Guenzburger Zeitung

He‰iti, ho‰uti, he‰iti, ala‰uria…

Jodeln, Volksmusik, Tracht – die Menschen in Bayern gelten als besonders traditions­bewusst. Was Bräuche mit Sehnsucht und deutschen Tugenden zu tun haben, und warum manche bereits fast ausgestorb­en sind

- VON TOM TRILGES

München Bayern, des samma...wer überhaupt? Viele Menschen im Freistaat identifizi­eren sich mit bayerische­n Traditione­n, erklärt Brauchtums­historiker Hubertus Berger aus Regensburg. Er beobachtet, dass sie hierzuland­e wieder an Bedeutung gewinnen. „Die Großstädte tun sich aber wesentlich schwerer, Stichwort Reizüberfl­utung“, sagt er. Unzählige Möglichkei­ten für Freizeitak­tivitäten und noch dazu das Internet in seiner ganzen Vielfalt – im Vergleich zu früher dringen Traditione­n da gerade in den Städten weniger durch, ist Berger überzeugt. Als besonders traditions­bewusst sieht er etwa den südlichen Bayerische­n Wald, ganz anders ist es seiner Meinung nach in Augsburg. Berger sagt: „Das hat viel mit dem Elternhaus und der Wertevermi­ttlung zu tun.“

Berger zählt auf: Volksmusik, Männergesa­ng und Brettl-Kunst, also das Volksschau­spiel. Alles Beispiele für Traditione­n, die wieder eine größere Rolle in Bayern spielen. „Da gibt es viele junge Leute, die richtig gut sind“, sagt er. Auch eine wiederentd­eckte Beliebthei­t der Tracht erkennt Berger: „Es gab Zeiten, da wurden viele Plastikdir­ndl getragen. Das ist zum Glück vorbei.“Im Aufwind befindet sich zudem eine Tradition, für die Bayern besonders bekannt ist: Die Menschen im Freistaat jodeln wieder.

„Vor wenigen Jahren gab es drei Jodellehre­r, heute sind es 20 bis 30.“Das sagt ein Mann, der es wissen muss: Alfons Hasenknopf aus Neuötting im Osten Oberbayern­s. Als Kind stand er bereits jodelnd im traditions­reichen Münchner Lokal „Platzl“auf der Bühne. Mit seiner Band präsentier­t der heute 56-Jährige Lieder in bairischer Mundart, außerdem bringt er jedes Jahr zahlreiche­n Menschen das Jodeln bei.

„Das ist eine schöne Tradition, die wir in Bayern und dem gesamten Alpenraum haben. Aber Lautsprach­e gibt es auf der ganzen Welt. Überall wurde sie genutzt, um über große Täler hinweg Botschafte­n zu senden“, sagt Hasenknopf. Zwar habe sich spätestens seit Loriot in vielen Köpfen verfestigt, dass Jodeln eher „Dödelei“ist. „Es geht aber sehr tief. Das merkt man erst, wenn man es miteinande­r macht“, sagt er. Jodeln sei eine der schönsten Arten, die eigenen Gefühle auszudrück­en, ohne sie in Worte zu fassen. „Diese Tiefe kriegst du mit keinem Wort der Welt hin.“

Doch wieso zieht es Menschen zu Hasenknopf, um das Jodeln zu lernen? „Vor allem aus Neugier“, sagt der Jodellehre­r. Ob es „echte“Traditions­pflege ist oder Menschen nur ein Event suchen, ist für ihn nicht „Das bereitet mir keine Bauchschme­rzen. Unsere Zeit ist sehr oberflächl­ich geworden. Es ist legitim, sich einfach mal auf den Berg zu stellen und das Jodeln auszuprobi­eren.“Auch Firmen kommen für Mitarbeite­rausflüge zu ihm. „Vielen fällt bei dieser Überraschu­ng die Kinnlade runter. Aber nach zehn Minuten sind sie voll mit dabei. Das ist einfach schön.“

Brauchtums­historiker Berger spricht Traditione­n eine wichtige Funktion zu: „Der Mensch drückt in ihnen seine Sehnsucht aus. Wir müssen ihren Nutzen betonen und sie pflegen, sonst sterben sie aus.“In diese Richtung bewegt sich seit Jahren das Schuhplatt­eln. „Das beherrsche­n nur noch ganz wenige Leute“, sagt Berger. Ebenfalls rückläufig: die Zahl der jungen Leute in bayerische­n Studentenv­erbindunge­n. Berger sagt: „Wir saßen früher noch in so einer Runde am Stammtisch. Doch das Werteverst­ändnis und die deutschen Tugenden lassen nach.“

Mit über 200 Jahren eine der ältesten Studentenv­erbindunge­n Deutschlan­ds ist das Corps Suevia aus München. Thomas Gottwald ist dort Altherren-Vorsitzend­er und zählt die traditione­llen Regeln auf: Pflicht zum Fechten, lebenslang­e

Mitgliedsc­haft, keine Frauen, strikter Leistungsg­edanke. „Andere Verbindung­en sind von einzelnen Regeln abgerückt oder haben das Fechten durch populärere Aktivitäte­n wie Segeln ersetzt“, sagt Gottwald. „Die haben dadurch aber keinen Zulauf an Mitglieder­n, im Gegenteil.“Gottwald ist die Traditions­pflege wichtig: „Wenn Traditione­n aussterben, sind die Alten schuld. Wir müssen sie in die nächste Generation tragen.“

Dass er strikt beim verpflicht­enden Fechten bleibt, hat einen Grund: „Das war ursprüngli­ch ein Zeichen der Rebellion italienisc­her Studenten, weil bis Anfang des 19. Jahrhunder­ts nur Adlige Waffen tragen durften.“Gelebte Traditions­pflege also. Gottwald sagt zum umstritten­en Fechten: „Wer getroffen wird, hat schlampig gefochten.“

In Italien liegt auch der Ursprung der Studentenv­erbindunge­n. Gottwald sagt: „Die Corps haben sich als unpolitisc­he Interessen­gemeinscha­ften von Akademiker­n entwientsc­heidend:

Thomas Gottwald ckelt, getrieben von der Französisc­hen Revolution und der Aufklärung. Im Zentrum steht von jeher die Freiheit.“Das sei bis heute so, auch wenn Studentenv­erbindunge­n immer wieder in die Nähe der rechten Szene gerückt würden. „Ich erhalte regelmäßig Einladunge­n der AfD. Für diese Partei sind wir definitiv nicht der richtige Ansprechpa­rtner“, sagt Gottwald. Er sieht seine Verbindung als liberal-konservati­v. Gottwald kritisiert die Gleichsetz­ung mit Burschensc­haften: „Die haben sich tatsächlic­h als nationalis­tische Bewegungen gegründet, damit haben wir nichts zu tun.“

Nur Studenten und Absolvente­n dürfen Mitglied im Corps Suevia sein. „Neben der gegenseiti­gen Unterstütz­ung ist der Leistungsg­edanke zentral bei uns. Die Studenten müssen jedes Semester einen entspreche­nden Bericht vorlegen“, sagt Gottwald. Wer zu schlecht ist, kriegt einen Coach. Verbessert man sich nicht, fliegt man. Ohnehin kann nicht jeder Mitglied werden. „Die Leute müssen zu uns passen“, sagt Gottwald. 320 aktive Mitglieder zählt das Corps, 550 waren der Höchststan­d. „Zuletzt war der Zulauf wieder gut“, sagt Gottwald. „Aber wir müssen für uns werben.“

Brauchtums­historiker Hubertus Berger ist genau wie das Corps Suevia ein Freund des Bewahrens von Traditione­n. Er sagt: „Innovation sollte man sich nicht verschließ­en, aber wir dürfen das Brauchtum nicht verhöhnen.“

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Foto: Hasenknopf Jodellehre­r Alfons Hasenknopf (mit Gitarre ) begrüßt in seinen Kursen Menschen aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. War er vor einigen Jahren noch fast ein Ein‰ zelkämpfer, gibt es heute rund 30 Jodellehre­r in Bayern. Hasenknopf legt Wert darauf, dass das Jodeln keine „Dödelei“ist.
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