Langer Lockdown und knapper CoronaImpfstoff
Gesundheitsminister Jens Spahn gerät unter Druck, weil die Verteilung des ohnehin begrenzten Corona-Gegenmittels stockt. Der CDU-Politiker sieht keine Chance dafür, dass die Zwangspause des öffentlichen Lebens am 10. Januar enden kann
Berlin Die Wirklichkeit hat den Minister schnell eingeholt. Nur wenige Stunden, nachdem er am Mittwoch seine europäische Impfstoffstrategie verteidigt hat, fallen über Jens Spahn (CDU) seine Amtskollegen aus den Bundesländern her. Sie schimpfen in eindeutigen Worten darüber, dass erst wieder in der zweiten Januarwoche frisches Corona-Gegenmittel geliefert wird. Bislang hat Spahn in den Augen der meisten Wähler vieles richtig gemacht im ausgehenden Seuchenjahr. Er ist zum beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen.
Doch Dankbarkeit ist keine Kategorie im politischen Mahlwerk. Im neuen Jahr wird der Bundesgesundheitsminister daran gemessen werden, wie schnell und umfassend die Deutschen die rettenden Spritzen bekommen. Zwischen den Nationen wird ein scharf beäugter Wettbewerb ausgetragen, wer am schnellsten Millionen Menschen impfen kann. Derzeit liegt Israel vorn, das schon über fünf Prozent seiner Bewohner geimpft hat, während Deutschland noch meilenweit von einem Prozent entfernt liegt. Die Regierung in Tel Aviv hat dem USPharmakonzern Pfizer schlichtweg mehr Geld bezahlt und wird bevorzugt mit dem von Biontech in Deutschland entwickelten Impfstoff versorgt. Pfizer ist der Produktionspartner von Biontech.
Großbritannien hat nun bereits die Zulassung für den dritten Impfstoff erteilt und peilt für das Frühjahr Herdenimmunität an, während Berlin und die EU-Partner noch auf Genehmigung von Nummer zwei warten.
Der deutsche Gesundheitsminister muss jetzt erleben, dass europäische Solidarität zwar gerne beschworen wird, sie aber in der Heimat keinen Applaus einbringt, wenn sie in Anspruch genommen wird. Eindringlich warb Spahn daher dafür, kleinere EU-Ländern nicht allein zu lassen im Kampf gegen den
Erreger. Als Beispiel nannte er Kroatien. „Bis so ein Medikament in Kroatien in der Versorgung angekommen ist, vergehen teilweise Jahre. Ich weiß gar nicht, ob die Deutschen sich das immer bewusst machen?“Spahn steht vor dem Dilemma, dass er jetzt nicht mehr umsteuern kann. Die europäische Abmachung aufzukündigen, ist undenkbar. Biontech arbeitet am Aufbau einer Fabrik in Marburg, die aber erst im Februar angefahren werden wird. Pfizer beliefert die ganze Welt. Selbst wenn beide Unternehmen zustimmen würden, dass andere Pharmabetriebe ihr Mittel in Lizenz herstellen dürften, vergingen Wochen bis zum Anlaufen der Anlagen.
Die einzige Hoffnung für eine bessere Versorgung ist die Zulassung anderer Impfstoffe. Die USFirma Moderna wird in der EU mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 6. Januar die Genehmigung für ihren Wirkstoff erhalten. „Ich sehe dem mit Zuversicht entgegen, dass wir auch hier einen guten Impfstoff haben werden“, sagte der Chef der deutschen Zulassungsbehörde, Klaus Cichutek. Die nach dem Medizin-Nobelpreisträger Paul Ehrlich benannte Behörde ist an der Prüfung des ModernaPräparats auf europäischer Ebene beteiligt.
Aber selbst wenn der Impfstoff grünes Licht erhält, wird das die angespannte Lage in Deutschland nur lindern. Der Gesundheitsminister rechnet mit anderthalb bis zwei Millionen Dosen, die davon bis Ende März an die Bundesrepublik geliefert werden können. Ähnlich wie bei dem Biontech-Serum muss auch das Moderna-Mittel zweimal gespritzt werden. Aus diesem Grund werden höchstens eine Million Menschen hierzulande von dem Stoff geschützt werden. Hinzu kommen sechs Millionen weitere, die je zwei Spritzen mit dem Biontech-Produkt erhalten sollen. Sieben Millionen Geimpfte reichen aber nicht aus, um den Erreger wirksam zurückzudrängen.
Spahn muss also darauf setzen, dass mindestens der Pharmariese AstraZeneca nach Großbritannien auch schnell eine Zulassung in der EU erhält. Cichutek gab sich zuversichtlich, dass das bald erfolgen kann.
Weil das Impfen hierzulande nur stockend in Gang kommt, dürften in den nächsten Wochen die Kliniken weiter schwer beansprucht sein. Spahn schloss eine Lockerung des Zwangsstillstandes („Lockdown“) nach dem 10. Januar daher aus. „Da ist kein Weg, dass das in zwei oder drei Wochen vorbei ist.“