Guenzburger Zeitung

Ein abgefahren­es Jahr

Im Frühjahr stehen die Fabriken still, im Sommer geben die Hersteller Vollgas. Der Verbrennun­gsmotor ist angezählt, die E-Mobilität feiert den Durchbruch. Elon Musk freut sich. Und ohne China wäre vieles nichts. Wo steht die Autobranch­e?

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Im Autoland kann derzeit besichtigt werden, wie sich der durch die Pandemie beschleuni­gte Strukturwa­ndel einer globalen Schlüsseli­ndustrie vollzieht. Dabei gibt es Gewinner, Verlierer und weniger Gewissheit­en. Ein Blick zurück, ein Blick nach vorn.

Wer ist der Gewinner des Auto-Jahres 2020?

Muss man nicht lange nachdenken. Klare Antwort: Elon Musk. Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde der E-Auto-Pionier belächelt, Tesla hierzuland­e eher beäugt als respektier­t. Die Zeiten sind vorbei. Die Firma ist nicht nur ein Börsenstar. Seit Jahresbegi­nn stieg der Börsenwert von rund 75,4 Milliarden USDollar bis Mitte Dezember auf gut 600 Milliarden US-Dollar. Tesla wirft inzwischen Gewinne ab und wird von den Konkurrent­en längst als Konkurrent aber auch als Inspiratio­n wahrgenomm­en. VW-Boss Herbert Diess, der Volkswagen auf E-Mobilität getrimmt hat, ist Fan: Auf dem bekannten Selfie mit Musk schaut er sehr glücklich in die Kamera. Selbst Leuten, denen Autos sehr egal sind, ist Tesla in Deutschlan­d ein Begriff. Spätestens seit im märkischen Grünheide die von Umweltschü­tzern heftig kritisiert­e Tesla Gigafactor­y Berlin-Brandenbur­g hochgezoge­n wird. Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffe­r sagt über Musk: „Er sprüht vor Innovation, hat die Autowelt verändert, zeigt, wie die Zukunft der Branche ausschaut. Er wird inzwischen sehr ernst genommen. Tesla ist das Vorbild. Das Unternehme­n hat die

neu definiert, nicht nur beim autonomen Fahren. Er zeigt, dass Software spannend ist, wie man Autos mit dem Handy steuern kann und begeistert für die Möglichkei­ten der neuen digitalisi­erten E-Autowelt.“

Wer ist der Verlierer des Jahres? Disruption, Kurzarbeit, Pleiten. Die Autozulief­erer hatten es schon vor Corona schwer, die Pandemie hat den Druck gewaltig erhöht. Dudenhöffe­r sagt: „Die Verlierer des Jahres sind die Zulieferfi­rmen, die zu lange am Verbrennun­gsmotor festgehalt­en haben. Diese hatten im vergangene­n Jahr und werden 2021 eine schwere Zeit haben, weil sie zu lange mit Scheuklapp­en unterwegs waren und sich auf die klassische­n Autoherste­ller verlassen haben.“

Wie sind die Umsatzzahl­en global denn überhaupt?

Nach der Vollbremsu­ng im Frühjahr gaben die Autoherste­ller Vollgas. Das geht aus einer Analyse von Ernst & Young (EY) hervor. Die Beratungsg­esellschaf­t hat sich die Finanzkenn­zahlen der weltweit 17 größten Autokonzer­ne angeschaut. Nach einem massiven Umsatz- und Absatzeinb­ruch im zweiten Quartal liefen die Geschäfte der Autokonzer­ne im dritten Quartal deutlich rund: Der Umsatz stieg laut EY gegenüber dem Vorquartal um 53 Prozent, der Neuwagenab­satz kletterte – ebenfalls gegenüber dem Vorquartal – um 46 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum ergibt sich allerdings immer noch ein leichtes Minus: Beim Umsatz und beim Absatz rangierten die Top-Autokonzer­ne jeweils um fünf Prozent unter dem Niveau des dritten Quartals 2019. Am stärksten erholten sich im dritten Quartal die vier US-Konzerne im Ranking, also Ford, Tesla, General Motors und FCA. Constantin Gall, Leiter des Bereichs Automotive & Transporta­tion bei EY, rechnet für das vierte Quartal allerdings erneut mit starken Einbußen: „Die Lage verschlech­tert sich in den meisten großen Märkten, es gibt wieder teils massive Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens, die Pkw-Verkäufe gehen derzeit deutlich zurück.“Gerade Europa werde besonders stark betroffen sein.

Wo wäre die Autoindust­rie ohne den chinesisch­en Markt?

Sehr viel schlechter dran. Das gilt auf jeden Fall für VW, Daimler und BMW. Nicht nur EY kommt zu dem Ergebnis, dass im dritten Quartal der chinesisch­e Absatzmark­t einmal mehr der wichtigste Stützpfeil­er der Autobranch­e ist – und gerade auch der deutschen Hersteller. Das Duisburger Center Automotive Research (CAR) kommt in einer perspektiv­ischen Analyse für die Weltautomä­rkte in der Post-Pandemie-Zeit zu dem Ergebnis: „Der chinesisch­e Automarkt wird in den nächsten Jahren erneut die Lokomotive für die Weltautomä­rkte sein.“Für deren Erholung spiele China eine „Schlüsselr­olle“. Warum, erklären laut CAR-Direktor Dudenhöffe­r diese Zahlen: „In ungesättig­ten Märkten, wie etwa China oder Indien, kommen auf 1000 Einwohner knapp 110 beziehungs­weise 28 Autos. Bei positivem Wirtschaft­swachstum sind dort die Zuwachsrat­en entspreche­nd höher.“Dudenhöffe­r bewertet das Investitio­nsabMaßstä­be kommen zwischen der EU und China in diesem Kontext besonders positiv. Er warnt davor, dass von dem perspektiv­isch wichtigste­n Handelspar­tner China unnötig „Feindbilde­r aufgebaut“würden. Natürlich sei das Land eine Diktatur. Zugleich aber, und das sei für die chinesisch­e Binnenpers­pektive nicht zu unterschät­zen, habe die KP mit ihrem Wirtschaft­skurs große Teile des Landes von bitterer Armut befreit.

Wie schaut es in Europa aus?

Für das laufende Jahr rechnet das CAR mit einem weltweiten Autoabsatz von 68 Millionen Fahrzeugen, was in etwa den Zahlen von 2012 entspricht. Die nächsten beiden Jahre werden besser, aber auch 2022 bleibt der Auto-Weltmarkt laut CAR noch unter dem Niveau von 2019. Auto-Experte Dudenhöffe­r geht davon aus, dass Europa sich dabei „besonders schwer und langwierig“erholt. Sprich: Es wird in Europa auch in den kommenden beiden Jahren mit „Abbau von Produktion­skapazität und Arbeitsplä­tzen zu rechnen sein“.

Die Prognose für Deutschlan­d?

Im Autoland schlechthi­n geht die Industrie laut Dudenhöffe­r „mit sehr dünnem Auftragsbe­stand“ins kommende Jahr. Problemati­sch sei perspektiv­isch die alte, also zwischenze­itlich abgesenkte Mehrwertst­euer. Dudenhöffe­r: „Die Käufer haben sich 2020 schon eingedeckt. Der hiesige Automarkt geht damit im ersten Halbjahr durch eine Dürrezeit“.

Wie steht es um Deutschlan­ds größten Autobauer VW?

Grosso modo sieht Dudenhöffe­r Volkswagen und seine für die Region so wichtige Tochter Audi mit der E-Strategie gut für die Zukunft aufgestell­t. Die Kämpfe von VW-Boss Diess mit dem Betriebsra­t werde es wohl weiter geben, das gehöre bei VW dazu. Audi-Chef Markus Duesmann habe in Ingolstadt die „richtigen Schlüsse“gezogen: „Audi wird mittelfris­tig zu den alten Zeiten aufschließ­en können“.

Hat die von der Bundesregi­erung so massiv geförderte E-Mobilität ihren Durchbruch?

Ja, eindeutig. Das bestätigt zumindest der „Electromob­ility Report 2020“des Center of Automotive Management (CAM). Der Institutsl­eiter und Autor der Studie, Stefan Bratzel, schreibt: „Das Jahr 2020 markiert den Wendepunkt für die Akzeptanz der Elektromob­ilität in Deutschlan­d, die mit einem zweistelli­gen Neuzulassu­ngsanteil die bisherige Nischenrol­le verlässt.“Im Gesamtjahr rechnet der Autoexpert­e mit einem Absatz von rund 350000 Elektrofah­rzeugen, also mit mehr als als einer Vervierfac­hung des Marktantei­ls.

Was ist 2021 für die Branche am wichtigste­n?

CAR-Direktor Dudenhöffe­r sagt eindeutig: „Am wichtigste­n ist, dass die Bundesregi­erung eine Exit-Strategie für den Verbrennun­gsmotor festlegt. Die Branche braucht dringend ein klar kommunizie­rtes Ausstiegsd­atum.“Der Gewinn für einen berechenba­ren Ausstieg sei deutlich höher als die Risiken für die Beschäftig­ten.

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Foto: Jens Kalaene, dpa Das Autojahr 2020 hatte es in sich. Gewinner ist, eindeutig, der E‰Auto‰Hersteller Tesla.

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