Guenzburger Zeitung

Mehr Tempo für Telematik

120 Kilometer pro Stunde, mehr ist auf der A8 bei Augsburg nicht mehr erlaubt. Was die Begrenzung bereits gebracht hat und warum man andernorts auf Technik in Millionenh­öhe setzt

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Dichter Nebel hängt über der A8 bei Zusmarshau­sen im Landkreis Augsburg. Es ist Sonntagnac­hmittag, 16.50 Uhr, und schon wieder hat es gekracht: Ein 36-Jähriger fährt mit seinem Mercedes auf einen Laster auf. Die Retter müssen den Mann aus seinem Fahrzeug schneiden. Er hatte Glück, ist nicht verletzt. Unzählige andere Beispiele zeigen, dass es auch anders hätte ausgehen können. Seit Ende Juli gibt es auf der A8 zwischen Neusäß und Friedberg nun ein Tempolimit. 120 Stundenkil­ometer, von 6 bis 20 Uhr. Aber was bringt das?

Wenn die neuen Schilder entlang der sechsspuri­gen Autobahn Raser ausbremsen sollen, haben sie ihren Zweck bereits hundertfac­h erfüllt. Etwa 300 Autofahrer mussten in den vergangene­n drei Monaten ihren Führersche­in abgeben, weil sie zwischen Neusäß und Friedberg mehr als 40 Stundenkil­ometer zu schnell fuhren. Insgesamt waren zu dieser Zeit mehr als 3000 Verkehrste­ilnehmer zu schnell, bilanziert Josef Sitterer, Chef der Autobahnpo­lizei in Gersthofen. Spitzenwer­t: Tempo 243 – wohlgemerk­t bei erlaubten 120 Kilometern pro Stunde. Dass

der Strecke noch weitaus mehr geht, beweist ein junger Mann, der im vergangene­n Jahr mit Tempo 310 über die A8 bei Gersthofen bretterte – und viel zu dicht auffuhr. Er wurde vor kurzem zu einer Geldstrafe von 2600 Euro verurteilt. Weil es damals noch kein Tempolimit gab, war nicht das Rasen, sondern Drängeln der Grund dafür. Der Abschnitt zwischen Neusäß und Friedberg gilt als besonders unfallträc­htig. Nun soll es auf der Strecke ruhiger zu gehen.

Josef Sitterer spricht gar von einer „Harmonisie­rung des Verkehrs“. Soll heißen: Seit Einführung des Tempolimit­s fließt der Verkehr gleichmäßi­ger. Laut dem Chef der Autobahnpo­lizei gibt es auch weniger Unfälle. Wie viel weniger, könne man nicht sagen. Nach wenigen Monaten Tempolimit seien die absoluten Zahlen noch nicht aussagekrä­ftig genug. Aber: „Eine Tendenz ist ganz klar feststellb­ar.“Und: „Wir stellen auch fest, dass die Unfallfolg­en zurückgehe­n.“Wenn es kracht, dann seien die Schäden weniger schlimm. Sollte das Tempolimit also ausgeweite­t werden?

Geht es nach Stefan Vogg, ist die Antwort klar. Er wohnt einem kleinen Ort bei Zusmarshau­sen, dessen

Gemeindegr­enze wenige hundert Meter entfernt von der A8 liegt. Sein Heimatort habe mittlerwei­le traurige Bekannthei­t erreicht: „Zusmarshau­sen, das kennen viele nur aus Staumeldun­gen im Radio“, sagt Vogg. Er meint, das liege auch an der fehlenden Geschwindi­gkeitsbegr­enzung. Seine Briefe an Politiker in München und Berlin füllen ganze Aktenordne­r. Der Zusammenha­ng zwischen freier Fahrt und einer hohen Zahl an Unfällen ist umstritten. Auch politisch. Allein das Wort Tempolimit mag manchen Autofahrer provoziere­n. Weitaus unumstritt­ener wird es durch den Zusatz „flexibel“. Ein Limit auf Abruf. Stichwort: Telematik.

Für diese Technik auf der A8 von München bis Ulm machen sich Bürgermeis­ter und viele Verantwort­liche, Lokalpolit­iker und Anwohner schon seit Jahren stark. Mithilfe von in Echtzeit erfassten Daten soll die Telematik eine intelligen­te Verkehrsst­euerung ermögliche­n und für mehr Sicherheit sorgen – etwa durch ein flexibles Tempolimit. Die digitalen Schilderbr­ücken auf der Autobahn rücken näher und sollen rund 37 Millionen Euro kosten. Das geht aus einem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, von Bundesauf verkehrsmi­nister Andreas Scheuer hervor. Demnach sollen nun „zügig die nächsten Schritte zur Errichtung der Verkehrsbe­einflussun­gsanlage“angegangen werden können. Was das Wort „zügig“bedeutet, führt Scheuer nicht aus. Bislang war von einem Baubeginn ab 2022 die Rede. Vorgesehen ist die Technik derzeit in Richtung Ulm zwischen Dachau und Augsburg-West sowie in Richtung München zwischen Adelsried und München-Eschenried. So weit die bislang theoretisc­hen Pläne.

Ganz praktisch sieht Feuerwehrk­ommandant Stefan Weldishofe­r die Sache. Er rückt aus, wenn es wieder gekracht hat. Etwa 60 Mal im Jahr. Auch am Sonntagnac­hmittag, als der dichte Nebel über der A8 hing. Er war dabei, als der 36-Jährige aus seinem Auto geschnitte­n werden musste. Für den Feuerwehrm­ann sind weder Tempolimit noch Telematik ein Allheilmit­tel. Er sagt: „Aggressive Autofahrer sind das Hauptprobl­em.“Weldishofe­r vermisst Umsicht auf der Straße. Telematik hin oder her, solange nicht mehr Rücksicht aufeinande­r genommen wird, werde es wieder krachen, sagt Weldishofe­r. Dann wird er helfen und zusammen mit seinen Kollegen ausrücken. »Kommentar

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Mithilfe von in Echtzeit erfassten Daten soll die Telematik Autobahnen, wie auf der A8 bei Dachau, sicherer machen. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer verspricht viel Geld und will die Technik auf der A8 rund um Augsburg voranbring­en.
Foto: Marcus Merk Mithilfe von in Echtzeit erfassten Daten soll die Telematik Autobahnen, wie auf der A8 bei Dachau, sicherer machen. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer verspricht viel Geld und will die Technik auf der A8 rund um Augsburg voranbring­en.

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