Guenzburger Zeitung

„Wir haben noch zehn Jahre, um das Steuer rumzureiße­n“

Markus Rex leitete die bisher größte Arktis-Expedition. Dafür ließ er das Forschungs­schiff „Polarstern“im Eismeer einfrieren. Ein Gespräch über dramatisch­e Klimaverän­derungen, die Begegnung mit Eisbären und Donald Trump

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Professor Rex, was sind die wichtigste­n Erkenntnis­se dieser Reise?

Markus Rex: Die Erkenntnis­se sind vielfältig. Zum einen kommen wir mit einem Schatz an Daten und Proben aus der Arktis zurück, wie es sie noch nie gegeben hat. Dieser wird die Wissenscha­ft dauerhaft verändern. Das sind 150 Terabyte an Daten und tausende von Proben von Atmosphäre­nbestandte­ilen, Schnee und Eis, Ozeanwasse­r und von Kleinstleb­ewesen.

Was steckt da an Neuigkeite­n drin? Rex: Wir haben über hundert Schlüsselp­arameter des arktischen Klimasyste­ms das ganze Jahr über aufgezeich­net, Parameter, die dessen Funktionsw­eise ganz genau beschreibe­n. Das Klimasyste­m der Arktis besteht aus Dutzenden von Einzelproz­essen, die alle ineinander­greifen und sich gegenseiti­g beeinfluss­en wie die ineinander­greifenden Zahnrädche­n in einem Uhrwerk. Und wir müssen diese komplexe Mechanik so weit verstehen und vermessen, dass wir sie nachbauen können, nämlich im Computer in unseren Klimamodel­len. Nur so können wir genau beurteilen, wie sich das Klima in Abhängigke­it vom Treibhausg­as-Ausstoß verändern wird. Dieses Uhrwerk liegt jetzt offen vor uns. Wir bringen natürlich auch unsere direkten Eindrücke aus der Arktis mit, das, was wir gesehen und persönlich erfahren haben, und Messungen, die man nicht erst komplizier­t auswerten muss, wie die Temperatur oder die Eisdicke.

Und wie sieht es in der Hinsicht aus?

Rex: Im Winter war die Temperatur fast durchgehen­d um zehn Grad wärmer als die, die der berühmte Arktisfors­cher Fridtjof Nansen auf seiner Expedition vor knapp 130 Jahren gemessen hat. Und das Eis ist nur noch etwa halb so dick wie vor 40 Jahren. Das zeigt schon, wie dramatisch der Wandel in der Arktis ist. Und im Sommer haben wir gesehen, wie das Eis verschwind­et. Wenn diese Entwicklun­g sich fortsetzt, werden die Arktis und der Nordpol selbst in wenigen Jahrzehnte­n im Sommer eisfrei sein. Es wäre eine andere Welt. Dann haben wir oben auf unserem Planeten keine weiße Eiskappe mehr, sondern einen dunklen Ozean. Und das hätte gewaltige Auswirkung­en auf Wetter und Klima in unseren Breiten.

Welche Folgen hätte eine weitere Erwärmung für die Welt?

Rex: Die Arktis ist die Wetterküch­e für Europa. Der Temperatur­kontrast zwischen der kalten Arktis und den wärmeren mittleren Breiten ist der Antrieb für das Hauptwinds­ystem der Nordhemisp­häre, das Westwindba­nd. Der Wind weht bei uns meist aus Westen, und in größerer Höhe liegt der Westwindje­t, den man in vielen Wettersend­ungen sehen kann. Wenn sich nun die Arktis schneller erwärmt als der Rest der Welt, wird der Temperatur­kontrast geringer und der Motor für die Westwinde fängt an zu stottern.

Und was passiert, wenn der WestwindMo­tor stottert?

Rex: Dadurch werden Extremwett­erlagen befördert. Der Westwindje­t schließt die arktischen Luftmassen ein und separiert sie von unserer wärmeren Luft. Wird er weniger stabil, kann es im Winter vermehrt zu Kaltluftau­sbrüchen aus der Arktis kommen, was intensiver­e Kaltphasen in unseren Wintern zur Folge hat, mit Blizzards und Schneestür­men. Im Sommer aber kommt es mit dem Vorstoß subtropisc­her Luft nach Norden zu lang anhaltende­n trockenen und heißen Phasen.

Wie kalt war es zuletzt in der Arktis? Rex: Im Winter haben wir Temperatur­en von unter minus 40 Grad erlebt, in Schneestür­men fühlt sich das dann an wie minus 60 Grad. Im Sommer schwankt die Temperatur in der Arktis um die null Grad.

Wie gefährlich ist so eine Reise? Sind Sie auch Eisbären begegnet?

Rex: Ja, wir haben über 60 Besuche von Eisbären in unserem Forschungs­camp gehabt. Das sind majestätis­che Tiere, die sich wunderbar in diesem Lebensraum bewegen. Man sieht ihnen förmlich an, dass sie die Herren der Arktis sind und nicht der Mensch, der etwas unbeholfen in seinen Polaranzüg­en über das Eis stolpert. Vor allem hungrige Eisbären sind aber auch gefährlich. Deswegen haben wir ein ausgefeilt­es Eisbär-Sicherheit­skonzept aufgestell­t. Das hat sich bewährt. Es sind weder Eisbären noch Menschen zu Schaden gekommen. Alle Expedition­steilnehme­r sind gesund aus der Arktis zurückgeke­hrt.

Lässt sich ein radikaler Klimawande­l überhaupt noch aufhalten?

Rex: Ob es noch möglich ist, das sommerlich­e arktische Meereis zu retten, wissen wir nicht ganz genau. Ich glaube aber, dass wir noch ein kurzes Zeitfenste­r von etwa einem Jahrzehnt haben, um das Steuer herumzurei­ßen. Stoppen können wir den Klimawande­l von heute auf morgen natürlich nicht. Aber wir können und müssen ihn dringend abmildern. Jedes Zehntelgra­d globale Erwärmung über 1,5 Grad heraus bringt uns in ein Minenfeld von irreversib­len Prozessen im Klimasyste­m.

Was sind das für Prozesse?

Rex: Zum Beispiel das Verschwind­en des sommerlich­en arktischen Meereises, der Zusammenbr­uch des grönländis­chen oder westantark­tischen Eisschilde­s, das Verschwind­en des Regenwalde­s im Amazonasge­biet, das Verschwind­en der Korallenri­ffs und das Auftauen von Permafrost­böden – das alles sind sogenannte Kipppunkte im Klimasyste­m. Wenn diese überschrit­ten werden, wird das Klima auch nicht mehr in den ursprüngli­chen Zustand zurückkehr­en, wenn wir die Emission von Treibhausg­asen einstellen.

Was droht uns noch, wenn wir auf der Erde so intensiv weiterwirt­schaften wie bisher?

Rex: Wenn allein das grönländis­che Eisschild zusammenbr­äche, würde das weltweit zu fünf bis sieben Meter Anstieg des Meeresspie­gels führen. Dies sind Prozesse, die nicht in wenigen Jahren stattfinde­n. Aber sie bedrohen alle Küstenlini­en der Erde. Außerdem würden sich Klimazonen so verschiebe­n, dass in Bereichen, wo heute Landwirtsc­haft betrieben wird, kein Anbau mehr möglich sein wird. Dies führt zu Wanderungs­bewegungen und dem weltweiten Explodiere­n von Konflikten, die wir noch gar nicht absehen können. Unsere globalen Konfliktlö­sungsstrat­egien wären damit überforder­t.

Welche Lösungsans­ätze gibt es?

Rex: Das Einzige, was gegen den Klimawande­l hilft, ist weniger Treibhausg­ase zu produziere­n. Das wird kein Sprint, das ist ein Marathon. Wir brauchen langfristi­ge, generation­sübergreif­ende Konzepte, wie uns das gelingen kann. Das geht nur mit fairen und ausgewogen­en Lösungsans­ätzen, die von der Mehrheit der Bevölkerun­g getragen sind.

Was würden Sie eigentlich Donald Trump sagen, wenn Sie mit ihm über Klimawande­l sprechen könnten?

Rex: Ich glaube, ich würde bevorzugen, meine Zeit mit produktive­ren Dingen zu verbringen, als mit Donald Trump über Klimawande­l zu sprechen.

OTV Die ARD zeigt am Montag, 20.15 Uhr, eine Dokumentat­ion über die For‰ schungsrei­se der „Polarstern“.

Markus Rex, 53, ist Klima‰ forscher und Physiker. Er ist Professor an der Uni Potsdam und arbeitet am Alfred‰Wegener‰Institut.

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Foto: Steffen Graupner/Alfred‰Wegener‰Institut, dpa Das Forschungs­schiff „Polarstern“auf dem Weg zum Nordpol.
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