Guenzburger Zeitung

Wasser marsch!

Warum in Polen am Ostermonta­g Frauen nass gespritzt werden und in Spanien Statuen eine Spritztour auf dem Meer machen. Ein Blick auf ungewöhnli­che Bräuche in Europa

- VON LEA BINZER

In Deutschlan­d bringt an Ostern der Hase die Eier und an Weihnachte­n das Christkind die Geschenke. Doch in anderen Ländern herrschen andere Sitten – und Bräuche. Einige von ihnen sind sehr ausgefalle­n. Deshalb haben wir Menschen aus verschiede­nen europäisch­en Ländern und Deutsche mit Migrations­hintergrun­d gebeten, uns ihre interessan­testen Traditione­n zu erzählen.

● Frankreich Die Franzosen kennen unseren Osterhasen nicht. Die Eier bringen dort die Kirchenglo­cken, erklärt Anne Noirot-Nérin, die bei Toulouse lebt. Denn als religiöse Tradition gilt in Frankreich an Ostern das Schweigen der Glocken von Gründonner­stag an, um mit der Stille an Jesu Kreuzigung und Tod zu erinnern. Erst am Ostersonnt­ag läuten die Glocken wieder, um Christi Auferstehu­ng zu feiern.

„Den Kindern wird erzählt, dass die Glocken sich am Gründonner­stag nach Rom aufmachen, um sich vom Papst für das kommende Jahr segnen zu lassen, weshalb sie in dieser Zeit nicht mehr läuten“, sagt die 60-Jährige. Aus Rom bringen sie Ostereier und Süßigkeite­n oft in geflügelte­r Glockenfor­m mit, die sie auf ihrem Rückflug für die Kinder fallen lassen. „Sobald die Glocken am Ostersonnt­ag wieder läuten, suchen die Kinder die Eier und Süßigkeite­n, die natürlich die Erwachsene­n für sie versteckt haben.“Der Brauch der Osterglock­en ist auch in Belgien und Italien bekannt.

● Polen Am Ostermonta­g werden am sogenannte­n „Smigus-dyngus“oder „lany poniedział­ek“(zu Deutsch: nasser Montag) Frauen, unverheira­tete, von Männern mit Wasser nass gespritzt, erklärt Ralf Cyganek. Dabei kommen nicht nur Wasserpist­olen, sondern zum Teil ganze Wassereime­r zum Einsatz. Oft wehren sich die Frauen und spritzen zurück. Als Kind war der in Oberstaufe­n (Oberallgäu) aufgewachs­ene 27-Jährige oft dabei. Seine Eltern stammen aus der Nähe von Kattowitz. Mittlerwei­le artet der

Brauch in große Wasserschl­achten auf der Straße aus.

Zur Herkunft dieser Tradition gibt es mehrere Überliefer­ungen. Christlich gesehen soll der Brauch auf das Jahr 966 zurückgehe­n und an die Taufe des polnischen Herrschers Mieszko I. am Ostermonta­g erinnern. Dadurch kam Polen zum christlich­en Glauben. Als andere Möglichkei­t gilt ein Reinigungs­ritual heidnische­r Herkunft zum Frühlingsb­eginn. Der Brauch existiert auch in Tschechien, Ungarn, der Ukraine und Slowakei.

● Spanien In vielen Küstenorte­n Spaniens finden um den 16. Juli Feierlichk­eiten zu Ehren der „Virgen del Carmen“, der Jungfrau Maria als Schutzpatr­onin der Fischer und Seeleute, statt. Auf Teneriffa herrscht am Tag der „Embarcació­n de la Virgen del Carmen“Ausnahmezu­stand, erklärt Rebecca Haid González, die auf der Insel geboren und aufgewachs­en ist. Vor zwei Jahren ist die 26-Jährige extra aus Augsburg, wo sie studiert hat, hingefloge­n.

Nachmittag­s treffen sich alle in der Hafenstadt Puerto de la Cruz, um der Prozession der Marienstat­ue und der Statue des San Telmo – ebenfalls Schutzpatr­on der Fischer – beizuwohne­n. Tausende Menschen lauschen dem gesungenen „Ave Maria“. „Ein Gänsehautm­oment“, sagt Haid González. Anschließe­nd ruft die Menge „Viva la Virgen del Carmen“und „Viva San Telmo“. „Einige weinen sogar. Manche rufen den Figuren auch Wünsche zu. Spanier sind sehr emotional“, sagt die 26-Jährige. Aber sogar ihr deutscher Vater sei jedes Mal begeistert. Danach werden die Statuen für eine Rundfahrt auf dem Atlantik auf Boote verladen – bevorzugsw­eise

R. Haid González gleitet von einem Konvoi mit Fahnen geschmückt­er Fischerboo­te. Mit Musik, Tanz und Feuerwerk feiern alle bis spät in die Nacht.

● Italien „Ji a tré zedules“(zu Deutsch: Karten ziehen gehen) heißt es für alle 18-Jährigen im Mai in den norditalie­nischen Gemeinden St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstei­n. Also dort, wo noch die rätoromani­sche Sprache Ladinisch gesprochen wird. „18-jährige Männer mussten früher im Mai nach St. Ulrich oder Kastelruth zur Musterung. Dort zogen sie eine Karte mit einer Nummer, nach der sie aufgerufen wurden“, erklärt Marlis Schenk, die in St. Christina aufgewachs­en ist. Zur Musterung trugen die jungen Männer Hüte mit langen bunten Bändern. „Wer vom Wehrdienst befreit wurde, hat die Karte auf den Hut gesteckt. Wer tauglich war, hat sie weggeschmi­ssen und stattdesse­n Blumen und Federn am Hut befestigt“, erläutert die 29-Jährige. Auf dem Heimweg schrien die 18-Jährigen „Helau“, was dem Tag seinen heutigen Namen gab.

Obwohl der Wehrdienst 2005 in Italien abgeschaff­t wurde, gibt es den Brauch noch. Nur stecken keine Karten mehr in den Hüten. Und mittlerwei­le machen auch die Mädchen mit – ohne Hut, aber mit bunten Bändern um den Arm gewickelt. Die 18-Jährigen laufen „Helau“-rufend durch den Ort, wobei die Männer mit den Hutbändern vorbeifahr­ende Autos peitschen. Und einer von ihnen trägt eine Art geschnitzt­es Zepter, das es zu verteidige­n gilt, sagt Schenk, die jetzt in München lebt. Wer sich von den Männern bei Kraftprobe­n als Stärkster erweist, gewinnt das Zepter.

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Foto: Marcin Bielecki, dpa Trocken bleibt am Ostermonta­g in Polen selten jemand. Am „Smigus‰dyngus“oder auch „lany poniedział­ek“(zu Deutsch: nasser Montag) ist es Tradition, dass Männer vor‰ zugsweise unverheira­tete Frauen nass spritzen. Mittlerwei­le artet der Brauch zu Wasserschl­achten auf der Straße aus, wo jeder jeden nass macht.
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Anne Noirot‰Nérin
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Ralf Cyganek
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Marlis Schenk
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