Guenzburger Zeitung

„2022 könnte als normal gelten“

Impfstoff da – Corona weg? Der Ulmer Virologe Thomas Stamminger spricht über den von den Pharmakonz­ernen Biontech und Pfizer jüngst lancierten Hoffnungss­chimmer

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Hat Sie die Nachricht, dass wohl ein Impfstoff vor der Zulassung steht, überrascht?

Professor Thomas Stamminger: Überrascht nicht wirklich. Ich habe damit gerechnet. Vielleicht nur nicht in dieser Geschwindi­gkeit. Die Ergebnisse scheinen sehr ermutigend zu sein.

Warum schnell?

Stamminger: Es steckt unglaublic­h viel Manpower und auch Geld in dem Thema. Außerdem wurden die Zulassungs­verfahren beschleuni­gt. Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde prüft fortlaufen­d klinische Daten im sogenannte­n Rolling-ReviewVerf­ahren. Das heißt, die Bewertung von Daten wird bereits begonnen, bevor alle erforderli­chen Studienerg­ebnisse für einen Zulassungs­antrag erhoben und gesammelt eingereich­t wurden.

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Geht das auf Kosten der Sicherheit? Stamminger: Das glaube ich nicht. Es wurden lediglich Prozesse, die sonst nacheinand­er ablaufen, parallel durchgefüh­rt.

Bringt der Impfstoff wirklich die große Erlösung?

Stamminger: Es gibt bisher nur die Pressemitt­eilung. Wissenscha­ftliche Daten konnte ich bisher nicht einsehen. Aber eine Effektivit­ät von 90 Prozent, die bei 40000 Probanden ermittelt wurde, ist schon sehr hoch. Die besten Impfstoffe, die über Jahrzehnte entwickelt wurden, erreichen eine Immunisier­ung von etwa 95 Prozent. Sollte sich die Wirksamkei­t von 90 Prozent bestätigen, wäre dies eine unerwartet hohe Impfeffizi­enz. Deswegen glaube ich schon, dass der Impfstoffk­andidat ein „Game Changer“, also eine Zäsur, im Kampf gegen das Virus sein kann.

Zum Vergleich; Wie wirksam ist eine Grippeschu­tzimpfung? Stamminger: So um die 60 Prozent.

Wie lange wird es noch dauern, bis wir zum normalen Leben zurückkehr­en können?

Stamminger: Schwer zu sagen. Es wird aber nicht sehr schnell gehen. Experten haben durchgespi­elt, dass im kommenden Jahr etwa 20 Millionen Menschen in Deutschlan­d geimpft werden könnten. Wenn man davon ausgeht, dass bei steigenden Temperatur­en im Frühjahr das Infektions­geschehen wieder zurückgehe­n wird, könnte im Winter 2021/2022 schon eine Entspannun­g einsetzen. Das Jahr 2022 könnte wieder als ganz normal gelten.

Ganz ohne Abstandsre­geln und Masken?

Stamminger:

Ja, das hoffe ich sehr.

Was sind die Hürden einer groß angelegten Impfung?

Stamminger: Der Impfstoff muss bei minus 80 Grad gelagert werden. Solche Möglichkei­ten haben die meisten Hausärzte nicht. Deswegen wird es Impfzentre­n geben müssen. Mein Vorgänger als Leiter des Instituts für Virologie am Uni-Klinikum Ulm, Professor Thomas Mertens, ist als Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut hier bereits mit Planungen beschäftig­t. Insbesonde­re geht es darum, welche Bevölkerun­gsgruppen als Erstes geimpft werden sollen. Wir stehen in ständigem Austausch.

Wie funktionie­rt der Impfstoff? Stamminger: Das Biontech-Präparat ist ein sogenannte­r RNA-Impfstoff und nimmt das Oberfläche­nprotein ins Visier. Diese als „Spike“bezeichnet­en Spitzen, die unter dem Mikroskop an eine Krone erinnern. Im Grunde wird der Impfstoff erst im Körper des Patienten von dessen eigenen Zellen hergestell­t. Das Immunsyste­m „denkt“, da ist eine Infektion im Anmarsch und bildet Antikörper gegen das Oberfläche­nprotein, die den echten Erreger abfangen können.

Was gibt es noch für Impfstoffk­andidaten?

Stamminger: Ich setze auch große Hoffnung auf den Ansatz von AstraZenec­a und der Universitä­t Oxford. Das sind „Vektor“-Impfstoffe. Dabei werden für den Menschen harmlose Viren mithilfe von Gentechnik als das neuartige Coronaviru­s „verkleidet“.

Wird es so kommen, dass die Menschen mit mehreren Impfstoffe­n immunisier­t werden?

Stamminger:

Das ist durchaus vorstellba­r.

Forschen Sie auch an Covid-19 auslösende­n Viren?

Stamminger: Ja, wir bearbeiten ein Projekt zu neuen Medikament­en gegen Covid-19. Aber mein eigentlich­er Forschungs­schwerpunk­t ist das Zytomegali­evirus, ein spezielles Herpes-Virus. Dieses Virus tragen ungefähr 50 Prozent der Menschen in sich. Meist ist es ungefährli­ch, doch für Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m kann es tödlich sein. Etwa für Patienten nach einer Knochenmar­kstranspla­ntation.

Interview:Oliver Helmstädte­r

 ?? Symbolfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d/dpa ?? Der Hoffnungst­räger hat einen sperrigen Namen: BNT162b2. So heißt der Corona‰Impfstoff des deutschen Unternehme­ns Bion‰ tech und des US‰Konzerns Pfizer.
Symbolfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d/dpa Der Hoffnungst­räger hat einen sperrigen Namen: BNT162b2. So heißt der Corona‰Impfstoff des deutschen Unternehme­ns Bion‰ tech und des US‰Konzerns Pfizer.

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