39 Seiten, die gut fürs Gemüt sind
Inzwischen gibt es mehrere Bücher zur Corona-Pandemie, aber keines ist so einfühlsam geschrieben wie die „Corona-Essays“der Schriftstellerin Zadie Smith
Das ist nur ein Büchlein mit 39 Seiten und ausschließlich als E-Book erhältlich. Es ist schnell gelesen, tut aber dem Gemüt gut. Die rasch produzierten und improvisierten Bücher zur Corona-Krise, die in den letzten Monaten auf den Buchmarkt geworfen wurden, sind alarmistisch, nicht durchweg sachgerecht und eher erschreckend und damit angstmachend.
Ganz anders dagegen Zadie Smiths Einlassung – diese ist persönlich verfasst, ihre Essays sind nachdenklich und klug. Sie will ihre Leserschaft mit Gedanken in Tagebuch-Form erreichen. Smith reflektiert das Geschehen und will Grundsätzliches zu Pandemie und ihrer Wirkung erörtern.
Dabei orientiert sie sich an Marc Aurel (121–180), der Philosoph unter den römischen Kaisern, der aufund abgeklärte Stoiker. Seine „Selbstbetrachtungen“sind Weltliteratur. Darin heißt es: „Sooft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, dass es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich? Verlange also nicht das Unmögliche.“
Im schmalen Band der 44-jährigen Smith, die in New York und London lebt, wird eine neue Realität erklärt. Was hat die Pandemie ausgelöst? Warum leiden so viele Menschen unter ihr, und gibt es eine Hierarchie des Leidens an der Krankenhauspforte? Was bedeutet der Zustand für unsere Beziehungen, die Arbeit und die Gesellschaft? Wie viele Menschen sind weltweit isoliert? Denken wir an jene, denen es viel schlechter geht als den Bürgern Deutschlands? Und: Entsteht jetzt eine neue Welt? Was haben wir von der bisherigen Welt und ihrem Lauf zu denken?
„Das Virus interessiert sich nicht für uns“, stellt sie so banal wie richtig fest. Wir verachten oder ignorieren es, es ist ein Hassobjekt. Seine Akzeptanz zu akzeptieren würde einer Anerkennung gleichkommen. Wir müssen es anerkennen, wollen wir mit der Pandemie fertigwerden. Sie gehört zu den frühen 2020er Jahren, das Virus ist allgegenwärtig und wir müssen uns als Einzelne, Familien, Gemeinschaften und Nationen darauf einstellen. Wie?
Smith rät zur Selbstbefragung. Hadern, trotzen oder Widerstand leisten nützt nichts. Wen Covid-19 erreicht, der wird es schmerzlich fühlen. Das Virus ist keine Randerscheinung, es bestimmt derzeit unser Leben weltweit. Also sollten wir unsere Gefühle konzentrieren. Die Autorin von „Zähne zeigen“und „Swing Time“findet, dass die „Beschäftigung“zur Lage stattzufinden habe, und zwar bei den Bürgern, nicht nur bei der furiosen Beschränkungspolitik und den Helden dieses Jahrzehnts, den Virologen mit ihren Erkenntnisvorteilen.
Smith schreibt von sich. Am Roman arbeiten oder lieber Bananenbrot backen? Letzteres oder vielleicht sogar beides geht bei ihr auf Beschäftigungstherapie zurück. Schriftsteller sollten sich zurückhalten, abwarten und genau beobachten, was sich in unseren Gesellschaften ereignet. Schreiben, bewerten, beurteilen – das seien fragwürdige Einstellungen.
So kommt die Autorin auf die Liebe. Sie hat nun bei denen, die sie haben oder mal hatten, eine neue Chance. Liebe als erneuerte Leidenschaft, als Lebenssinn und Lust natürlich. Wer keine Partnerin, keinen Partner hat, könnte „diesen ewigen ‚Pas de deux‘ durch einen Hund ergänzen“, schreibt sie. Die Autorin gibt Ratschläge, hat Ideen. Zadie Smith geht ins Soziale, zur alleinerziehenden Mutter, zur schlecht bezahlten Krankenschwester, die Leben erhält. „Das Unglück ist sehr genau zugeschnitten, für jede und jeden anders“, heißt es. Menschen, Liebe, Tiere, soziales Leben, das verändert werden sollte. Es musste erst ein globaler Schrecken über uns kommen, bevor wir umdenken.
» Zadie Smith: Betrachtungen. Coro naEssays. Aus dem Englischen von Tan ja Handels. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 39 S., 7,99 Euro