Wie die Polizei KokainDealer bei der Tat ertappte
Der Prozess um den Drogenfund in einer Neu-Ulmer Lagerhalle geht weiter. Polizisten schildern ihre Ermittlungen
NeuUlm/Memmingen Sechster Tag im Memminger Kokainprozess: Es läuft nicht gut für die sechs albanischen Angeklagten, denn zunächst sagt ein Sachverständiger des Landeskriminalamtes aus, der anhand von DNA-Spuren Hinweise auf die Beteiligung mehrerer von ihnen an dem Einbruch im Neu-Ulmer Fruchthof Nagel belegt. Dann stellt sich heraus, dass die Einigung zwischen den Prozessparteien auf einen gewissen Strafrahmen im Falle eines „umfassenden und nachvollziehbar glaubhaften Geständnisses“immer noch nicht für alle Beteiligten unter Dach und Fach ist – und dass zwei der Angeklagten noch Erklärungen nachreichen wollen. Bei einem der beiden stellt sich heraus, dass er vor wenigen Jahren wegen Einbruchs von einem Berliner Gericht verurteilt worden war und daher noch unter Bewährung steht. Nur hat es die Behörde aus Berlin bisher nicht geschafft, das Urteil nach Memmingen zu schicken, sodass darüber erst am nächsten Termin gesprochen werden kann. Bei einem weiteren Albaner liegen inzwischen die Akten von einer Verurteilung aus Belgien vor. Der „Deal“ist also noch auf wackligen Beinen. Ob er zustande kommt, wird sich erst noch herausstellen.
Weitaus interessanter aber waren die Aussagen eines LKA-Beamten und einer Zollbeamtin, die ausführlich darüber berichteten, wie man den mutmaßlichen Tätern im Dezember 2019 schon am Tag vor dem Einbruch – ausgerechnet am Freitag, dem 13. – auf die Spur gekommen war. Fotos und Protokolle wurden auf der Leinwand gezeigt und in Berichten schilderten sie den Ablauf minutiös.
Die Lieferung von 500 Kilogramm Kokain kam mit dem Schiff „Lady Rosebay“aus Ecuador in den niederländischen Hafen Vlissingen und wurde von dort per Lastwagen, in einer großen Bananenlieferung versteckt, nach Neu-Ulm geliefert. Nach Ankunft am Freitagmorgen, 5 Uhr, wurde das Kokain bei der Warenkontrolle im Fruchthof Nagel entdeckt. Sofort kam ein großer Polizeiapparat in Gang: Das Kokain wurde gegen „Derivate“, also harmlose Ersatzstoffe, ausgetauscht und wieder eingelagert. Von da an liefen umfangreiche Observationsmaßnahmen. Im Laufe des Freitags tauchten demnach immer wieder verdächtige Fahrzeuge rund um den Fruchthof auf, deren Fahrer und Beifahrer („mit südosteuropäischem Aussehen“) in auffällig langsamer Fahrt die Gegend erkundeten. Drei Autos mit deutschen Kennzeichen – darunter ein Renault Mégane – kamen auch am Samstag immer wieder. All das überwachten die Kripo und ein dazu geholtes „Mobiles Einsatzkommando“(MEK).
Am Samstag nach Geschäftsschluss nimmt das Geschehen Fahrt auf: Die „Besuche“der mutmaßlichen Täter häufen sich, nach 22 Uhr parken die verdächtigen Fahrzeuge am „Alten Flugplatz“. Mehrere Personen verstecken sich hinter Paletten auf dem Fruchthof- Gelände und um 22.45 Uhr wird ein Tor der Lagerhalle bei der Laderampe am Industriegleis aufgebrochen. All das beobachtet das MEK mit Nachtsichtgeräten und Infrarot-Scheinwerfern, sodass die Personen erstaunlich gut beschrieben werden können und das Geschehen in der Halle vermutlich durchs aufgebrochene Tor beobachtet werden kann.
Die Reifekammer 16, in der das vermeintliche Kokain gelagert ist, wird aufgebrochen. Gegen 1.45 Uhr bringen mehrere Personen große Taschen vom Industriegleis her und reichen sie durchs Tor in die Halle – sie gehen leer herein und gefüllt wieder heraus. Als in der Menschenkette die letzte, sechste Tasche getragen wird, gibt der Polizeiführer den „Zugriff“frei. Die beim „Alten Flugplatz“geparkten Fahrzeuge kommen noch dazu, und als sich mehrere Personen um den Renault sammeln, ziehen sich die Beobachter der Polizei zurück – und der Zugriff erfolgt. Der Renaultfahrer versucht zu flüchten; sein Auto wird aber von einem Polizeiwagen gerammt und gestoppt. Sofort kommt es zu Festnahmen. Ein Täter wird unter einem Laster herausgeholt, ein anderer im Gleisbereich gefasst. Ein weiterer, so das Protokoll, „sprintet davon“, reagiert nicht auf den Ruf „Stopp, Polizei!“und bleibt erst stehen, als seine Verfolger einen Warnschuss abgeben. Dann legt er sich auf den Boden und gibt auf.
Insgesamt werden so sechs Personen festgenommen, die seither in Untersuchungshaft sitzen und nun vor dem Landgericht angeklagt sind. Drei weiteren Beteiligten gelingt aber anscheinend die Flucht. Im Ulmer Hotel, wo die Verdächtigen die Nacht vor dem Einbruch verbrachten, waren drei Zimmer für je drei Personen gebucht und auch so belegt, und auf den Meldescheinen tauchen sowohl die Namen der Angeklagten als auch Unbekannter auf. Über deren Verbleib gab es bisher keine Angaben; außer, dass die Angeklagten in ihren Geständnissen immer wieder Personen erwähnt haben, die sie „nicht nennen wollen“. Am gestrigen Montag wurde das Verfahren fortgesetzt.