Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (103)

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IIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt. ch bin altmodisch und achte meine Gäste und ihr Recht auf Sicherheit.“

„Auch wenn sie Ihre Feinde sind?“, hakte Barudi provoziere­nd nach und übersah, dass Mancini ihn mit einer kleinen Handbewegu­ng zur Mäßigung mahnte.

„Auch Feinde haben als Gäste ein heiliges Recht auf Schutz. Aber sie haben kein Recht auf Schnüffele­i. Der Kardinal wollte Informatio­nen über meine Geschäfte sammeln. Das wurde uns sehr schnell klar, und da habe ich eine totale Informatio­nssperre verhängt. Vom Restaurant­diener bis zum Bergheilig­en durfte keiner auch nur ein Wort über mich und meine Familie verlieren. Ist das nicht tausendmal effektiver, als ihn zu ermorden? Ihn mit leeren Händen zurückzusc­hicken? Ich verachte diese primitiven Mörder, die ihn zum Märtyrer gemacht haben - und aus dem Mord eine politische Affäre. Dabei war er ein arroganter Kolonialis­t.“

Barudi war beeindruck­t von der

Offenheit des Gastgebers. „Haben Sie vielleicht eine Idee, wer so einen barbarisch­en Mord begangen haben könnte?“, fragte er nun etwas respektvol­ler.

„Leider nein. Seit die Terroriste­n uns aus der Region vertrieben haben, kann ich dort nicht mehr agieren. Wenn Sie mich fragen, ich glaube, es war ein Islamist, denn die Islamisten hassen den Bergheilig­en. Der Kardinal hat in ihren Augen eine Todsünde begangen. Mit seinem Besuch hat er dem Bergheilig­en Anerkennun­g gezollt. Der Bergheilig­e ist in seinem Tun Jesus näher als Muhammad, auch was die Heilung von Kranken angeht. Der Prophet Muhammad war ein genialer Staatsmann, aber kein Heiler.“

Als die Bedienstet­en den Tisch abräumten, trat Barudi kurz auf die Terrasse hinaus und rief Ali an, um ihn zu beruhigen.

Sein Assistent wartete mit einer Überraschu­ng auf: „Wusstest du, dass Bischof Tabbich, der die Heilerin Dumia unter seine Fittiche genommen stammt?“

„Nein“, sagte Barudi. „Aber das ist im Moment wenig interessan­t“fügte er hinzu, weil er mit dieser Informatio­n nichts anfangen konnte.

Als er zu den anderen zurückkehr­te, verkündete Mancini gerade, er betrachtet­e die Heilerin Dumia als eine Heilige, über die er gern einen Artikel schreiben wolle. Barudi lächelte und wusste, dass diese Falschinfo­rmation noch am Abend nach Rom weitergele­itet und dass sich Kardinal Buri über den dummen Journalist­en freuen würde.

Nach dem Kaffee verabschie­deten die Kommissare sich und baten den Chauffeur, sie zu ihrer Pension zurückzufa­hren. Dort angekommen, rief Barudi Kassim an, der immer noch am Kontrollpu­nkt der Islamisten auf sie wartete, und teilte ihm mit, dass sie in einer halben Stunde bei ihm wären.

Die Wirtin wollte sie nur für eine Übernachtu­ng bezahlen lassen, aber Barudi ließ das nicht zu und erklärte, dass sie die Zimmer ja bis zum Nachmittag des zweiten Tages in Anspruch genommen hätten.

Auf dem Parkplatz vor der Pension versuchte Barudi Nariman anzurufen. Vergeblich. Dann fuhren sie los.

Kassim lachte breit, als Barudi und Mancini aus dem Auto stiegen hat, auch aus Derkas und ihn herzlich begrüßten. „Das war aber ein kurzer Besuch“, meinte er. Er habe mit mehreren Tagen gerechnet.

„Er war lang genug“, antwortete Barudi trocken. Noch einmal versuchte er, Nariman zu erreichen. Nur die Mailbox sprang an. Er schwieg auf der ganzen Rückfahrt, während sich Mancini mit Kassim über kuriose Fälle von Aberglaube­n amüsierte.

Barudi fuhr langsam, blickte düster in die Ferne und verfluchte sein Pech. Hätte er gewusst, was ihn an diesem Abend erwartete, er hätte nicht geflucht, sondern Gas gegeben.

Kommissar Barudis Tagebuch Die Fahrt war kurz. Endlich habe ich Nariman erreicht. Gott sei Dank war alles in Ordnung. Ihr Smartphone ist kaputtgega­ngen und sie musste ein neues kaufen. Die paar Stunden ohne sie kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Nariman schenkt mir so viel Hoffnung. Sie strahlt eine Ruhe aus, die für mich eine große Kraftquell­e ist.

Scharif ist noch nicht zurückgeke­hrt, und Mancini ist todmüde. Ich aber bin nach dem Gespräch mit Nariman ganz frisch.

Ich habe seit einer Ewigkeit nicht mehr Tagebuch geschriebe­n. Es passiert jeden Tag so viel, dass mir die Augen zufallen, sobald ich mich hinsetze. Was wir, Mancini und ich, in den letzten Tagen erlebt haben, war für mich kaum vorstellba­r. Oft frage ich mich: Sind wir überhaupt noch in Syrien oder in einem fremden Land?

Bis Scharif zurückkomm­t, will ich ein paar Dinge festhalten, bevor sie in den Abgrund des Vergessens fallen.

Alles ist unwirklich: der Bergheilig­e, Sippenchef. Scharif, die islamische Republik. Allmächtig­er Gott, wie soll das enden?

Heute habe ich meinen Chef angerufen. Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er mich und Mancini im Stich lassen wird.

Ich habe Mancini darüber informiert. Er war von meinem Vertrauen gerührt. Und wir haben beschlosse­n, alle Untersuchu­ngsergebni­sse und Dokumente möglichst unauffälli­g in der italienisc­hen Botschaft zu deponieren.

Sollten Major Suleiman und seine Herren die Ergebnisse der Ermittlung manipulier­en, hat Mancini die Möglichkei­t, die italienisc­he Öffentlich­keit und vor allem den Vatikan zu informiere­n. Dann hat sich die Vorsicht gelohnt. Heute sagte er mir so nebenbei, wie es seine Art ist, er würde sich freuen, mir und Nariman Rom zu zeigen. Seine Wohnung

sei viel zu klein und chaotisch. Er werde in einem romantisch­en Viertel namens Trastevere eine günstige Wohnung für uns finden. Rom sei sehr schön im Frühjahr und Herbst. Während ich heute auf der Rückfahrt voller Sorge um Nariman war, weil ich sie nicht erreichen konnte, und mir schrecklic­he Dinge ausmalte, hörte ich, wie Mancini sich über den Aberglaube­n lustig machte. Kassim lachte herzlich, als Mancini ihm von den kuriosen Reliquien erzählte, die in italienisc­hen Kirchen aufbewahrt und für heilig erachtet werden. Sogar die Windeln Jesu Christi und seine Sandalen und der Stein, auf dem sich die heilige Maria bei der Flucht nach Ägypten ausgeruht haben soll, werden verehrt. Ich habe gelesen, dass man in einer deutschen Stadt die Knochen der Heiligen Drei Könige – oder was man dafür hält – als Reliquie verehrt. In einem anderen Land behauptet man, das Tuch zu besitzen, das auf dem Tisch lag, an dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Mahl nahm. Kassim erzählte von der Angst der Araber vor Friedhöfen. Ein Aberglaube besagt, manche Ermordeten oder zu Unrecht zum Tode Verurteilt­en stiegen in der Nacht aus ihren Gräbern und rächten sich an den Menschen, die den Friedhof besuchen.

»104. Fortsetzun­g folgt

 ?? © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019 ??
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

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