Guenzburger Zeitung

Die Unantastba­re

Porträt Angela Merkel galt schon als lahme Ente. Doch in ihr letztes Amtsjahr startet die oberste deutsche Krisenmana­gerin gänzlich unangefoch­ten – wegen Corona

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Das Erstaunlic­hste an der so erstaunlic­hen Karriere der Angela Merkel ist, wie sehr sie immer wieder zum Erstaunen einlädt. Niemand hätte vorhergese­hen, dass eine geschieden­e kinderlose Frau aus dem Osten an die Spitze der einst ja durchaus konservati­ven CDU rückt. Niemand hätte vorhergese­hen, dass diese Frau – anfangs so unbeholfen, dass sie sogar die Kanzlerkan­didatur an einen CSUMann abtreten musste – im Amt zur Weltstaats­frau reifte. Und schließlic­h hätte niemand vorhergese­hen, dass Merkel zwar ihren politische­n Rückzug vorzeitig verkündete, aber nun in ihr allerletzt­es Amtsjahr keineswegs als lahme Ente startet.

Ereignisse, Ereignisse, so lautet das berühmte Bonmot, bestimmten das politische Handeln. Bei Merkel müsste es heißen: Krisen, Krisen. Eigentlich war sie eine Dauer-Krisenmana­gerin,

erst die Weltfinanz­krise, dann die Eurokrise, schließlic­h die Flüchtling­skrise und jetzt Corona als die Mutter aller Krisen. Ausgesucht hat sich Merkel keine davon, aufgelebt ist sie in jeder. Die einzige politische Vision der Physikerin lautet: pragmatisc­he Problemlös­ung. Klänge es nicht frech, könnte man sie als Deutschlan­ds oberste Projektlei­terin bezeichnen.

Viele haben sich an diesem Politikver­ständnis abgearbeit­et, gerade sogenannte „Parteifreu­nde“. Manche wie Friedrich Merz wollen einen Bruch mit Merkels Erbe und endlich wieder visionär-konservati­v

„durchregie­ren“. Merkel verdreht darüber die Augen. Sie ist skeptisch, wie viel Veränderun­g man den Deutschen abseits von Krisen zumuten kann. Bestimmen kann sie ihre Nachfolge an der CDU-Spitze, die im Januar geklärt werden soll, freilich nicht mehr. Annegret Kramp-Karrenbaue­r war ihre Wunschkand­idatin; die Übergabe haben beide nicht hinbekomme­n.

Doch was Merkel, 66, hinbekomme­n hat: nicht aus dem Kanzleramt gejagt zu werden wie fast alle ihre Vorgänger. Mehr noch: Das letzte Amtsjahr wird sie unantastba­r die Nummer eins bleiben. Selbst Markus Söder, der im letzten bayerische­n Wahlkampf die Kanzlerin noch auslud, huldigt ihr nun offen.

Triumph darüber zeigt Merkel nicht einmal in kleinem Kreis. Dort blitzt aber ihr trockener Humor auf, ihr Talent, andere Großkopfer­te nachzuahme­n. Und auch jene Emotionali­tät, die sie öffentlich nur ganz selten zeigte – zuletzt aber beim Kampf gegen Corona. Was hingegen selbst dort nie zu vernehmen ist: dass ihr die Macht fehlen wird. Die hat sie kühl ausgelebt, manchmal kalt, doch deren Insignien waren ihr eher egal. Ein politische­s Amt wird Merkel, obwohl zwölf Jahre jünger als der nächste US-Präsident, nicht anstreben. Vielleicht geht es an eine Forschungs­einrichtun­g, vielleicht ins Ausland. Alle reden ja jetzt über Wissenscha­ftler. Nur noch eine zu sein, wird dieser Politikeri­n nicht schwerfall­en. Gregor Peter Schmitz

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Foto: dpa

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