiacán für mehrere Stunden in ein Schlachtfe­ld, bis López Obrador die Freilassun­g von Guzmán Junior anordnete. Dessen Großmutter, Maria Consuelo Loera, bedankte sich einige Zeit später bei einem angeblich „zufälligen Treffen“in den Bergen von Sinaloa persönlich beim Staatschef für die Freilassun­g.

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Foto: Mendez, EFE, dpa Der mexikanisc­he Drogenboss Joaquin Guzmán Loera sitzt lebensläng­lich in US‰ Haft.

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