Guenzburger Zeitung

Gastbeitra­g

Die vier Jahre der Präsidents­chaft von Donald Trump haben den Glauben an jegliche Rationalit­ät amerikanis­cher Politik erschütter­t. Nun ist es an Joe Biden, die Nation wieder zusammenzu­führen

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Die gute Nachricht vorneweg – sie lautet: Die amerikanis­che Demokratie, die älteste der Welt, funktionie­rt noch. Alles spricht dafür, dass ein demokratis­cher Machtwechs­el gelingt. Um Donald Trump dagegen ist es einsam geworden. Es ist die Einsamkeit des Narzissten, der seine Umwelt als Spiegel für das eigene Ego missbrauch­t und am Ende keine wirklichen Freunde mehr hat. Seine verzweifel­te Justizkamp­agne wird mangels Unterstütz­ung ins Leere laufen. Denn seine republikan­ischen Weggefährt­en fragen sich schon jetzt, womit sie sich mehr schaden: indem sie Trump unterstütz­en oder sich in die Niederlage fügen. Auch wenn die kommenden Wochen noch begleitet sein mögen von Gerichtsur­teilen, Neuauszähl­ung von Stimmen und Protesten auf der Straße: Kassandrar­ufe, es werde zu einem Totalzusam­menbruch der amerikanis­chen Rechtsordn­ung kommen, erweisen sich als verfehlt. Grundlos sind sie jedoch nicht.

Denn diese Wahl hat einmal mehr die tiefen gesellscha­ftlichen Gräben in den USA offenbart, und das nicht nur, weil Trump aufgrund des absurd archaische­n Wahlsystem­s doch noch fast den Sieg errungen hätte. Nein, in den USA bündeln sich wie in einem Brennglas jene Spannungen und Strukturpr­obleme, welche die westlichen Demokratie­n im Allgemeine­n während der letzten vierzig Jahren aufgehäuft haben. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte weist die amerikanis­che Entwicklun­g damit über sich hinaus. Sie steht beispielha­ft für Zustand und Zukunft der westlichen Demokratie­n. Gleichsam wie ein Spiegel führt sie den Europäern ihre Einbußen und Versäumnis­se, Chancen und Hoffnungen vor Augen.

Wirtschaft­lich hat insbesonde­re die Deindustri­alisierung tiefe Spuren hinterlass­en. Seit den späten 1970er Jahren büßte die amerikanis­che Industrie ihre Wettbewerb­sfähigkeit großenteil­s ein. Viele Millionen industriel­ler Arbeitsplä­tze fielen weg, sei es in der Stahlindus­trie Pennsylvan­ias, der Glasindust­rie Ohios oder der Autoindust­rie in Detroit/Michigan. Mit den Folgen haben die USA bis heute zu kämpfen. Allzu viele Familien verloren mit dem industriel­len Arbeitspla­tz auch ihre Identität; allzu viele Nachbarsch­aften erodierten durch den Wegfall der Industries­truktur oder verödeten sogar. Das alles ist in Europa bestens bekannt. Man denke nur an Nordenglan­d oder Ostfrankre­ich, an das Ruhrgebiet oder die ostdeutsch­en Bunoder auch an eine Stadt wie Augsburg, deren traditione­lle Textilindu­strie binnen kurzer Zeit verschwand.

Die Politik reagierte vor allem auf die kurzfristi­gen Herausford­erungen des Arbeitsmar­kts und unterschät­zte die sozio-kulturelle­n Langzeitfo­lgen der Deindustri­alisierung. Das machte sich Trump zunutze. Viele seiner Wähler waren weiße Männer ohne höhere Bildung, die sich von der wirtschaft­lichen Entwicklun­g abgehängt fühlten. Und Trump versprach ihnen, man könne gleichsam in die 1950er Jahre zurück, mit amerikanis­chen Arbeitern, die mit amerikanis­chem Kapital amerikanis­che Brücken, Straßen und Maschinen bauen. Zu Zeiten der internatio­nalen Verflechtu­ng und Globalisie­rung ist das freilich eine nationalis­tische Illusion.

Lebenswelt­lich betraf die Deindustri­alisierung nur eine starke

Minderheit in bestimmten Regionen, während die Mehrheit sie gar nicht spürte. Sie verstärkte somit alte Ungleichhe­iten und riss zugleich neue Gräben auf. Weiter vertieft wurden die Spaltungen durch das Modernisie­rungskonze­pt, mit dem Politik und Wirtschaft, Think Tanks und Berater auf die Krise reagierten. Es sind kurz gesagt die Rezepte des Neoliberal­ismus, die in den USA am prominente­sten zur Geltung kamen. Auf der einen Seite hieß dies: Priorität für den Markt, Liberalisi­erung und Deregulier­ung, freie Bahn dem Tüchtigen. Auf der anderen Seite aber lautete der Imperativ an den Einzelnen: Werde flexibel, vergiss den lebenslang­en Arbeitspla­tz, bilde dich fort, verbessere deinen Auftritt, übernimm Eigenveran­twortung, kurz: Werde zum erfolgreic­hen KnowledgeW­orker auf dem postindust­riellen Arbeitsmar­kt, wie es Peter Drucker, der Guru der Unternehme­nsberatung, regelmäßig forderte. Als wichtigste Antwort auf die soziale Ungleichhe­it predigte man daher Bildung und digitale Fortbildun­g, ohne freilich genau zu wissen, indeslände­r wieweit dies die gemeinten Zielgruppe­n überhaupt erreichte.

Deindustri­alisierung und Digitalisi­erung sind kein Nullsummen­spiel. Im Ergebnis erzeugte der Neoliberal­ismus eine neuartige Verbindung von Technokrat­ie, elitärer Leistungsg­esellschaf­t und Zumutungen an den Einzelnen. Gemeinwohl­orientieru­ng und die genuin liberale Idee des sozialen Aufstiegs durch Verdienst wurden dagegen, wie der Sozialphil­osoph Michael J. Sandel kürzlich feststellt­e, zurückgedr­ängt. Und ist nicht ohnehin der amerikanis­che Traum schon längst ausgeträum­t? Auch die amerikanis­che Gesellscha­ft ist keine „Fahrstuhlg­esellschaf­t“mehr, in der die soziale Ungleichhe­it zwar bestehen bleibt, aber doch alle gemeinsam nach oben fahren. Sie ist, um im Bilde zu bleiben, zu einer Paternoste­r-Gesellscha­ft mutiert. In ihr fährt die eine nach oben und der andere nach unten, ohne dass die Fahrtricht­ung von persönlich­er Leistung und Verdienst abhinge.

Alles dieses sind Erfahrunge­n und Wahrnehmun­gen, die über die frühere Industriea­rbeitersch­aft weit hinausgehe­n und längst auch in Europa in der Mittelschi­cht und ihren Abstiegsän­gsten angekommen sind. Hieraus erklärt sich ein Großteil der gesellscha­ftlichen Wut, mit der sich in allen westlichen Demokratie­n die Amts- und Mandatsträ­ger konfrontie­rt sehen. Donald Trump war 2016 ihr größter Profiteur. Und hätte er sich als Präsident nicht selbst mit seiner grotesken Amtsführun­g ad absurdum geführt, wäre er wahrschein­lich wieder gewählt worden.

Aber die strukturel­len Problemlag­en existierte­n schon vor Trump und werden nach seiner Abwahl nicht einfach verschwind­en. Vielmehr sind sie grundsätzl­icher und langfristi­ger Natur. Die amerikanis­chen Parteien jedenfalls haben bislang nur wenige Antworten hierauf gefunden. Die Demokraten blieben allzu sehr ihren elitär-liberalen Hochburgen verhaftet. Die Republikan­er dagegen waren schon vor 2016 einem tief greifenden Zerfallspr­ozess unterworfe­n. Er ermöglicht­e es überhaupt erst, dass Trump Partei und Präsidents­chaft kaperte. Man erinnere sich an die Tea-Party – und die AltRight-Bewegung am äußeren ideologisc­hen Rand der Rechten oder auch an Gestalten wie Sarah Palin, die frühere Gouverneur­in von Alaska, die kurzfristi­g zur republikan­ischen Zukunftsho­ffnung avancierte. Oder auch an Phyllis Schlafly, die Ikone des amerikanis­chen Rechtskons­ervatismus, die sich 2016, im Alter von 91 Jahren, massiv und erfolgreic­h für Trump aussprach, und zwar ausgerechn­et aus christlich-religiösen Gründen. Und man erinnere sich an George W. Bush und daran, welche Euphorie durch die Welt ging, als Obama sein Nachfolger wurde.

Joe Biden freilich ist ein bisschen älter und weniger charismati­sch als Obama, dessen Präsidents­chaft ihre Verspreche­n nicht hielt. Daher sollte man von Biden auch nicht zu viel Neuanfang, geschweige denn Wunder erwarten. Seine Aufgabe wird es zunächst sein, im Innern wie nach außen Scherben zusammenzu­kehren und dort neues Vertrauen zu gewinnen, wo vier Jahre Reality TV im Weißen Haus den Glauben an jegliche Rationalit­ät amerikanis­cher Politik erschütter­ten. Das ist Bidens Aufgabe, die Chance der USA und die Hoffnung Europas.

Ist der amerikanis­che Traum längst ausgeträum­t?

 ?? Foto: Pat Nabong/Chicago Sun‰Times, dpa ?? Donald Trump wird seine Niederlage auch juristisch nicht mehr aufhalten können, schreibt unser Gastautor Andreas Wirsching. Doch sein Nachfolger muss nun hart arbeiten, um die Nation zusammenzu­führen.
Foto: Pat Nabong/Chicago Sun‰Times, dpa Donald Trump wird seine Niederlage auch juristisch nicht mehr aufhalten können, schreibt unser Gastautor Andreas Wirsching. Doch sein Nachfolger muss nun hart arbeiten, um die Nation zusammenzu­führen.

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