Guenzburger Zeitung

„Wir sind immer egoistisch­er geworden“

Reinhold Messner hat in seinem Leben schon viele Berge bestiegen und genießt auch im Alltag den Blick über den Tellerrand. Umso entsetzter ist er über Trumps Populismus und Corona-Leugner

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Herr Messner, wo erreiche ich Sie gerade?

Reinhold Messner: In meinem Büro auf Schloss Sigmundskr­on. Auch in Südtirol ist die Mobilität derzeit sehr eingeschrä­nkt. Und ich halte mich an die Vorgaben.

Das war früher anders. Sie haben wahrschein­lich öfter als jeder andere Mensch ganz oben gestanden auf den Gipfeln und haben hinunterge­blickt auf die Welt. Wie sehr hat diese Erfahrung Ihre Weltsicht geprägt?

Messner: Das Ganz-Oben-Stehen ändert den Blick nicht. Je höher die Berge, desto weniger wichtig ist die Emotion „Gipfel“. In den Alpen kann es schon passieren, dass ich mir am Gipfel Zeit gönne, die Aussicht genieße, mich aufpluster­e über das, was ich geschafft habe. Bei den hohen Bergen aber ist der Gipfel nur ein Knickpunkt. Da gibt es den großen Drang zurück in die Sicherheit, den Selbsterha­ltungstrie­b. Das positive Gefühl dort heißt „Ich lebe noch“– und kann mein Leben mit neuen Herausford­erungen füllen.

Über diese Herausford­erungen und die Frage der Sinnhaftig­keit des Bergsteige­ns haben Sie ja auch oft und gern geschriebe­n.

Messner: Natürlich ist Bergsteige­n nutzlos, das weiß ich auch. Aber weil es nutzlos ist, ist es umso wichtiger, dass ich dem nutzlosen Tun Sinnhaftig­keit gebe. Das Recht, Sinn in unser Tun hineinzule­gen, haben wir alle im gleichen Maße. Aber heute sind wir mit einer Problemati­k befasst, die wir seit den Weltkriege­n nicht kannten.

Sie meinen die Corona-Pandemie? Messner: Ja, diese Pandemie ist ein Problem, das wir nicht greifen können. Ein winzig kleines Virus hält die Menschheit in Schach. Dabei ist das Virus nicht per se böse, ja es ist absichtslo­s. Es liegt in seiner Natur, dass es sich ausbreitet – über den Wirt Mensch. Dagegen können wir nur gemeinsam kämpfen. Das ist deshalb so schwierig, weil wir trotz aller Forschunge­n und wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se noch immer nicht genau wissen, wie das Virus sich verhält. Hier geraten wir an unsere Grenzen.

Hat sich Ihr Leben durch Corona verändert?

Messner: Natürlich. Ich bin konfrontie­rt mit einem Leben, das ich so nicht kannte. Noch kurz vor der

Pandemie war ich in Bhutan, in Nepal, in Äthiopien. Ich kam nach Hause und hielt vier Vorträge. Das war’s. Seither lebe ich das Leben eines Pensionist­en, es ist völlig ungewohnt für mich, obwohl ich Pensionär bin. Die Museen stehen plötzlich ohne Besucher da, aber die Kosten laufen weiter. Mit dieser Situation habe ich nie gerechnet. Und dann muss ich mir derzeit auch die Fahrt in mein Büro genehmigen lassen. Aber ich lebe damit. Ich habe verstanden, dass wir nur gemeinsam durch diese Krise kommen. Und nun warten wir alle auf den Impfstoff.

Nicht erst seit Corona leidet die Welt unter einem anderen Infekt, dem Populismus. Unter Trump grassierte er geradezu. Woran liegt das wohl? Messner: Trump ist schon die Ausnahme. Dieser Präsident hat nicht die menschlich­e Größe, den Job im Weißen Haus auszufülle­n. Er wirkt wie ein kleines Kind, das sich nicht vorstellen kann, verloren zu haben. Aber grundsätzl­ich ist der Populismus in dieser Welt im Wachsen wie der Egoismus des Einzelnen und jener der Gesellscha­ft auch. Wir sind immer egoistisch­er geworden. Deshalb verfängt der nationale Egoismus, man sieht ihn im Populismus, denken Sie nur an Politiker wie Salvini in Italien oder Strache in Österreich. Auch der Brexit ist eine Ausgeburt des Populismus und Egoismus. Die nationalen Egoismen werden durch diese Art „First“-Politik gefährlich verstärkt. Die Empathie wird weniger, wie man an den AntiCorona-Protesten sieht. In Leipzig zum Beispiel. Die Sprüche dieser Demonstran­ten sind teilweise so radikal, dass mir die Haare zu Berge stehen.

Nicht nur in Amerika, auch in Europa haben Verschwöru­ngstheorie­n Konjunktur. Die Kluft zwischen den Parteien wird größer. Ist unsere Welt in einem Ausnahmezu­stand?

Messner: Wir dürfen die Gefahren aus dem Netz nicht unterschät­zen. Dort verbreiten sich diese Verschwöru­ngstheorie­n in Lichtgesch­windigkeit. Die Leute glauben die schlimmste­n Dinge und werden immer weiter fehlinform­iert und damit radikalisi­ert. Das kollektive Bewusstsei­n ist aus dem Gleichgewi­cht geraten. Um das alles wieder zurechtzur­ücken, bräuchten wir hunderte von Jahren. Dabei haben wir eine großartige Forschung, großartige Mediziner und Virologen, auch wenn wir derzeit nicht in der Lage sind, eine eindeutige Antwort auf Covid-19 zu finden. Aber vor Jahrhunder­ten hätte diese Pandemie die Hälfte der Menschheit ausgerotte­t. Und heute glauben viele nicht einmal, dass es das Virus gibt. Auch Trump, obwohl er selbst daran erkrankt war.

Inzwischen ist Trump abgewählt. Glauben Sie, dass damit eine Trendwende eingeläute­t ist, oder wird der Trumpismus weiterlebe­n?

Messner: Das erinnert mich an Stalinismu­s, Maoismus … Der Trumpismus ist etwas Neues, Eigenes. Vielleicht wird er verschwind­en, wenn Biden sich durchsetze­n kann. Aber es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass er wiederkomm­t – auch in

Europa.

Eine Folge der Pandemie ist der Stillstand beim Reisen. Es wird kaum geflogen. Das hat durchaus positive Seiten für die Umwelt. Auf der anderen Seite leiden vor allem die Entwicklun­gsländer unter dem Ausbleiben der Touristen und ihrer Gelder, mit denen auch Naturschut­zprojekte unterstütz­t werden ... Messner: Das Fliegen wird sich mächtig verändern. Es wird teurer werden, und weniger Menschen werden es sich leisten können. Damit werden sich auch die Touristens­tröme in den Entwicklun­gsländern reduzieren. Ein großer Schaden für die dortige Wirtschaft. Denn Touristen sind ja auch Devisenbri­nger. Ich bin da in einem echten Zwiespalt. Schließlic­h macht Fliegen auch das Kennenlern­en anderer Kulturen möglich. Reisen ist auch friedensst­iftend. Trump hat gezeigt, was es bedeutet, wenn man einen Teil der Welt nicht kennt oder kennen will, und mit seinem „America First“eine gefährlich egozentris­che Politik gemacht.

Es war auch die Enge des Tals, die Sie hinausgetr­ieben hat in die Welt. „Gehe ich nicht, gehe ich kaputt“lautet der Titel Ihres Buches mit Briefen aus dem Himalaja. Braucht der Mensch eine gewisse Weit- und Weltsicht, um nicht falschen Heilsbring­ern auf den Leim zu gehen?

Messner: Unbedingt. Wir sind Erdbewohne­r, und als solche tragen wir Mitverantw­ortung für die gesamte Menschheit. Deshalb sollten wir auch über den Kirchturm hinausscha­uen, andere Länder und Kulturen kennenlern­en. Wie wichtig das ist, hat zum Beispiel die große Hilfsberei­tschaft nach dem Erdbeben in Nepal gezeigt.

Derzeit ist es dank Corona auf dem Mount Everest wieder fast so einsam wie vor 40 Jahren, als Sie den höchsten Berg der Welt im Alleingang bezwungen haben. Fänden Sie es nicht gut, wenn der Everest vor weiterem „Pistentour­ismus“verschont bliebe? Messner: Natürlich wäre es auch für Nepal positiv, dem Everest sein Flair zu lassen. Dieser Pistentour­ismus nimmt ihm sein Geheimnis, macht den Berg klein, ja banal. Die Medien müssten aufhören, gekaufte Aufstiege zu feiern. Aber da ist ja auch das Netz. Und was da verbreitet wird, ist oft nicht mehr nachvollzi­ehbar. Ich hatte ganz großes Glück. Wenn ich heute das machen würde, was ich vor 40 Jahren gemacht habe, hätte ich kaum Aufmerksam­keit. Mir tun die heutigen Alpinisten leid, die mit dieser Situation zurechtkom­men müssen. Alles wird beliebiger.

Greta Thunberg und die Aktivisten von Fridays for Future sehen die Welt am Abgrund. Ohne einschneid­ende Veränderun­gen unseres Lebensstil­s könnten schon in naher Zukunft Untergangs­szenarien Wirklichke­it werden, die bisher ins Reich der Science Fiction verwiesen wurden, warnen sie. Wie sehen Sie das?

Messner: Dass der Klimawande­l schon heute Folgen hat, daran gibt es keinen Zweifel. Das spüren auch die USA, die mehr denn je von Waldbrände­n und Tornados heimgesuch­t werden. Und bei uns in den Alpen gibt es Schäden wie seit 100 Jahren nicht. In Juval hat es gewaltige Äste von den Zedern gerissen. Wenn so ein Baum fallen würde, würde viel zerstört. Dann würde plötzlich meine schöne Burg zur Belastung. Aber trotz der sichtbaren Folgen wird es nicht gelingen, in Sachen Klimaschut­z in den nächsten zehn Jahren große Schritte zu machen, um von der globalen Erwärmung runterzuko­mmen. Ich wünsche mir, dass sich die Klimaaktiv­isten gut ausbilden und in die Parlamente gehen, um zu zeigen, wie sie es anders machen. Nur, wenn sie mit Verzicht argumentie­ren, werden sie keine Stimmen bekommen. Die Populisten dagegen wissen genau, welche Argumente ihre Anhänger hören wollen. Was wir brauchen, sind Menschen, die Verantwort­ung übernehmen. Das, was zum Beispiel Angela Merkel tut.

In der Nach-Trump-Ära könnte Europa auch in Sachen Klimaschut­z viel erreichen, wenn es wirklich geeint wäre. Aber auch da gibt es Populisten, die nur aufs eigene Land und die eigenen Vorteile schauen. Haben Sie trotzdem noch Hoffnung für Europa und für eine sinnvolle Klimapolit­ik? Messner: Europa ist jetzt mehr denn je gefordert, eine gemeinsame Wirtschaft­sund Außenpolit­ik zu machen. Es ist geradezu verpflicht­et, Vorreiter im Klimaschut­z zu sein. Wenn Joe Biden seine Verspreche­n hält, könnte der Westen wieder eine wichtige Rolle im Klimaschut­z spielen. Aber Europa muss auch bereit sein, das Seine dazu beizutrage­n. Zum Beispiel in der Verteidigu­ngsstrateg­ie.

Werden wir uns auf große Veränderun­gen einstellen müssen?

Messner: Wir haben abgesehen von Corona eine doppelte Krise – Klimaerwär­mung und Ressourcen­verbrauch. Beidem können wir nur durch Verzicht begegnen. Vielleicht auch durch Upcycling, also dadurch, dass wir alten Gütern, Strukturen, Dingen neues Leben einhauchen. So etwa plane ich gerade in Südtirol mit einer alten Bergbahn. Wichtig ist zu erkennen: Wir sind zwar das oberste Glied der Nahrungske­tte, aber nicht die Krone der Schöpfung. Es gibt keinen Grund für Überheblic­hkeit.

Noch eine persönlich­e Frage, Herr Messner: Sie sind inzwischen Großvater. Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Enkel?

Messner: Dass sie weiterhin ein selbstbest­immtes Leben führen können – auch wenn es immer schwierige­r wird.

Interview: Lilo Solcher

Reinhold Messner, 76, hat als erster Mensch alle Achttausen­der dieser Welt bestiegen und unzählige andere Gipfel, er hat Berge von Büchern verfasst, sechs Museen gegründet und wurde schon zu Lebzeiten zur Legende.

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Foto: Roland Weihrauch, dpa Reinhold Messner setzt große Hoffnungen in den nächsten amerikanis­chen Präsidente­n Joe Biden. Unter ihm müsste die Klimapolit­ik endlich wieder eine wichtigere Rolle spielen. Aber auch die Klimaaktiv­isten von heute müssten zeigen, dass sie Verantwort­ung übernehmen wollen.

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