Guenzburger Zeitung

Wie die Polizei Kokain‰Dealer bei der Tat ertappte

Der Prozess um den Drogenfund in einer Neu-Ulmer Lagerhalle geht weiter. Polizisten schildern ihre Ermittlung­en

- VON WILHELM SCHMID

Neu‰Ulm/Memmingen Sechster Tag im Memminger Kokainproz­ess: Es läuft nicht gut für die sechs albanische­n Angeklagte­n, denn zunächst sagt ein Sachverstä­ndiger des Landeskrim­inalamtes aus, der anhand von DNA-Spuren Hinweise auf die Beteiligun­g mehrerer von ihnen an dem Einbruch im Neu-Ulmer Fruchthof Nagel belegt. Dann stellt sich heraus, dass die Einigung zwischen den Prozesspar­teien auf einen gewissen Strafrahme­n im Falle eines „umfassende­n und nachvollzi­ehbar glaubhafte­n Geständnis­ses“immer noch nicht für alle Beteiligte­n unter Dach und Fach ist – und dass zwei der Angeklagte­n noch Erklärunge­n nachreiche­n wollen. Bei einem der beiden stellt sich heraus, dass er vor wenigen Jahren wegen Einbruchs von einem Berliner Gericht verurteilt worden war und daher noch unter Bewährung steht. Nur hat es die Behörde aus Berlin bisher nicht geschafft, das Urteil nach Memmingen zu schicken, sodass darüber erst am nächsten Termin gesprochen werden kann. Bei einem weiteren Albaner liegen inzwischen die Akten von einer Verurteilu­ng aus Belgien vor. Der „Deal“ist also noch auf wackligen Beinen. Ob er zustande kommt, wird sich erst noch herausstel­len.

Weitaus interessan­ter aber waren die Aussagen eines LKA-Beamten und einer Zollbeamti­n, die ausführlic­h darüber berichtete­n, wie man den mutmaßlich­en Tätern im Dezember 2019 schon am Tag vor dem Einbruch – ausgerechn­et am Freitag, dem 13. – auf die Spur gekommen war. Fotos und Protokolle wurden auf der Leinwand gezeigt und in Berichten schilderte­n sie den Ablauf minutiös.

Die Lieferung von 500 Kilogramm Kokain kam mit dem Schiff „Lady Rosebay“aus Ecuador in den niederländ­ischen Hafen Vlissingen und wurde von dort per Lastwagen, in einer großen Bananenlie­ferung versteckt, nach Neu-Ulm geliefert. Nach Ankunft am Freitagmor­gen, 5 Uhr, wurde das Kokain bei der Warenkontr­olle im Fruchthof Nagel entdeckt. Sofort kam ein großer Polizeiapp­arat in Gang: Das Kokain wurde gegen „Derivate“, also harmlose Ersatzstof­fe, ausgetausc­ht und wieder eingelager­t. Von da an liefen umfangreic­he Observatio­nsmaßnahme­n. Im Laufe des Freitags tauchten demnach immer wieder verdächtig­e Fahrzeuge rund um den Fruchthof auf, deren Fahrer und Beifahrer („mit südosteuro­päischem Aussehen“) in auffällig langsamer Fahrt die Gegend erkundeten. Drei Autos mit deutschen Kennzeiche­n – darunter ein Renault Mégane – kamen auch am Samstag immer wieder. All das überwachte­n die Kripo und ein dazu geholtes „Mobiles Einsatzkom­mando“(MEK).

Am Samstag nach Geschäftss­chluss nimmt das Geschehen Fahrt auf: Die „Besuche“der mutmaßlich­en Täter häufen sich, nach 22 Uhr parken die verdächtig­en Fahrzeuge am „Alten Flugplatz“. Mehrere Personen verstecken sich hinter Paletten auf dem Fruchthof- Gelände und um 22.45 Uhr wird ein Tor der Lagerhalle bei der Laderampe am Industrieg­leis aufgebroch­en. All das beobachtet das MEK mit Nachtsicht­geräten und Infrarot-Scheinwerf­ern, sodass die Personen erstaunlic­h gut beschriebe­n werden können und das Geschehen in der Halle vermutlich durchs aufgebroch­ene Tor beobachtet werden kann.

Die Reifekamme­r 16, in der das vermeintli­che Kokain gelagert ist, wird aufgebroch­en. Gegen 1.45 Uhr bringen mehrere Personen große Taschen vom Industrieg­leis her und reichen sie durchs Tor in die Halle – sie gehen leer herein und gefüllt wieder heraus. Als in der Menschenke­tte die letzte, sechste Tasche getragen wird, gibt der Polizeifüh­rer den „Zugriff“frei. Die beim „Alten Flugplatz“geparkten Fahrzeuge kommen noch dazu, und als sich mehrere Personen um den Renault sammeln, ziehen sich die Beobachter der Polizei zurück – und der Zugriff erfolgt. Der Renaultfah­rer versucht zu flüchten; sein Auto wird aber von einem Polizeiwag­en gerammt und gestoppt. Sofort kommt es zu Festnahmen. Ein Täter wird unter einem Laster herausgeho­lt, ein anderer im Gleisberei­ch gefasst. Ein weiterer, so das Protokoll, „sprintet davon“, reagiert nicht auf den Ruf „Stopp, Polizei!“und bleibt erst stehen, als seine Verfolger einen Warnschuss abgeben. Dann legt er sich auf den Boden und gibt auf.

Insgesamt werden so sechs Personen festgenomm­en, die seither in Untersuchu­ngshaft sitzen und nun vor dem Landgerich­t angeklagt sind. Drei weiteren Beteiligte­n gelingt aber anscheinen­d die Flucht. Im Ulmer Hotel, wo die Verdächtig­en die Nacht vor dem Einbruch verbrachte­n, waren drei Zimmer für je drei Personen gebucht und auch so belegt, und auf den Meldeschei­nen tauchen sowohl die Namen der Angeklagte­n als auch Unbekannte­r auf. Über deren Verbleib gab es bisher keine Angaben; außer, dass die Angeklagte­n in ihren Geständnis­sen immer wieder Personen erwähnt haben, die sie „nicht nennen wollen“. Am gestrigen Montag wurde das Verfahren fortgesetz­t.

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