Guenzburger Zeitung

„Warum hat die Aufsicht nicht funktionie­rt?“

Nächste Woche beginnt der Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss seine Zeugenbefr­agungen. Der stellvertr­etende Ausschussv­orsitzende Hans Michelbach von der CSU erklärt die Hintergrün­de

-

Herr Michelbach, was regt Sie im Fall Wirecard am meisten auf?

Hans Michelbach: Wir konnten seit 2019 verstärkt wieder Medienberi­chte über schwere Unregelmäß­igkeiten bei Wirecard lesen und haben nicht nur im Finanzauss­chuss des Bundestage­s immer wieder um Informatio­nen gebeten. Seitens des Bundesfina­nzminister­iums und der BaFin wurde jedoch nur beruhigt und abgewiegel­t. Die Bescherung hatten wir dann mit dem KPMGSonder­gutachten, das ein Milliarden­Finanzloch zutage förderte, und der nachfolgen­den Insolvenz des Unternehme­ns. Das hatte sich von uns Abgeordnet­en keiner so ausmalen können. Wir konnten unserer parlamenta­rischen Kontrollau­fgabe nicht nachkommen.

Es hätte viel früher gehandelt werden müssen?

Michelbach: Ja. Es wurden, das hat die Befragung der Sachverstä­ndigen im Untersuchu­ngsausschu­ss bereits ergeben, seit 2010 scheinbar Gewinne gefälscht. Es wurden kleine Unternehme­n gekauft oder über mehrere Stationen gekauft, verkauft und wieder gekauft, der Kaufpreis wurde weit überhöht angegeben und damit die Bilanz aufgebläht. Am Ende stand ein Geflecht von 56 Tochterfir­men. Die Banken und die Börsen haben das letztlich finanziert und für liquide Mittel gesorgt. Diese Unternehme­n machten keine oder kaum Gewinne, es wurde aber ein unglaublic­h schnelles Wachstum vorgetäusc­ht. Das wiederum hat neue Investoren angelockt und es hat zu der Euphorie in Deutschlan­d geführt, dass endlich mal ein deutsches FinTech-Unternehme­n die Welt erobert. Wenn man genauer hingeschau­t hätte, hätte man im Vergleich mit Wettbewerb­ern sehen können, dass hier etwas nicht stimmt.

Warum braucht es den Ausschuss? Michelbach: Wir haben im Sommer zunächst versucht, den Fall in Sondersitz­ungen des Finanzauss­chusses aufzukläre­n. Es tauchten dann aber immer mehr Fragen auf – auf die es nur ungenügend­e Antworten gab. Gleichzeit­ig wurde deutlich, dass hunderttau­sende Anleger um ihr Geld geprellt worden waren. Viele davon haben sich an uns gewandt. Wir mussten also ein schärferes Instrument suchen, und das ist der Untersuchu­ngsausschu­ss, in dem wir ganz andere Mittel haben.

Welche?

Michelbach: Wir haben zum Beispiel volle Akteneinsi­cht und können

Zeugen vorladen und befragen. Die Regeln richten sich nach der Strafproze­ssordnung. Wir können also auch Zeugen vereidigen. Falschauss­agen vor dem Ausschuss können strafrecht­lich verfolgt werden.

Auf welche Fragen wollen Sie unbedingt Antworten haben?

Michelbach: Ganz grundsätzl­ich geht es mir um das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns. Es darf einfach nicht sein, dass eine solche Betrugsmas­che zum Schaden der Allgemeinh­eit Erfolg hat. Das Unternehme­n ist in den

Dax aufgenomme­n worden, ohne je richtig geprüft worden zu sein. Das muss man sich einmal vorstellen! Wir müssen deshalb wissen, warum die Aufsicht über Wirecard nicht funktionie­rt hat. Wir stellen inzwischen fest, dass es offenbar ein vielfältig­es Prüfungsve­rsagen gab, aber auch ein Aufsichtsv­ersagen und vielleicht auch ein Staatsvers­agen. Diese drei Dinge stehen im Vordergrun­d. Wir haben danach auch die Zeugenbefr­agung ausgericht­et.

Die ersten Zeugen werden in der nächsten Woche gehört. Wer kommt da und wie ist der weitere Fahrplan? Michelbach: Am Donnerstag werden wir zunächst ehemalige Geschäftsf­ührer, Manager, Vorstände und Aufsichtsr­atsmitglie­der von Wirecard befragen. Das wird eine lange Sitzung. In der Woche darauf haben wir die beteiligte­n Prüfer, unter anderem von KPMG und Ernst & Young, bei uns. Am 10. Dezember ist die zuständige Rechtsaufs­icht der Prüfer dran, also die APAS und das Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Wiederum eine Woche später befassen wir uns mit dem Themenkomp­lex Lobbyismus und der China-Reise der Bundeskanz­lerin im Jahr 2019. Da geht es unter anderem um die Frage, welche Rolle die Beratungsf­irma von

Karl-Theodor zu Guttenberg gespielt hat, aber auch um die Informatio­nen zu Wirecard, die das Finanzmini­sterium vor der Reise an das Kanzleramt gab. Im nächsten Jahr geht es dann mit den Behörden weiter, allen voran dem Bundesfina­nzminister­ium und der BaFin.

Viel Zeit bleibt Ihnen nicht mehr, im nächsten Jahr sind Bundestags­wahlen. Michelbach: Wir wollen natürlich vor der Sommerpaus­e fertig sein. Das ist sportlich; wir haben etwa 60 Zeugen auf der Liste. Zumal es ja auch um die Beteiligun­g von Nachrichte­ndiensten geht. Wir haben dazu schon einiges gehört, allerdings ohne dass Beweise vorliegen. Manches hört sich eher wie eine Räuberpist­ole an. Aber gerade deshalb ist eine Klärung dringend notwendig. Es deutet sich an, dass im Fall Wirecard viele, viele Leute wegguckt haben. Es wurden aber auch merkwürdig­e Verbindung­en gepflegt. Es ist doch merkwürdig, dass gegen Wirecard nie vorgegange­n wurde, obwohl es schon frühzeitig Whistleblo­wer gab, also Menschen, die den Behörden heimlich Hinweise auf Fragwürdig­es gegeben haben. Stattdesse­n wurden Kritiker dämonisier­t und mit Ermittlung­sverfahren überzogen.

Interview: Stefan Lange

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? CSU‰Finanzpoli­tiker Hans Michelbach zeigt auf einem Chart das Firmengefl­echt von Wirecard.
Foto: Michael Kappeler, dpa CSU‰Finanzpoli­tiker Hans Michelbach zeigt auf einem Chart das Firmengefl­echt von Wirecard.

Newspapers in German

Newspapers from Germany