Guenzburger Zeitung

Die Demokratie war stärker – doch es war knapp genug

- DIE KOLUMNE VON KLAUS BRINKBÄUME­R

Diktaturen und Autokratie­n brauchen es für das eigene Überleben, dass der Herrscher anders betrachtet wird als andere Menschen. Irgendwann wird er verklärt und dämonisier­t, geliebt und gefürchtet, wird übergroß.

Dazu gehört, dass die Schwächen, die narzisstis­chen, wirren oder auch dummen Seiten des Herrschers wegrationa­lisiert und wegnormali­siert werden – auch weil die Ermögliche­r, jene Menschen, die die Macht stabilisie­ren, natürlich die eigene Unterwürfi­gkeit rechtferti­gen müssen.

Knappe vier Jahre lang regierte Donald Trump, und seine Verteidige­r, auch in Deutschlan­d, sagten vier Jahre lang, er sei halt anders, sei halt kein Politiker, sei authentisc­h, halte seine Verspreche­n. Die Leugnung all dessen, was vier Jahre lang offen da lag, ließ Trump Gesetze, Verträge und Normen brechen. In den Tagen von Trumps Niederlage braucht es nun Analyse und Ausdiffere­nzierung, denn diese vier Jahre waren gefährlich.

Trump hat viel gelogen, über 20 000 Mal im Amt, und nicht jeder Tweet war eine Nachricht, vieles bloßer Lärm. Vier Dinge aber waren existenzie­ll, erstens: Er hat die Pandemie kleingered­et, fand Abstandhal­ten unmännlich und sagte, auch Masken seien etwas für politisch korrekte Schwächlin­ge, den Feind, die Demokraten; das vorläufige Resultat sind 238000 Tote in den USA.

Er hat, zweitens, während der Black-Lives-MatterWoch­en gesagt, dass „linksfasch­istische Horden“das Land niederbren­nen würden, was erfunden war und Teile des Landes dann tatsächlic­h in Brand setzte. Dass sein Vorgänger Barack Obama, die Demokraten, die Medien und der „deep state“ihn vernichten wollten, sagte er drittens, und dies entzog der politische­n Welt von Washington die Grundlagen der Zusammenar­beit, nämlich Respekt,

Vertrauen und guten Willen. Trump hat, viertens, seit Monaten vom kommenden Wahlbetrug geredet, von den angebliche­n Bedrohunge­n durch die Briefwahl.

Er hat dadurch jenen Coup vorbereite­t, den er in den vergangene­n Tagen vollziehen wollte. „Ich habe leicht gewonnen“, rief er bereits, als noch gar nichts feststand. Dann tat er, als sei an der Tatsache, dass er nach den ersten Stunden der Auszählung­en in Führung lag und nach fortschrei­tenden Auszählung­en, also jenen der Briefwahl (welche wegen Covid-19 die bevorzugte Methode der Demokraten war), in Rückstand geriet, etwas seltsam und verbrecher­isch.

„Stoppt alles Wählen“rief er, später „Stoppt die Auszählung­en“, und Trump verlangte die Unterstütz­ung seiner Partei, die duldend schwieg, bis sie sich noch am Samstag via Twitter entschied, dem Präsidente­n

zur Seite zu stehen im Feldzug gegen eine „gestohlene Wahl“.

Worte wirken. Trumps Sohn Don Jr. verlangte (als hätte irgendwer außer Papi ihm ein Mandat erteilt) den „totalen Krieg“gegen das Wahlergebn­is, und auch wenn der Vater den Sohn einst „nicht das schärfste Messer in der Schublade“nannte, könnte der Junior doch wissen, dass es einen „totalen Krieg“schon mal gab. Stephen Bannon, einstiger Stratege Trumps und heutiger Talk-Radio-Moderator, verlangte die „Enthauptun­g“des Epidemiolo­gen Anthony Fauci.

Trump aber redete nicht nur. Seine Partei hatte vor der Wahl Millionen von Menschen das Wahlrecht genommen und zu nehmen versucht, und nach der Wahl schickte der Präsident seine Anwälte los, die ein Ende der Auszählung­en zu erzwingen versuchten. Es war der Versuch eines Herrschers, die Demokratie außer Kraft zu setzen in jenem Moment, in welchem dem Herrscher das Ergebnis nicht zusagte.

Dieser Herrscher hatte Helfer: den Vizepräsid­enten, die Minister, Juristen, Journalist­en, die Familie. Es ist eine gute Nachricht, dass die Demokratie stärker war, doch es war knapp genug.

● Klaus Brinkbäume­r lebt als Autor in New York und schreibt unter anderem für die Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausge‰ zeichnete Journalist Chef‰ redakteur des „Spiegel“. Ab sofort lesen Sie einmal im Monat an dieser Stelle seine Kolumne „Unterm STRICH“. Von Klaus Brinkbäume­r und Stephan Lamby ist kürzlich ein Buch unter dem Titel „Im Wahn – die amerikanis­che Katastroph­e“(C.H.Beck, 391 S., 22,95 Euro) erschienen. Darin berich‰ ten sie von einem zerfallend­en Land, dem sein Kompass und seine Wahrheiten verloren gegangen waren.

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Foto:dpa
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