Erst streiten, dann schweigen
Seit gut zwei Jahren regieren in Bayern CSU und Freie Wähler gemeinsam. Meistens recht geräuschlos, doch hin und wieder kracht’s – auch öffentlich. Ein Blick hinter die Kulissen einer Koalition in der Corona-Krise
München In der Politik ist es wie im Profi-Fußball: Was öffentlich in Mikrofone und Kameras gesagt wird, unterscheidet sich in Tonlage und Inhalt erheblich von dem, was Trainer und Spieler sich in der Umkleidekabine so alles an den Kopf werfen. Erst wenn es knirscht in der Mannschaft, dringen Versatzstücke nach draußen. Erfolge decken alles zu, Misserfolge bringen Konflikte ans Licht – normalerweise.
Im Falle der Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern kann von „normal“im Jahr 2020 keine Rede sein. Die Bilanz der Staatsregierung bei der Bekämpfung der Pandemie ist in Bayern so durchwachsen wie in anderen Bundesländern auch und überdeckt alle andere möglichen Streitthemen zwischen den Koalitionspartnern. Nur manchmal blitzen Konflikte auf – wie zuletzt kurz vor Weihnachten zwischen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und dem Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl.
Söder hatte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) nach Pannen mit der digitalen Lernplattform „Mebis“fast schon ultimativ aufgefordert, er solle endlich einen vernünftigen Distanzunterricht organisieren. Söder: „Da gibt es keine Ausreden mehr.“Streibl hatte derartige Ultimaten als unfair zurückgewiesen und Söder mangelndes Verständnis vorgeworfen. Weiter eskaliert aber ist die Sache nicht. Der Weihnachtsfrieden senkte sich übers Land und nach ein paar Telefonaten hin und her entschieden die Koalitionäre, dass es für alle wohl das Beste sei, einfach wieder zu schweigen. Doch ganz so einfach ist es offenkundig nicht.
Es war nicht das erste Mal, dass es, wenn es mit der Corona-Strategie hakte, so abgelaufen ist: Wortmeldung hier, Wortmeldung da, kurze Eruptionen, Schweigen, Schwamm drüber. Im April gab es ein kurzes, aber heftiges Pro und Contra wegen der Absage des Oktoberfests und Aiwangers Vorschlag für eine „Ersatz-Wiesn“. Im Mai wollte Aiwanger Biergärten und Restaurants schneller öffnen als Söder. Im Juni gerieten sich Aiwanger und Finanzminister Albert Füracker (CSU) wegen der schleppenden Abwicklung der Wirtschaftshilfen in die Haare. Als ihn die CSU auch noch verspottete, weil er unter anderem 90000 Wischmopps für Corona-Notunterkünfte gekauft hatte, platzte Aiwanger der Kragen.
In einem Interview klagte er öffentlich über „gezielte Gemeinheiten aus der CSU, mit dem Ziel, mich zu beschädigen“. Er sprach gar von einem gewissen Vertrauensbruch und einer Vergiftung des Klimas in der Koalition. Doch die Druckerschwärze war kaum trocken, da hieß es schon wieder, man arbeite vernünftig zusammen. Der handfeste Krach wurde kurzerhand zu einer „kleineren Debatte“umgedeutet. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.
Auch jetzt, zum Jahresende, beteuern die Protagonisten auf beiden Seiten, dass so ein Streit wie um die digitale Lernplattform „Mebis“keinesfalls dramatisiert werden solle. Aus den Spitzen beider Fraktionen heißt es, dass man „im Prinzip“doch recht reibungslos zusammenarbeite. Harte Konflikte, die den Fortbestand der „bürgerlichen Koalition“gefährden, gebe es nicht.
Dass der schwelende Grundkonflikt dabei nur zugedeckt wird, wissen freilich alle: Für die unter Söder wiedererstarkte CSU sind die Freien Wähler ein überflüssiges Ärgernis. Umgekehrt leiden die Freien am neu erwachten Überlegenheitsgefühl der
CSU – und zwar umso mehr, je näher sie selbst in Umfragen an die existenzbedrohende Fünf-ProzentHürde rücken. Sie lästern abseits der Mikrofone über die CSU-Abgeordneten, „die alle nur kritiklos dem Söder hinterherlaufen“. Viele CSUler wiederum beklagen wortreich, aber hinter vorgehaltener Hand, dass die Freien immer wieder als „unprofessionell“auffallen und „immer noch nicht kapiert haben, dass sie nicht mehr Opposition sind“. Nur der Wille zur Macht und das Wissen, dass es anders noch viel schwieriger wäre, hält CSU und Freie Wähler zusammen.
Den Bürgern könnten derlei Befindlichkeiten in der Regierungsmannschaft reichlich egal sein, solange die Mannschaft Erfolg hat. Die jüngsten Scharmützel rund ums Kultusministerium aber zeigen, dass nicht immer erfolgsorientiert gearbeitet wird und manch ein Disput in faulen Kompromissen endet, statt sauber ausgefochten zu werden.
Der Streit um „Mebis“und Söders Ultimatum an den Kultusminister hat eine Vorgeschichte. Da ist zunächst die alte, tief sitzende Verärgerung in der CSU-Fraktion über die stetig steigenden Kosten im Bildungswesen. Schon frühere Kultusminister aus den eigenen Reihen bekamen vorgehalten, dass sie „unersättlich“seien und dass noch mehr Lehrer und noch mehr Geld für die Schulen nie genug waren. Nun führt ein Freier Wähler das Kultusministerium und es ist aus Sicht vieler CSU-Abgeordneter noch schlimmer geworden.
Erster Gipfelpunkt war in diesem Jahr der Disput um die Stellenhebungen für Lehrer. In der CSU war man der Ansicht, dass man im Corona-Jahr den Lehrern keine zusätzlichen Gehaltserhöhungen geben könne, wenn gleichzeitig weitaus härter getroffene Berufsgruppen wie Krankenschwestern und -pfleger oder Mitarbeiter in Alten- oder Behindertenheimen leer ausgehen. Der „freundliche Herr Piazolo“habe sich da als „echter Sturkopf“gezeigt. Die CSU gab schließlich klein bei. Einzig der frühere Wirtschaftsminister Franz Pschierer bezog öffentlich Position. Alle anderen – Finanzminister Füracker eingeschlossen – behielten die geballte Faust in der Hosentasche.
Für die Freien Wähler dagegen hat die Sorge um einen stabilen Staatshaushalt keinen so hohen Stellenwert. Sie wollen gerade in ihren drei Ministerien vorzeigbare Erfolge erzielen, um gegen die Übermacht der CSU zu bestehen. Bestärkt wurden sie in diesem Bestreben ausgerechnet durch den Ministerpräsidenten. Söder hatte bei einem Gastauftritt in der FW-Landtagsfraktion im Herbst ziemlich unverblümt erklärt, dass die politische Zukunft der Freien Wähler im Kern davon abhänge, wie sich ihre Minister schlagen. Vor diesem Hintergrund empfanden sie Söders öffentliches Ultimatum an Piazolo als „böses Foul“.
Eine sachliche Debatte über „Mebis“gab es nicht. Wenn es zutrifft, was Experten sagen, dann taugt die digitale Lernplattform von Haus aus nicht für den Massenbetrieb. Sie sei noch unter einem CSUgeführten Kultusministerium als Zusatzangebot konzipiert worden und nie darauf ausgelegt gewesen, dass hunderttausende Schüler gleichzeitig darauf zugreifen. „Das ist“, so sagt einer, der damit gearbeitet hat, „als hätten sie den vermurksten Berliner Flughafen mit ein paar kleineren Reparaturen einsatzfähig machen wollen.“
Dieses Eingeständnis hätte freilich einen Rattenschwanz an Ärgerlichkeiten nach sich gezogen: Wer ist schuld an der Misere? Haben wir Geld für ein neues System? Bekommen wir auf die Schnelle überhaupt eines? Da schweigt man dann lieber.
Abseits der Mikrofone wird munter gelästert