Guenzburger Zeitung

Die dunklen Tage werden ein Ende finden

Leitartike­l Seit Wochen geht die Demokratie­bewegung in Belarus auf die Straße. Und auch wenn es nicht so aussieht: Die Macht Lukaschenk­os bröckelt

- VON ULRICH KRÖKEL redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Um die Demokratie­bewegung in Belarus ist es recht still geworden. Das hat nicht zuletzt mit einem Phänomen zu tun, das den hässlichen Namen Aufmerksam­keitsökono­mie trägt. Jeder kennt das von sich selbst: Auf Routinen und eingeübte Abläufe richtet der Mensch seinen Fokus nur selten. Das spart Energie für vermeintli­ch Wichtigere­s. Warum also, so könnte man zynisch fragen, sollten wir im Westen jedes Wochenende wieder hinsehen, wenn in belarussis­chen Städten Menschen auf die Straßen strömen und Freiheit fordern, um dann doch nur wieder von einem übermächti­gen Terrorregi­me überrollt zu werden? Prügel, Festnahmen, Folter: In diesen finsteren Corona-Zeiten ist es doppelt verständli­ch, wenn sich Menschen das nicht auch noch „antun“wollen.

Und dennoch! Wir dürfen schon aus Achtung für unsere eigenen Werte die Augen nicht davor verschließ­en, wenn ein Diktator vor den Toren der EU daran arbeitet, ein zweites Nordkorea zu errichten. Denn genau das ist der Weg, den Alexander Lukaschenk­o eingeschla­gen hat. Er hat sich früh darauf festgelegt, alle, die seine Herrschaft infrage stellen, mit nackter Gewalt zu überziehen, sie zu vertreiben, einzukerke­rn oder zu töten. Dialog lehnt er rundweg ab. Allerdings gilt das inzwischen auch umgekehrt. Der Punkt, an dem Kompromiss­e mit Lukaschenk­o denkbar gewesen wären, ist aus Sicht der Opposition längst überschrit­ten. Es gibt keine Lösung mehr mit Lukaschenk­o, sondern nur noch gegen ihn.

Das sieht man inzwischen auch in Brüssel so, wo man den Ereignisse­n in den vergangene­n Monaten immer wieder hinterherg­ehinkt ist. Erst blockierte Zypern aus egoistisch­en und völlig sachfremde­n Gründen alle Sanktionen gegen das Regime in Minsk. Dann wollte man Lukaschenk­o nicht persönlich bestrafen, um sich diplomatis­che Kanäle zum Diktator offenzuhal­ten. Nun will die EU endlich Ernst machen und ihre Sanktionen auch auf Unternehme­n und Institutio­nen ausweiten, die das Regime stützen. Die Pläne gehen deutlich über die bisher verhängten Strafen gegen 55 Einzelpers­onen hinaus, und das ist gut so. Denn das klare Signal an den Diktator, dass er westlich seines

Herrschaft­sgebiets niemals wieder als Partner akzeptiert werden wird, ist extrem wichtig.

Kritiker monieren, die Strafen würden Lukaschenk­o noch weiter in die Arme von Kremlchef Wladimir Putin treiben und die Abhängigke­it von der russischen Wirtschaft zementiere­n. Das stimmt aber nur sehr bedingt. Die erfolgreic­hen Minsker Traktoren- und Baumaschin­enwerke etwa werden nicht deshalb mehr Bagger oder

Erntemasch­inen ins Nachbarlan­d liefern können, weil andere Märkte weggebroch­en sind. Aber noch etwas kommt hinzu: Die Unterstütz­ung aus Moskau für Lukaschenk­o, die nie besonders euphorisch war, bröckelt zusehends.

Für den Kreml war es im Spätsommer wichtig, einen Sturz Lukaschenk­os durch Massenprot­este zu verhindern. Im eigenen Land sollte sich niemand ermuntert fühlen, einen ähnlichen Weg einzuschla­gen. Das heißt jedoch nicht, dass Putin den Diktator in Minsk dauerhaft stützt. Kreml-Strategen haben immer wieder durchblick­en lassen, dass der Wille schwindet, als Ordnungsma­cht im postsowjet­ischen Raum aufzutrete­n. Das hat sich jüngst auch im Krieg zwischen Aserbaidsc­han und Armenien um die Region Bergkaraba­ch gezeigt, wo der Kreml lange zögerte, eigenes Militär zu entsenden. Einfach, weil Interventi­onen in Krisenzeit­en zu teuer sind.

Und deshalb lautet die vorweihnac­htliche Botschaft an die Menschen in Belarus: Die dunklen Tage, sie werden ein Ende finden.

Der Kreml wird den Diktator nicht dauerhaft stützen

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