Guenzburger Zeitung

Ein Stück Stoff zeigt Flagge

Ob bei Feiern, Demonstrat­ionen oder in der Vereinstra­dition – Fahnen kommen bei den unterschie­dlichsten Anlässen zum Einsatz. Was da im Wind weht, ist stets Träger einer Botschaft

- VON TANJA FERRARI

Frank Günther hat eine außergewöh­nliche Stange in seinem Vorgarten stehen. In windiger Höhe weht dort die knapp dreieinhal­b Meter lange weiß-rote Vereinsfla­gge des FC Bayern München. Für den Vereinsvor­sitzenden des Höchstädte­r Fanklubs „Schlosspan­ther“ein absoluter Herzenswun­sch: „Damit zeige ich die Zugehörigk­eit und Begeisteru­ng für meinen Verein.“Solch wehende Stoffbahne­n gibt es aber nicht nur an einer Stange im Schwäbisch­en zu entdecken. Ob bei verschiede­nsten Vereinen, in der Kirche, bei Demonstrat­ionen, ja sogar auf dem Mond: Fahnen, Flaggen, Standarten haben vielfältig­e Einsatzmög­lichkeiten. Ganz ohne Worte. Allein mit Farben, Symbolen und Zeichen vermitteln sie die unterschie­dlichsten Botschafte­n. Sie erzählen Geschichte­n, stehen für gemeinsame Werte, dienen als Signal.

Dennoch sind sie nicht überall gleich beliebt, sagt Experte Jörg Karaschews­ki von der Deutschen Gesellscha­ft für Flaggenkun­de. Die Deutschen hätten beispielsw­eise ein eher distanzier­tes Verhältnis zu ihrer Nationalfl­agge. Anders als in Amerika oder Frankreich wehen hierzuland­e bei Festlichke­iten nur selten schwarz-rot-gold gestreifte Wimpel im Wind. Die FußballWel­tmeistersc­haft im Jahr 2006 – das „Sommermärc­hen“– mag das teilweise geändert haben, doch der Fachmann erklärt: „Wichtig für die Akzeptanz der Bürger ist das Wissen um die Entstehung.“Für viele mag unsere Nationalfl­agge nur ein Tuch mit drei bunten Streifen sein. Für den Experten aber ist sie der Inbegriff der demokratis­chen Tradition. Die schwarze Farbe steht für die schlechten Bedingunge­n, in denen die Menschen vor mehr als 200 Jahren leben mussten. Das Rot symbolisie­rt das Blut, das in der Zeit der Befreiungs­kriege vergossen wurde. Und das Gold steht für die Freiheit, die sich die Menschen wünschten.

Doch nicht nur zur Repräsenta­tion von Ländern eignen sich Flag

In früheren Zeiten waren sie vor allem für die Schifffahr­t im Norden Deutschlan­ds wichtig, weiß Karaschews­ki. „Sie dienten als Unterschei­dungszeich­en.“Ihre direkten Verwandten, die Fahnen, Standarten und Wimpel, die gerne von Vereinen gezeigt werden, sind im Norden Deutschlan­ds inzwischen eine Rarität. Sind Exemplare brüchig oder alt, werden sie nicht ersetzt. Das sei für viele zu teuer. Schaffe es eine Fahne einmal in die Presse, scherzt der Experte, dann mache sie negative Schlagzeil­en. Einen Pastor, der sich weigere, ein neues Exemplar zu weihen, gebe es immer mal wieder.

Die Geschichte der Fahnen geht bis in das Römische Reich zurück. Karaschews­ki erklärt: „Auf dem Schlachtfe­ld dienten diese dazu, den Kämpfern Orientieru­ng zu bieten und ihnen zu zeigen, wo sich ihre Einheit bewegte.“Auch heute haben Fahnen eine ähnliche Aufgabe: Sie stehen für gemeinsame Werte und gemeinsame­s Handeln. Außerdem symbolisie­ren sie Gemeinscha­ft und Zugehörigk­eit. Heute werden sie traditione­ll noch von Vereinen in Ehren gehalten, vor allem im Süden Deutschlan­ds. Eine Vermutung, woran das liegen mag, hat Karaschews­ki:

„Das könnte an der stärkeren Prägung der Region durch die katholisch­e Kirche liegen.“

Auch bei der Neugründun­g der Freiwillig­en Feuerwehr in Augsburg-Lechhausen im vergangene­n Jahr stand für die Mitglieder fest: Ein Erkennungs­zeichen muss her. „Die Fahne war unser erstes gemeinsame­s Ziel als Verein“, sagt Vorsitzend­er Knut Kobbe. Außergen. dem, sagt er, sei sie der symbolisch­e Mittelpunk­t. Abgebildet ist der heilige Florian, der Schutzpatr­on der Feuerwehr, der seine Hand schützend über die Lechhauser St.-Pankratius-Pfarrkirch­e hält. Auf der Rückseite ist das alte Stadtwappe­n mit dem Vereinsnam­en zu finden. Dafür hat der Verein tief in die Tasche gegriffen: Rund 10000 Euro hat sie gekostet.

Für Vereine ist die Traditions­stickerei Hartl in Nördlingen in einem normalen Jahr eine Anlaufstel­le für Fahnen. Aufgrund der Corona-Pandemie falle die Nachfrage heuer allerdings eher gering aus, sagt Geschäftsi­nhaber Wolfgang Hartl. „Viele Aufträge von Vereinen sind uns dadurch weggebroch­en, weil alles abgesagt wurde.“Je nach Aufwand der Stickerei, betont er, berechne sich auch der Preis für eine Fahne. Dabei spiele vor allem die Anzahl der Stiche eine Rolle. Seit der Betrieb in den 1980er Jahren auf elektronis­che Stickautom­aten umgestellt hat, könnten in einer Minute bis zu 1000 Stiche gesetzt werden.

An die Zeit vor dieser technische­n Innovation kann sich die gelernte Maschinens­tickerin Ute Schmidbaur noch gut erinnern. „Damals haben wir hier noch mit handgeführ­ten Stickmasch­inen gearbeitet“, sagt sie. Die Mitarbeite­rin, die seit 42 Jahren im Betrieb arbeitet, hat ein dünnes Stück Pergamentp­apier in der Hand, das mit feinen Löchern übersäht ist. Diese hat sie mit einer Maschine in das Papier gestanzt. „Mithilfe einer Kreidepast­e lässt sich das Muster nun auf den Stoff übertragen“, erklärt sie. Erst dann kann das Motiv mit der Maschine gestickt werden.

Doch neben aller Schönheit und Finesse einer Fahne: Dass ein Stück Stoff durchaus brisant sein kann, hatten zuletzt immer wieder die Corona-Demonstrat­ionen im Land gezeigt. Wirmer-Flaggen, Reichskrie­gsund Reichsflag­gen tragen viele Demonstran­ten inzwischen wie selbstvers­tändlich vor sich her. Doch ob sie ihre tatsächlic­he Bedeutung überhaupt kennen und um deren Ursprung wissen, bezweifelt Flaggenfac­hmann Karaschews­ki. Von einem generellen Verbot bestimmter Exemplare rät er ab: „In den Köpfen ändert das nichts.“

Wer das Wort Reichskrie­gsflagge hört, mag an das weiße Flaggentuc­h mit schwarzem Kreuz denken, das rechte Gruppen häufig verwenden. Ein Irrtum, wie der Fachmann sagt. „Das Design hat sich in den vergangene­n 150 Jahren rund achtmal verändert.“In ihren Anfängen galt die Flagge noch als Zeichen maritimer Tradition, bevor politische Gruppen sie für sich entdeckten. Ursprüngli­ch wurde sie als Flagge der Marine geschaffen, 1871 dann vom Kaiserreic­h als Kriegsflag­ge übernommen. Ähnlich verhält es sich mit der Wirmer-Flagge. Das golden eingefasst­e Philippusk­reuz auf rotem Grund war Symbol für den Widerstand gegen das NS-Regime am 20. Juli 1944. Auch bei der Reichsflag­ge gibt es nicht das eine Exemplar, betont der Experte. Über die Jahre hat sich auch ihr Design verändert.

Jörg Karaschews­ki ist sich sicher: Wer eine dieser Flaggen nutze, zeige Ablehnung und Widerstand gegen das geltende politische System. Welche dieser Flaggen dabei zum Einsatz komme, spiele keine Rolle.

Auf die Anzahl der Stiche kommt es an

 ?? Fotos: dpa ?? Wehende Botschafte­r, die überall Platz finden: (von links) die deutsche Nationalfl­agge in einem Schreberga­rten, bayerische Fahnen auf dem Oktoberfes­t, die Standarte des Bundespräs­identen auf dem Dach von Schloss Bellevue, die US‰Flagge bei der ersten Mondlandun­g.
Fotos: dpa Wehende Botschafte­r, die überall Platz finden: (von links) die deutsche Nationalfl­agge in einem Schreberga­rten, bayerische Fahnen auf dem Oktoberfes­t, die Standarte des Bundespräs­identen auf dem Dach von Schloss Bellevue, die US‰Flagge bei der ersten Mondlandun­g.
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