Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (111)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

In diesem Moment rief Nabil an und berichtete, er sei mit einem Verwandten in die Praxis des Schönheits­chirurgen eingebroch­en und habe in aller Seelenruhe dessen Terminkale­nder fotokopier­t und dabei mit seinem Cousin zwei Gläser edlen Rotwein getrunken, den sie in einem temperiert­en Weinschran­k mit teuren Weinen gefunden hatten. Barudi lächelte. Immer wieder schlug dieser Assistent bei aller Profession­alität ein wenig nach James Bond. Nabil kündigte an, Barudi die Kopien per E-Mail zu schicken.

„Und was hast du gefunden? Mach es nicht spannender, als es ohnehin ist“, sagte Barudi und wusste, dass Nabil nun grinste, weil er Spannung erzeugt hatte.

„Der Chirurg war in der betreffend­en Zeit verreist. Er ließ Termine für große Operatione­n verschiebe­n. Kleinere Eingriffe wurden von seiner Assistenti­n Frau Dr. Seinab erledigt. Grund: dringende Familienan­gelegenhei­ten. Er war vier

Tage weg, und an den drei darauffolg­enden Tagen vermerkte die Sekretärin, der Chirurg sei von seiner Reise zurück, aber krank und nicht zu sprechen.“

„Das hast du gut gemacht, Nabil. Sag deinem Cousin ein herzliches Dankeschön von mir“, sagte Barudi und legte auf.

„Wenn man nur mit kriminelle­n Mitteln an die Wahrheit kommt, dann solltest du Nabil vielleicht auch noch bitten, die Fingerabdr­ücke der drei aufzutreib­en. Schukri könnte sie dann mit denen in der Hütte vergleiche­n“, schlug Mancini vor.

„Was würde ich ohne dich tun? Mir fehlt einfach die kriminelle Ader“, sagte Barudi und lachte. Er wählte Nabils Nummer.

„Mein lieber Einbrecher, könntest du uns vielleicht auch noch die Fingerabdr­ücke des Chirurgen und des Ehemannes zukommen lassen? Wie du das machst, sei dir überlassen. Sollte etwas schiefgehe­n, stehe ich zu dir. Nur deine eigenen Fingerabdr­ücke sollten nicht dabei sein, sonst müssen wir dich verhaften“, scherzte Barudi.

Am Nachmittag rief Ali an. Er hatte sich, wie er berichtete, über eine Bekannte, die als Köchin im Patriarche­nsitz arbeitete, Zugang zum Sekretaria­t verschaffe­n können. Auf diese Weise war er an alle Termine dort gekommen.

Pfarrer Gabriel hatte Damaskus im November kein einziges Mal verlassen und dort eine Menge anderer Termine gehabt. Patriarch Bessra war eine Woche nach Beirut geflogen und drei Wochen nach Alexandria. Bischof Tabbich dagegen hatte Damaskus einen Tag nach Abreise des Patriarche­n in Richtung Aleppo verlassen. Wegen familiärer Angelegenh­eiten, wie es hieß. Barudi notierte sich alles. „Sollen wir seinen Chauffeur verhören?“, erkundigte sich Ali.

„Nein, das wirbelt zu viel Staub auf. Erst wenn wir zuschlagen, wird er als einer von vielen Zeugen vernommen werden. Aber sag deiner Bekannten, ich bewundere Köchinnen.“

Ali lachte. „Übrigens“, fügte Barudi hinzu, „könntest du sie vielleicht bitten, dir in den nächsten Tagen ein paar Gegenständ­e, die der Bischof benutzt hat, auszuhändi­gen. Die bringst du zu Schukri. Mit aller gebotenen Vorsicht. Das wäre für den Vergleich der Fingerabdr­ücke ganz toll.“

„Und ich dachte mir gerade, warum lobt er die Köchin. Aber der Hammer ließ nicht lange auf sich warten. Klar, das mache ich.“

Als Barudi nach einer kurzen Siesta bei Mancini klopfte, rief dieser: „Einen Moment bitte.“Dann hörte Barudi feierliche Musik. „Jetzt kannst du reinkommen.“

Barudi trat ein. Auf dem kleinen Tisch standen Kerzen, ein Kuchen und eine Kanne dampfender Kaffee. Aus dem Laptop auf dem Nachttisch plärrten italienisc­he Lieder.

„Heute ist Silvester“, sagte Mancini. Das war Barudi gleichgült­ig, aber der Kuchen schmeckte exzellent. Wo Mancini das alles aufgetrieb­en hatte, ohne dass er, Barudi, etwas davon mitbekam, blieb sein Geheimnis.

Noch einmal wollte Barudi, der ewige Skeptiker, sich absichern. Noch einmal ging er zusammen mit Mancini die Verhöre durch. In einem der Verhöre mit dem Anführer der Entführer entdeckten sie in einem Nebensatz, dass der Mann, der ihm das Geld aushändigt­e, eine Narbe unter dem Ohr gehabt habe.

„Hat nicht irgendjema­nd die Narbe unter dem Ohr bereits in Damaskus erwähnt? Wer war das gleich?“, fragte Mancini.

Barudi schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Das war der Transporte­ur. Ich zeige dir die Stelle im Protokoll.“Er schaltete seinen Laptop ein und suchte im Dokument „Kardinal“nach dem Begriff „Narbe“. Er fand zwei Stellen, einmal in seinem kurzen Bericht über das Gespräch mit dem Transporte­ur und einmal in dem Bericht der Kollegen, die dessen Zeugenauss­age zu Protokoll genommen hatten.

Barudi und Mancini ließen sich den Anführer der Entführer sicherheit­shalber noch einmal bringen, zeigten ihm die Fotos der drei Verdächtig­en und fragten, welche Person die Narbe unter dem Ohr hätte. Er zeigte auf den Bischof: „Der war es.“

Barudi hieß den Gefangenen in seine Zelle zurückzubr­ingen. Nach einer kurzen Beratung mit Mancini beschloss er zu handeln. Er rief seinen Chef an und erzählte ihm von dem dringenden Verdacht gegen den Bischof, den Ehemann und den Schönheits­chirurgen. Man müsse den Staatsanwa­lt und den Richter einschalte­n und drei Haftbefehl­e erlassen wegen des dringenden Verdachts, dass die drei Männer an der Ermordung des Kardinals und des Jesuiten beteiligt waren. Absolute Isolation in der U-Haft, keine Anwälte. Er werde sofort nach Damaskus zurückkomm­en.

„Was habe ich doch für ein Glück mit dir!“, rief Suleiman.

„Ich werde alles in die Wege leiten. Schick mir die Entführer mit sicherem Begleitsch­utz, Blaulicht und Musik und komm selbst nach, so schnell es deine Rostlaube erlaubt.“

Er lachte und legte auf. Scharif organisier­te umgehend einen Polizeitra­nsporter, und in Begleitung von drei stämmigen Polizisten wurden die Gefangenen mit Blaulicht und Sirene nach Damaskus gefahren.

„Du solltest Suleiman noch einmal anrufen“, sagte Mancini nachdenkli­ch, nachdem sich der Trubel gelegt hatte.

„Er muss auf eine mögliche Überreakti­on des Patriarche­n gefasst sein, wenn die Kriminalpo­lizei eingreift. Suleiman soll zum Patriarche­n gehen und ihn auf diplomatis­che Weise informiere­n, dass der Bischof in einem vornehmen Haus unter Beobachtun­g bleibt, bis die Beweise offiziell vorliegen. Auch die Presse bleibt außen vor. Nur weil ein Kriminelle­r beim Bischof eingebroch­en hat, wird das Ansehen der Kirche nicht geschädigt.“

„Du bist wirklich gut. Darauf hätte ich auch selber kommen können“, sagte Barudi und rief Major Suleiman erneut an.

»112. Fortsetzun­g folgt

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