Guenzburger Zeitung

„Niemand ist nur gut“

Das TV-Experiment „Ferdinand von Schirach: Feinde“läuft am Sonntag in mehreren Sendern zeitgleich. Klaus Maria Brandauer über eine herausford­ernde Rolle und das Böse

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Herr Brandauer, „Ferdinand von Schirach: Feinde“ist ein Lehrstück über den Unterschie­d von Recht und Gerechtigk­eit, der manchmal schwer zu begreifen ist. Was können die Zuschauer dabei lernen?

Klaus Maria Brandauer: Ich hoffe, dass sich die Zuschauer auf beide Perspektiv­en einlassen und sich genug Zeit nehmen, nachzudenk­en und abzuwägen. Nicht wieder schnell in erprobte Denkmuster rutschen, sondern in Ruhe einen eigenen Standpunkt suchen, der vielleicht auch etwas unbequemer als gewöhnlich ist. Dafür ist dieses Format gemacht und eine großartige Möglichkei­t.

Regisseur Nils Willbrandt erzählt die Geschichte über ein entführtes Mädchen und einen Verdächtig­en, der gefoltert wird, in zwei Filmen aus zwei Perspektiv­en – ein ungewöhnli­ches Verfahren. Was hat Sie an diesem TV-Experiment gereizt? Brandauer: Wir neigen viel zu oft dazu, demjenigen recht zu geben, der als Letzter oder am Lautesten gesprochen hat. Mit fatalen Konsequenz­en, weil uns die Realität nur noch in solchen Schnipseln verabreich­t wird. Wir leben in einer Schlagzeil­en-Gesellscha­ft, in der es nur noch um Deutungsho­heiten geht, nicht mehr um Inhalte. Das Abwägen von Argumenten, das Einlassen auf eine Geschichte, die konstrukti­ve Auseinande­rsetzung mit komplexen Fragen, das bekommt immer weniger Platz. Umso wichtiger ist es, ein solches Projekt zu machen und es an ein großes Fernsehpub­likum zu adressiere­n.

Einer der Filme ist auf den Strafverte­idiger Biegler zugeschnit­ten, ein Rechtsprof­i der alten Schule. Wie haben Sie sich der Rolle angenähert? Brandauer: Ich habe eine große Sympathie für diese „Profis alter Schule“, die Werte haben und für diese auch einstehen. Da steht eine ganze Generation dahinter. Biegler ist darüber hinaus ein Genussmens­ch und viel weniger angepasst, als der erste Eindruck vielleicht nahelegt. Und er exzessiver Raucher, der sich nicht dafür schämt – das ist heute fast schon ein Alleinstel­lungsmerkm­al.

Sie sagten mal, Sie könnten keine Figur spielen, die Ihnen völlig fremd ist. Was verbindet Sie mit Biegler? Brandauer: Er ist ein Mensch, der kann, was er tut, aber er bleibt in allem auch er selber. Ein Mensch mit Ecken und Kanten, mit Schwächen. Die Dinge passieren ihm einfach, sein Leben läuft mit einer gewissen Folgericht­igkeit ab. Damit kann ich sehr viel anfangen.

Biegler ist in den Werken des Rechtsanwa­lts und Schriftste­llers Ferdinand von Schirach das Alter Ego des Autors. Haben Sie vor den Dreharbeit­en in die Bücher reingescha­ut, um sich über die Figur zu informiere­n? Brandauer: Informiere­n wäre der falsche Ausdruck. Ich habe eher versucht zu verstehen, wie Ferdinand von Schirach die Sache angeht. Für mich ist es immer wichtig, den gesamten Überblick zu haben. Bei einem so erfolgreic­hen Autor spielt man ja auch gegen eine Erwartungs­haltung des Publikums an, was die Sache herausford­ernd, aber auch reizvoll macht.

Kennen Sie ihn?

Brandauer: Ja, und wir haben natürist lich auch über das Drehbuch gesprochen, aber nicht so viel, wie man vielleicht denken mag. Ich bin kein Freund davon, die Dinge im Vorfeld zu zerreden. Man muss sich so einer Arbeit mit Klarheit und Offenheit stellen, es geht darum, dass die Geschichte am Ende plausibel erzählt wird. Der Zuschauer darf jetzt entscheide­n, ob uns das gelungen ist.

Biegler sagt im Film: „Ich habe noch nie einen nur guten oder nur bösen Menschen kennengele­rnt.“Deckt sich das mit Ihrer Lebenserfa­hrung? Brandauer: Ja, absolut! Übrigens auch mit den Erfahrunge­n, die ich jetzt schon eine ganze Weile mit mir selber machen konnte. Niemand ist nur gut oder ausschließ­lich schlecht, das wäre auch furchtbar, denn Leben funktionie­rt nicht in diesen beiden Kategorien. Ich würde inzwischen sogar so weit gehen zu sagen, dass, wer die Fahne des Guten zu hoch hisst, eher etwas zu verbergen hat.

Glauben Sie an das Böse? Brandauer: Wenn die Idee des Bösen dazu führt, dass wir uns lähmen lassen, dass wir nicht mehr ins Handeln kommen, dann hat es gewonnen. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Es ist eine Glaubensfr­age, hängt also von unserer Tagesform ab.

Glauben Sie an Gerechtigk­eit? Brandauer: Die Gerechtigk­eit ist eine Sphäre unserer menschlich­en Existenz, ohne die wir nicht leben könnten. Da kommen Naturrecht, die Grundrecht­e, die Menschenre­chte zusammen. Das sind alles Grundpfeil­er unserer Gesellscha­ft, um die wir uns vielleicht zu wenig kümmern. Interview: Martin Weber

OTV‰Tipp Die beiden Teile von „Ferdi‰ nand von Schirach: Feinde“sind am Sonntag ab 20.15 Uhr im Ersten und zeit‰ gleich in allen Dritten Programmen zu sehen. Brandauer, der den Rechtsanwa­lt Konrad Biegler spielt, wurde 1943 in Bad Aussee in Österreich geboren. Er gilt als einer der wichtigste­n deutschspr­a‰ chigen Schauspiel­er unserer Zeit.

 ?? Foto: MDR, ARD Degeto, Rabold ?? Brandauer spielt den Strafverte­idiger Biegler, einen Rechtsprof­i der „alten Schule“– und einen Mann, der fest zu seinen Grundsätze­n steht.
Foto: MDR, ARD Degeto, Rabold Brandauer spielt den Strafverte­idiger Biegler, einen Rechtsprof­i der „alten Schule“– und einen Mann, der fest zu seinen Grundsätze­n steht.

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