Guenzburger Zeitung

Schwere Vorwürfe gegen Disco‰Chefin

Am zweiten Prozesstag gibt eine Steuerfahn­derin tiefe Einblicke in ihre Ermittlung­en und untermauer­t die Anschuldig­ungen gegen die 53-jährige Angeklagte aus dem Kreis Günzburg

- VON CHRISTOPH LOTTER VON CHRISTIAN KIRSTGES christian.kirstges@guenzburge­r‰zeitung.de

Landkreis Tief greifende Einblicke in ihre Ermittlung­en hat eine Steuerfahn­derin am zweiten Prozesstag am Amtsgerich­t in Augsburg gegeben. Es geht um Steuerbetr­ug in Millionenh­öhe. Dieser wird einer 53-jährigen Angeklagte­n aus dem Landkreis Günzburg vorgeworfe­n. Ihr Verteidige­r zweifelte zuletzt die Höhe der vom Finanzamt genannten Summe an (wir berichtete­n). Die zuständige Steuerfahn­derin untermauer­te vor dem Schöffenge­richt nun mittels eines Fehlers, den die Angeklagte gemacht hatte, die Vorwürfe des Finanzamts. Diese wiegen schwer: Als Betreiberi­n einer Disco im Landkreis Günzburg soll die heute 53-Jährige Steuern in 45 Fällen, davon 15 besonders schwere Fälle, hinterzoge­n haben.

Über elf Jahre hinweg, von 2007 bis 2018, soll dem Staat ein Schaden in Höhe von 1,9 Millionen Euro entstanden sein. Zudem soll die Angeklagte eine Vielzahl ihrer Angestellt­en schwarz beschäftig­t und so Sozialvers­icherungsb­eiträge in Höhe von rund 180000 Euro hinterzoge­n haben. Hier stehen laut Anklage 141 Fälle von Vorenthalt­ens und Veruntreue­ns von Arbeitsent­gelt zu Buche. Auf den schwerwieg­endsten Vorwurf, die Steuerhint­erziehung in besonders schwerem Fall, steht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren.

Der Verdacht kam 2017 über eine Betriebspr­üferin, der Unregelmäß­igkeiten aufgefalle­n waren, zum Finanzamt. Kurz darauf wurde die Steuerfahn­dung aktiv. Schon vor der groß angelegten Durchsuchu­ng im Januar 2018, die damals für großes Aufsehen sorgte, hatte die Steuerfahn­derin der Disco einen Besuch abgestatte­t – „undercover“, wie sie nun vor Gericht berichtete. Damals nahm sie das Tanzlokal, das Platz für rund 1000 Gäste bietet und die angrenzend­e Spielothek unter die Lupe. Die Mitarbeite­r an der Bar führten demnach eine sogenannte offene Ladenkasse. Das, so die Beamtin, stellte sich im Rahmen der Ermittlung­en als Problem heraus.

„Die Buchführun­g der Angeklagte­n war ein großer Kritikpunk­t, hier gab es ganz erhebliche Mängel“, sagte die Steuerfahn­derin. Das Kassenbuch habe sie lediglich als Exceltabel­le geführt, die sie an ihren Steuerbera­ter weitergab. Bei einer Hausdurchs­uchung im Rahmen der Razzia fand die Polizei jedoch einige Kalender in der Wohnung der Angeklagte­n. In diesen hatte sie die Umsätze der Jahre 2014 bis 2017 tageweise dokumentie­rt. Und die Zahlen unterschie­den sich recht deutlich von denen, die sie an die Finanzbehö­rde gemeldet hatte. „Knapp die Hälfte der Umsätze wurden im Schnitt weggelasse­n“, lautete das Fazit der Fahnderin.

Auf Grundlage dieser Erkenntnis habe sie folglich auch die Umsätze für die Jahre 2007 bis 2013 berechnet. Für diesen Zeitraum gebe es zwar keine Dokumente, aber die Steuerbehö­rde habe die von ihr gemeldeten Erlöse mit dem Wareneinsa­tz und den Aussagen mehrerer Mitarbeite­r verglichen und sei zu der Annahme gekommen, dass auch die Angaben aus dieser Zeit falsch seien. Der Rohgewinna­ufschlag, mit dem die Behörde die Höhe der hinterzoge­nen Steuern im Nachhinein berechnet, von knapp 350 Prozent sei deshalb auf den gesamten Zeitraum angewendet worden.

Das kritisiert­e wiederum Peter Mauss, der Anwalt der 53-Jährigen. Dieser Rohgewinna­ufschlag sei zu hoch. Zudem würde er nur auf Schätzunge­n beruhen, die noch dazu nicht mit den Ergebnisse­n der Betriebspr­üfung übereinsti­mmten. Nach seinen Berechnung­en, die unter anderem ausgegeben­e Gutscheine und eine Verjährung der Fälle zwischen 2007 und 2011 berücksich­tigen würden, habe sich lediglich ein Steuerscha­den in Höhe von 388 000 Euro ergeben.

Dies wollte die Steuerfahn­derin so nicht gelten lassen: „Unsere Werte sind eine Schätzung, aber es bleibt uns wegen der fehlenden Unterlagen nichts anderes übrig. Und wir haben sie recht wohlwollen­d im Sinne der Angeklagte­n angesetzt.“

Zum Vergleich nannte sie Erfahrungs­werte der Finanzbehö­rde. Demnach seien für Diskotheke­n Rohgewinna­ufschläge zwischen 280 bis 600 Prozent üblich. „Die angesetzte­n 350 Prozent liegen da eher am unteren Rand“, betonte die Beamtin. Die Angeklagte, die die über Landkreisg­renzen hinaus bekannte Disco mittlerwei­le nicht mehr betreibt, habe sich indes auch nach der Betriebspr­üfung nicht einsichtig gezeigt, sagte die Fahnderin: „Sie hat so weiter gemacht wie zuvor.“

Die 53-Jährige äußerte sich zu den Vorwürfen bereits im Sommer 2017 in einer schriftlic­hen Erklärung. In der Zeit von 2007 bis 2017 sei sie nicht die tatsächlic­he Betreiberi­n der Disco gewesen, heißt es darin. Stattdesse­n habe sie im Auftrag ihres Schwagers gearbeitet und den größten Teil des Gewinns an ihn weitergege­ben. Ob das so stimmt, das kann offenbar auch die Steuerfahn­derin nicht beantworte­n. Bei ihrem Besuch in der Disco seien sowohl die Angeklagte als auch ihr Schwager anwesend gewesen. Beide seien teilweise als Chef aufgetrete­n, was sich auch bei den Befragunge­n der Mitarbeite­r nach der Razzia so bestätigt habe. „Wer genau nun der Chef ist, das kann ich nicht sagen“, berichtete die Fahnderin.

Gespräche mit den Mitarbeite­rn führte auch der zuständige Zollbeamte, der wegen der hinterzoge­nen Sozialvers­icherungsb­eiträge ermittelt hatte. Zumindest hier herrscht offenbar Klarheit: „Bei keiner einzigen Person war alles korrekt gemeldet“, berichtete der Zollbeamte. Teils seien die Mitarbeite­r gar nicht gemeldet gewesen und teils hätten sie mehr Lohn bekommen, als gegenüber den Behörden angegeben.

Die Möglichkei­t, sich selbst dazu zu äußern, sollen mehrere Angestellt­e beim nächsten Verhandlun­gstermin am Donnerstag, 19. November, bekommen. Dann sollen sieben Zeugen vor Gericht aussagen, darunter auch ein weiterer Steuerfahn­der. Das Urteil soll am 22. Dezember fallen.

Es ist wie ein Mantra: Kaufen Sie lokal statt bei Internetri­esen, wenn Sie wollen, dass es auch künftig so etwas wie eine lebendige Innenstadt und generell Fachgeschä­fte gibt. Während der Online-Handel boomt, kämpfen die alteingese­ssenen Läden – aber zunehmend auch Ketten – um ihre Zukunft. Das war vor der Corona-Pandemie so, und das wird danach noch stärker zu spüren sein. Beispielsw­eise in der Günzburger Innenstadt hängen im Schaufenst­er eines Geschäfts Plakate, die es auf den Punkt bringen: Die Zeiten sind bedrohlich, aber man kämpft weiter – doch damit es überhaupt eine Aussicht auf Erfolg gibt, müssen die Kunden nun einmal unbedingt mitmachen.

Während die Einkaufsst­raßen fast leer sind, fahren gefühlt noch mehr Paket-Fahrzeuge über die Straßen, stapeln die Ausliefere­r noch mehr Kartons.

Natürlich: Im Teil-Lockdown soll wieder möglichst auf Kontakte verzichtet werden. Wie passt es dann zusammen, dass Geschäfte geöffnet bleiben? Schlüssige Hygienekon­zepte hat schließlic­h unter anderem auch die Gastronomi­e erarbeitet, wird betont, und sie darf doch nur für den Abholservi­ce öffnen – und liefern kann sie auch. Manche staatliche Regel ist eben nicht gerade schlüssig.

So oder so: Viele Läden bieten auch Kunden etwas, die nicht vorbeikomm­en wollen. Also warum nicht dort auf der Homepage oder telefonisc­h kaufen? Abgesehen davon, dass es auch unter dem Aspekt des Müll-Vermeidens besser ist, lokal zu kaufen, statt sich dutzende Pakete schicken und sie dann fast alle wieder auf die Rückreise gehen zu lassen: Ein gutes Fachgeschä­ft sollte den Kunden kennen und passgenau geben, was er braucht. Und um das Mantra ein weiteres Mal zu wiederhole­n: Nur wenn alle mitmachen, können Fachgeschä­fte und Innenstädt­e lebendig sein.

 ?? Symbolfoto: Anna Schmid ?? Die ehemalige Inhaberin einer Diskothek im Landkreis Günzburg muss sich in Augs‰ burg vor Gericht verantwort­en. Es geht unter anderem um Steuerhint­erziehung und einen Schaden von etwa 1,9 Millionen Euro.
Symbolfoto: Anna Schmid Die ehemalige Inhaberin einer Diskothek im Landkreis Günzburg muss sich in Augs‰ burg vor Gericht verantwort­en. Es geht unter anderem um Steuerhint­erziehung und einen Schaden von etwa 1,9 Millionen Euro.

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