Der Libero verlässt das Spielfeld
Erwin Kehrle hört als Chef der KLB Kötztal auf – die nächste Generation folgt. Was den Mann auszeichnet
Ichenhausen Erwin und Artur Kehrle schauten sich vor der CoronaPandemie gerne Fußballspiele im Stadion des FC Augsburg an und luden Geschäftsfreunde ein. Die Brüder haben eine gewisse Affinität zu diesem Mannschaftssport. Und deshalb entlehnt der jüngere der beiden Brüder, Artur, auch ein Bild aus dem Fußball. Er selbst sieht sich eher in der Offensive beheimatet. Der ältere Bruder Erwin dagegen sei im Betrieb der Libero gewesen, „der alles aufgeräumt, alles abgefangen hat“.
Die Zeitform „gewesen“stimmt mit Ablauf des 31. Dezember, denn dann ist für Erwin Kehrle als Geschäftsführer der KLB Kötztal Schluss – während sein Sohn Daniel, 36, und die beiden Neffen Patrick, 29, und Julian, 33, Prokura bekommen – und sich ihre Aufgaben aufteilen. Der Sohn ist der Herr der Zahlen und der Rechtsfragen im inhabergeführten Familienunternehmen.
Der Jüngste des Trios verantwortet die Öffentlichkeitsarbeit und das strategische Marketing. Und der 33-jährige Julian Kehrle schließlich hat als Chemie-Spezialist mit Produktionsund Verfahrenstechnik zu tun. In einer Firma, die mittels zweier Komponenten fugenlose Fußböden für Industrie und Gewerbe herstellt, ist das eine der Schlüsselpositionen.
Früher – da haben die Kehrle-Senioren alles selbst gemacht. Artur war zunächst die treibende Kraft. Der studierte Chemie-Ingenieur war bei einer Ulmer Firma als Laborleiter tätig, verkaufte ein paar Jahre im Vertrieb die Rohstoffe, die er später selbst produzieren sollte. Die Buchhaltung wurde im Wohnzimmer von der Ehefrau erledigt – und im Haus wurde getüftelt und auf Bestellung wurden entsprechende Produkte entwickelt. Das waren die Anfänge.
Bruder Erwin konnte er schließlich überzeugen, bei diesem Abenteuer dabei zu sein. „Natürlich war das ein Risiko, was wir da getan haben. Es hätte auch schiefgehen können.“Und eigentlich wollte das Duo nie in die Selbstständigkeit, denn es hatte unmittelbar erlebt, was das bedeutete: Ihr Vater war der ehemalige Bäcker von Autenried. 14-, 15-, 16-Stunden-Arbeitstage waren nicht unüblich. Dennoch fehlte beiden irgendwie eine Perspektive: Der Chemiker hätte fortziehen müssen, um weiter Karriere zu machen. Und Erwin Kehrle, gelernter Großhandelskaufmann, der bei der Baywa, der Raiba in Waldstetten und lange Jahre bei einem örtlichen Fensterfachbetrieb gearbeitet hatte, war beruflich Mitte der 90er-Jahre nicht mehr zufrieden.
1995 wagten die Jungunternehmer, 44 und 38 Jahre alt, deshalb den Sprung ins Ungewisse. Ihnen gelang es von Anfang an, sich zu behaupten – vielleicht auch, weil sie sich anfangs minimalistische Gehälter gewährten, die an Selbstausbeutung grenzten.
Nach einigen Jahren seien die Geschäfte regelrecht explodiert – ehe es 1999 einen Rückschlag gegeben habe: Ihre Produktionsstätte in Pfaffenhofen an der Roth (Kreis Neu-Ulm) brannte ab. Der Brandstifter ist bis heute nicht ermittelt, der Schaden (an die 2,5 Millionen
Euro) schon. Zum Glück hatten die Kehrles bereits zuvor am Ortsrand von Ichenhausen ein früheres Möbelhaus erworben, das entsprechend umgestaltet wurde. 4,5 Hektar groß ist heute das Firmengelände ungefähr, 11500 Quadratmeter davon sind überbaut. Erwin Kehrle war in all den Jahren des Auf- und Ausbaus der „Oberbauleiter“, hat 19 Bauabschnitte nacheinander souverän begleitet und seine Vorstellung umgesetzt. Und dann war er auch noch für den Rohstoffeinkauf und die Logistik zuständig. Das alles lief präzise, zuverlässig und im Hintergrund ab.
Im Mittelpunkt zu stehen, taugte dem 69-jährigen Erwin Kehrle nie. Anders kennt ihn sein Bruder nicht. „Er ist ein fleißiger Typ, trotzdem zurückhaltend, ja reserviert und sehr bodenständig.“Das habe der Firma (150 Mitarbeiter) gutgetan, die auch im Corona-Jahr 2020 absolut gesund dastehe. Der Umsatz des Vorjahres wurde wenige Tage vor Weihnachten erreicht.