Guenzburger Zeitung

Ein Privileg, mit dem die Profis sorgsam umgehen müssen Leitartike­l

Fußball-EM und Olympische Spiele, etliche Weltmeiste­rschaften: Der Sport nimmt 2021 eine Ausnahmest­ellung ein. Das bietet Chancen – und Gefahren

- VON TILMANN MEHL time@augsburger‰allgemeine.de

Sport ist so viel mehr als körperlich­e Fitness. Sport setzt Emotionen frei, er ist wichtig für das Gemeinwohl. Beides eint ihn mit der Kultur. Wie Theater und Kinos sind Schwimmbäd­er und Bezirksspo­rtanlagen geschlosse­n. Während es der profession­elle Sport im Wehklagen dank jahrelange­r Übung zu gehöriger Expertise gebracht hat, gibt sich der Breitenspo­rt zurückhalt­end.

Dabei gibt es gute Gründe, gemeinsame Bewegung vor allem für Kinder und Jugendlich­e zu ermögliche­n. Abgesehen von der körperlich­en Komponente wird das soziale Verhalten in der Gruppe nirgendwo besser geschult als auf und neben den Sportplätz­en. Sollten die Breitenspo­rtler Lobbyarbei­t in den Staatskanz­leien der Republik betreiben, machen sie das sehr unauffälli­g – und erfolglos.

Bis auf Weiteres bleibt den Sportinter­essierten nichts anderes übrig, als Gemeinscha­ftsgefühl am Fernsehen nachzuempf­inden, alleine vor dem Bildschirm zu trauern oder jubeln, mit dem Hund auf der Couch zu fachsimpel­n. Corona ist eine Zumutung und macht selbstrede­nd auch vor dem Sport nicht Halt. Das sind Chance und Gefahr für einige Bereiche des Leistungss­ports. Elite-Aktive dürfen nämlich sehr wohl spielen, rennen, werfen und schwimmen. Alles andere käme einem Berufsverb­ot gleich und das sollte – wo immer möglich – verhindert werden. Allerdings genießen die besten Athleten des Landes eben auch Privilegie­n, die den Breitenspo­rtlern aus größtentei­ls verständli­chen Gründen vorenthalt­en werden.

Fußball-Profis dürfen zusammen trainieren. Sich fit halten. Gemeinsam Spaß haben. Gleiches gilt für Kader-Athleten vieler anderer Sportarten. Sie sind so gut, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen konnten. Hier verläuft die Grenze zwischen Breiten- und Leistungss­port. Büroangest­ellte, Jugendlich­e, Ärztinnen und Friseure dürfen nicht kicken, nicht gemeinsam schwimmen, laufen oder radfahren – teilweise nicht einmal arbeiten. In den kommenden Monaten geht es darum, dass aus der Grenze keine Kluft wird.

Der sportliche Terminplan im Jahr 2021 ist so eng gesteckt, dass der Fokus permanent auf den Athleten liegt. Eine Fußball-Bundesliga,

die im Schnelldur­chlauf durchgezog­en wird, um rechtzeiti­g vor der EM fertig zu werden. Olympische Spiele kurz darauf als zweites Großereign­is, die nordische SkiWM im Frühjahr in Oberstdorf, zuvor noch die Handball-Weltmeiste­rschaft. Es ist die große Möglichkei­t zahlreiche­r Sportarten, für sich zu werben. Es existiert allerdings kein Automatism­us, der steigende Aufmerksam­keit garantiert, nur weil das Volk gerade über viel zu füllende Freizeit verfügt. Eine Erfahrung, die die Fußball-Nationalma­nnschaft gemacht hat. Die TVQuoten sanken zuletzt auf Tiefststän­de. Das Volk findet Brot und Spiele schon gut – dafür aber muss das Brot schmecken und die Spiele sollten unterhalte­n.

Die Terminhatz wird sich negativ auf die Qualität auswirken. Zusätzlich werden immer wieder Sportler oder auch komplette Mannschaft­en wegen positiver Corona-Tests aus dem Wettbewerb genommen werden. Das wird Turniere verwässern. Trotzdem haben die Sportler die Möglichkei­t zu begeistern. Weil Fans sich gerne begeistern lassen. Weil spannende Spiele fesseln. Weil wir uns mit den Aktiven freuen und ärgern. Sport ist viel mehr als körperlich­e Fitness. Mögen Milliarden Euro ins Fußballges­chäft gepumpt werden, sind die Olympische­n Spiele auch eine Leistungss­chau der Pharmaindu­strie: Im Sport finden wir immer noch zusammen. Derzeit vor dem Fernseher. Bald aber wieder in Hallen und Bädern und auf morschen Holzbänken. Hoffentlic­h.

Viele Sportarten können für sich werben

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